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Missbrauch, Stammesfehden und Diskriminierung

Sie waren beide für den Oscar nominiert und sind doch am Ende leer ausgegangen: Der Dokumentarfilm "I am not your Negro" und die australische Produktion "Tanna – Eine verbotene Liebe" kommen in dieser Woche in die deutschen Kinos. Ein weiterer Neustart ist das britische Drama "Una und Ray".

Von Jörg Albrecht | 29.03.2017
    Die Regisseure von "Tanna", Bentley Dean und Martin Butler mit Darstellern des Films auf dem roten Teppich bei der Oskarverleihung 2017.
    Die Regisseure von "Tanna", Bentley Dean und Martin Butler mit Darstellern des Films auf dem roten Teppich bei der Oskarverleihung 2017. (imago / Xinhua)
    "Una und Ray" von Benedict Andrews
    "Ich bin auf der Suche nach Ray. Kennen Sie ihn?"
    "Nein. Wie sieht er aus?"
    "Dieser Mann ist es."
    "Das ist Pete."
    "Pete?"
    "Ja. Mein Boss."
    Der Mann, den Una sucht, hat eine neue Identität angenommen. 15 Jahre sind vergangenen, seit sie Ray, der jetzt also Pete heißt, zum letzten Mal gesehen hat. Una war damals 13. Sie und Ray, der im Nachbarhaus wohnte, hatten eine Liebesaffäre. Als diese aufflog, wurde Ray wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Während er mit der Vergangenheit schon lange abgeschlossen hat, kann sie noch keinen Schlussstrich ziehen.
    "Das ist mein Leben. Dafür musste ich kämpfen. Ich hatte nämlich alles verloren."
    "Dachtest du nie an mich? Was mit mir passiert ist. Ich habe mein Leben verloren."
    Vor allem die Ambivalenz von Una, die ihr Gefühlschaos immer noch nicht ordnen kann und die Ray eisig gegenübertritt, macht den Reiz des Stoffs aus, den der australische Regisseur Benedict Andrews nach dem Theaterstück "Blackbird" inszeniert hat. Ein Stück, das zwangsläufig Erinnerungen an Nabokovs Skandalroman "Lolita" weckt und das vor allem durch einen klugen Spannungsaufbau und die hervorragenden Darsteller Rooney Mara und Ben Mendelsohn zu einem intensiven Psychodrama wird.
    "Una und Ray": empfehlenswert
    "Tanna – Eine verbotene Liebe" von Bentley Dean und Martin Butler
    Als "Leuchtturm der Südsee" hat James Cook die Insel Tanna im Südwestpazifik beschrieben, auf der das Spielfilmdebüt der australischen Dokumentarfilmer Martin Butler und Bentley Dean entstanden ist: Eine zeitlose Liebesgeschichte nach wahren Begebenheiten, die unter den Einheimischen spielt und auch mit diesen in allen Rollen besetzt ist.
    Seit Anbeginn der Zeit – so heißt es in der Einleitung – haben die Ältesten Ehen arrangiert. Doch zwei Liebende beschlossen, einen anderen Weg einzuschlagen. Die beiden sind die junge Wawa, die gerade das Ritual der Initiation zur Frau gefeiert hat, und Dain, der Enkel des Dorf-Ältesten. Sie treffen sich heimlich und malen sich bereits aus, wie sie eines Tages Kinder haben werden.
    Nach dem Willen der Gemeinschaft aber soll Wawa mit einem Mann von einem anderen Stamm verheiratet werden, um so eine lang andauernde Feindschaft zwischen den Stämmen zu beenden und die Erblinien wieder zusammenzuführen.
    Diese Ankündigung lässt den beiden Liebenden keine andere Möglichkeit: Sie müssen fliehen. Es sind Echos von Shakespeares Romeo und Julia, die in "Tanna – Eine verbotene Liebe" zu vernehmen sind. Ein wenig wirkt diese Geschichte bemüht und theatralisch. Auch wegen des laienhaften Spiels der Akteure. Stärker als die fiktiven Elemente sind aber die dokumentarischen Bilder, die vom Leben und den traditionellen Bräuchen eines Naturvolks erzählen.
    "Tanna – Eine verbotene Liebe": zwiespältig
    "I am not your Negro" von Raoul Peck
    Wenn die Anmutung einer Musik etwas über die Dringlichkeit eines Filmstoffs aussagt, den sie untermalt, dann muss es sich bei "I am not your Negro" zweifellos um einen virulenten Film handeln. Ein unvollendeter, 30 Seiten langer Essay des afroamerikanischen Schriftstellers James Baldwin, der 1987 starb, hat dabei dem Filmemacher Raoul Peck als Gerüst gedient.
    Der Essay ist die ernüchternde Bestandsaufnahme einer US-amerikanischen Gesellschaft, die noch weit davon entfernt ist, Rassismus und Diskriminierung überwunden zu haben. Es sind mahnende Worte, die selbst heute – mehr als 50 Jahre nach dem Civil Rights Act und im Jahr eins nach dem ersten schwarzen US-Präsidenten – nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt haben.
    Er sei, so betont James Baldwin in einem Fernsehinterview, kein Nigger, sondern ein Mensch. Wer glaube, dass er ein Nigger sei, der brauche auch einen. Die Frage, die sich die weiße Bevölkerung hier stellen müsse, lautet: "Wenn ich nicht der Nigger bin und ihr ihn erfunden habt, dann müsst ihr herausfinden warum." Die Zukunft des Landes hänge davon ab, sich dies fragen zu können.
    Es ist der Mangel an Geschichtsbewusstsein und echter Aufarbeitung der Vergangenheit, den Baldwin moniert. Seine Gedanken verknüpft er dabei mit dem Wirken der drei ermordeten schwarzen Bürgerrechtler Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King und ihren ganz unterschiedlichen Strategien.
    Archivaufnahmen, Nachrichtenbilder, Ausschnitte aus Spielfilmen sowie die Gedanken Baldwins – im Original gesprochen von Samuel L. Jackson, in der deutschen Fassung von Samy Deluxe – verschmelzen bei Raoul Peck zu einem wichtigen, wuchtigen und wütenden Filmessay. Wie gesagt: Ein dringlicher Film.
    "I am not your Negro": herausragend