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"The Cleaners" porträtiert die Arbeit derjenigen, die Gewaltbilder aus sozialen Netzwerken löschen. Roman Polanski erzählt in "Nach einer wahren Geschichte" von den Urgründen des Schreibens. Und die Sommerkomödie "Wohne lieber ungewöhnlich" beleuchtet das Schicksal von Patchwork-Familien-Kindern.

Von Hartwig Tegeler | 16.05.2018
    Das Logo des sozialen Netzwerks Facebook und das Zeichen für "Gefällt mir nicht" (Daumen runter) werden auf einem Bildschirm angezeigt.
    Zehntausende Menschen löschen in Zehn-Stunden-Schichten Fotos und Videos von Facebook und Co (dpa / Monika Skolimowska)
    Die "Content Moderatorin" sagt:
    "Der Job macht dein Hirn kaputt. Man sieht so etwas wie: Jemand wird von einer Bombe erfasst, der Kopf, die Beine fliegen in alle Richtungen."
    Der andere, ebenfalls zuständig für die "digitale Säuberung", nimmt's leichter:
    "Ich sichte 25.000 Bilder am Tag. Damit könnte ich im Guinness-Buch der Rekorde stehen."
    Manila auf den Philippinen ist der größte Outsourcing-Standort für Content Moderation auf den Philippinen. Weltweit. Zehntausende Menschen löschen in Zehn-Stunden-Schichten Fotos und Videos von Facebook, YouTube, Twitter und anderen Sozialen Netzwerken. Enthauptungen, Vergewaltigungen. Morde, Sadismus. Aber auch anderes, das nicht so leicht zu kategorisieren ist.
    Wo beginnt Zensur?
    "Ich kann diese Videos überspringen, aber wenn es der Qualitätskontrolle auffällt, gilt es als Fehler. Und ich darf mir nur drei Fehler pro Monat erlauben."
    Lange recherchierten Hans Block und Moritz Riesewieck , bevor Kontakte zu diesen "Content Moderatoren" entstanden. Eine Frau, die nicht Müllsammlerin werden wollte, meint im Dokumentarfilm "The Cleaners":
    "Die Arbeit als 'Content Moderator' macht es uns möglich, hier zu überleben."
    Doch nach welchen Kriterien werden diese Inhalte gelöscht, fragen die Filmemacher. Und stellen fest: Das ist das große Geheimnis der Silicon-Valley-Firmen. Wo beginnt Zensur? Es ist ein hochkomplexes Geflecht, das uns dieser eindrucksvolle wie extrem wichtige Dokumentarfilm "The Cleaners" vor Augen führt. Die, die den "Säuberungsjob" machen, leiden übrigens nach kurzer Zeit unter Symptomen, die denen von Soldaten ähneln, die vom Kriegseinsatz zurückkehren.
    "The Cleaners" von Hans Block und Moritz Riesewieck - herausragend.
    "Based on a true story - nach einer wahren Geschichte", mit dieser Zeile beginnen Legionen von Spielfilmen. Doch das ist so eine Sache: Warum muss bei fiktiven Geschichten betont werden, dass sie auf Material aus der Realität basieren? Gibt die Fiktion vor, dadurch authentischer zu sein? Und dass Elle, die am Signiertisch von Bestsellerautorin Delphine auftaucht ...
    Elle: "Kommen Sie, geben Sie sich einen kleinen Ruck. Für ihre größte Bewunderin."
    ... dass Elle eine Ghostwriterin ist, macht die Sache auch nicht gerade durchsichtiger. Was nun? Geist? Oder Schreiberin? Wie Delphine. Das wird die Frage sein, die es zu klären gilt in Roman Polanskis Film "Nach einer wahren Geschichte". Und ich versichere: Sie wird nicht geklärt. Besser geht's nicht in einem Film. Elle also - Eva Green - freundet sich mit Delphine - Emmanuelle Seigner spielt sie - an; drängt sich in das Leben der Schriftstellerin, die an einer immer brutaleren Schreibblockade leidet:
    "Ich bin am Ende meiner Kräfte."
    "Ich verstehe. Mach dir keine Sorgen. Ich kümmere mich um dich."
    Die Beziehung wird zum Horror
    Aber ist diese Elle nun ein Phantom? Oder nur die Projektion der Schriftstellerin, die am Ende des Films einen neuen Roman mit dem Titel "Nach einer wahren Geschichte" herausbringt. Welcher Schreiber-Vampir hat wessen Lebensgeschichte denn nun ausgesaugt. Delphine die von Elle? Die Beziehung zwischen der Schriftstellerin und der vorgeblichen Freundin wird zum Horror, aber nie versorgt uns Roman Polanski mit der Gewissheit, dass das alles auch tatsächlich passiert. Nur eines ist sicher: Am Ende gibt es eine wahre Geschichte. Und die ist dieser Film. Der Autor aber, die Autorin?
    "Nach eine wahren Geschichte" von Roman Polanski - empfehlenswert.
    Also, Statistik: Die Hälfte aller Ehen wird in den ersten drei Jahren wieder geschieden. Nicht nur in Frankreich.
    "Zum Zeitpunkt der Scheidungen haben wir im Durchschnitt 1,2 Kinder. Die meisten von uns heiraten nach einem Jahr und bekommen noch ein Kind, um die neue Beziehung zu besiegeln, die nach fünf Jahren erneut mit einer Scheidung endet."
    Kurzum: "Patchwork-Familien, das ist der Zeitgeist."
    Und die besteht in "Wohne lieber ungewöhnlich" aus sieben Scheidungsgeschwistern im Alter von vier bis 17 Jahren, die nach einem komplexen Zeitplan zwischen unterschiedlichen Wohnungen und Vätern und Mütter hin- und herzupendeln haben. Bis Bastien und seine Fast- oder Halbgeschwister die Nase voll haben und in die leere Pariser Großraumwohnung der verstorbenen Oma ziehen.
    "Von heute an werdet ihr, die Eltern, abwechselnd herkommen und hier mit uns wohnen. Wir bleiben hier."
    Typische französische Sommerkomödie
    Es ist natürlich äußerst sympathisch, dass Gabriel Julien-Laferrière eine Geschichte aus der Perspektive der sieben Irgendwie-Geschwister erzählt. So wird "Wohne lieber ungewöhnlich" zu einer dieser typischen französischen Sommerkomödien, in der die Realität als Stichwortgeber dienen darf.
    "Wir bleiben hier. Aber ihr könnt gerne gehen. Wir kommen schon alleine zurecht."
    Aber die naheliegende Frage, wie sich denn die sieben Kinder, die nun in der großen Altbauwohnung leben, finanzieren, mon dieu, die sollte doch nun bitte niemand stellen. Ob also Monsieur Claude und seine Töchter, andere ziemlich beste Freunde oder die Kids hier, die "ungewöhnlich" leben: Es geht darum, dass das Leben jenseits des Kinos das Leben im Kino nicht verderben darf. Wegen: Wohlfühlen.
    "Wohne lieber ungewöhnlich" von Gabriel Julien-Laferrière - annehmbar.