Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Neue Filme, neues Filmjahr
Familienbande(n)

Die finalen Filmstarts 2018 erzählen Familiengeschichten: Aus Japan kommt der Cannes-Gewinner „Shoplifters“, aus dem Iran „Drei Gesichter“, die Tragikomödie „Der Junge muss an die frische Luft“ zeigt Hape Kerkelings Kindheit. Familiär wird es auch 2019, wenn etwa "The Manson Family" ins Kino kommt.

Von Jörg Albrecht | 27.12.2018
    Bei der Premiere des Filmes "Der Junge muss an die frische Luft" steht Kinderdarsteller Julius Weckauf (r.), der den jungen Hape spielt, neben dem berühmten Entertainer.
    Bei der Premiere des Filmes "Der Junge muss an die frische Luft": Julius Weckauf (r.), der den jungen Hape spielt, ist eine Wucht. (Caroline Seidel/dpa )
    Sie sind ein eingespieltes Team. Mit Blicken und Handzeichen verständigen sich Vater und Sohn, während sie durch einen Supermarkt streifen. Immer wieder lässt der Junge Lebensmittel in seinem Rucksack verschwinden. Auf dem Heimweg sehen die zwei dann ein kleines Mädchen in der Kälte sitzen und nehmen es kurzerhand mit zu sich nach Hause.
    "Man wird glauben, wir haben sie entführt."
    "Das ist doch Quatsch. Die sind doch froh, dass sie weg ist."
    Familienporträt über Zusammenhalt und Fürsorglichkeit
    Die Kleine wird bei ihnen bleiben und von jetzt an zur Familie gehören. Die besteht aus fünf Personen, die alle auf engstem Raum in einem kleinen Haus leben. Mit Gelegenheitsjobs und Diebstählen hält sich die eingeschworene Gemeinschaft am Rande der japanischen Gesellschaft über Wasser.
    "Ich habe gedacht, dass sie bestimmt nach Hause gehen will."
    "Ich glaube, sie hat sich für uns entschieden."
    Prekäre Verhältnisse verbindet man nicht unbedingt mit Japan. Insofern dürfte das Thema von Hirokazu Kore-Edas Film manche überraschen. "Shoplifters" ist ein einfühlsames Familienporträt über Zusammenhalt und Fürsorglichkeit: berührend und doch jenseits von Sozialkitsch.
    "Shoplifters – Familienbande": empfehlenswert
    "Entschuldige, ich habe es nicht mehr geschafft. Ich bin mit einer Freundin etwas weiter außerhalb unterwegs."
    "Einer Freundin? Du bist unterwegs und drehst mit einem Freund einen Film. Das erzählen sich hier alle."
    Trotz eines 20-jährigen Berufsverbots, mit dem Jafar Panahi 2010 belegt worden ist, schafft es der iranische Regisseur immer wieder, Filme in seiner Heimat zu drehen. In allen sind die Restriktionen Thema und in allen taucht Panahi selber auf. So auch in "Drei Gesichter", in dem er zusammen mit der Schauspielerin Behnaz Jafari, die sich ebenfalls selbst spielt, mit dem Auto aufs Land fährt. Die Beiden wollen die Echtheit eines Handyvideos überprüfen. Das Video zeigt ein Mädchen, das sich das Leben nimmt, nachdem ihm seine Familie verboten hat, auf die Schauspielschule zu gehen.
    Fiktives mischt sich mit der Realität
    "Also, du kannst mir sagen, was du willst! Das ist doch alles inszeniert. Ein kleines Mädchen führt uns hier an der Nase rum."
    Wie schon in Panahis vorherigen Filmen mischt sich in "Drei Gesichter" Fiktives mit der Realität. Diese Doppelbödigkeit, mit der der Regisseur die Geschichte oft auf eine Metaebene hebt, ist nicht nur spannend. Sie ist auch eine Hommage an die – häufig ähnlich – selbstreflexiven Werke seines 2016 verstorbenen Landsmannes Abbas Kiarostami.
    "Drei Gesichter": empfehlenswert
    "Jetzt schauen Sie sich das mal an! Hier kommt sie: die schwebende Jungfrau aus Wuppertal."
    Früh übt sich, was einmal ein Meister werden will. Hat Schiller 1803 getextet und Hape Kerkeling im Kindesalter in den 1970er-Jahren beherzigt. Statt als pummeliger Junge unfreiwillig komisch zu sein, nimmt er das Produzieren von Lachern selbst in die Hand. Das alles schildert Hape Kerkeling in seiner Autobiografie "Der Junge muss an die frische Luft", die jetzt von Caroline Link verfilmt worden ist. Die Kindheit aber ist nicht nur eine heitere Zeit gewesen. Als Neunjähriger musste Kerkeling den Freitod seiner Mutter verkraften.
    Tragikomödie mit stimmigem Zeitkolorit
    Dass "Der Junge muss an die frische Luft" eine so wunderbare Tragikomödie mit stimmigem Zeitkolorit werden konnte, ist nicht zuletzt das Verdienst eines Nachwuchstalents. Julius Weckauf, der den jungen Hape spielt, ist eine Wucht.
    "Tante Gertrud kannst du neben Opa Hermann setzen. Der hört nicht mehr so gut."
    "Der Junge muss an die frische Luft": herausragend
    "Alles was das Licht berührt, ist unser Königreich."
    Die Worte kommen einem bekannt vor, die Bilder dazu sind aber nicht mehr gezeichnet. Sie dokumentieren den neuesten Stand der Tricktechnik. "Der König der Löwen" ist einer der nächsten Klassiker aus dem Portfolio von Disney, der 2019 neu aufgelegt wird. Und auch "Dumbo" und "Aladdin" wird es in modernen Versionen geben. Längst ist Disney mit seiner Strategie des Eventfilms Marktführer und im nächsten Jahr dürfte sich der Abstand auf die Konkurrenz noch vergrößern, denn auch die Finals der "Star Wars"- und der "Avengers"-Reihe stehen an.
    "Das Ende ist ein Teil des Weges."
    Originäre Produktionen sind Mangelware
    Neben zahllosen Fortsetzungen sind wirklich originäre Produktionen der großen Filmstudios Mangelware. Ein Höhepunkt aber ist sicher "Once upon a Time in Hollywood", der neue Film von Quentin Tarantino über die Morde der Manson Family. Und wer Martin Scorseses neuen Mafiakrimi mit DeNiro, Pacino und Keitel sehen will, der braucht gar nicht mehr ins Kino zu gehen. "The Irishman" ist eine Netflix-Produktion. Der Streaming-Anbieter gräbt den Kinos immer mehr das Wasser ab – nach dem Drama "Roma" von Alfonso Cuaron und dem Western "The Ballad of Buster Scruggs" der Coen-Brüder.
    Das erste Meisterwerk des Jahres aber startet schon am 24. Januar: Es heißt "The Favourite", spielt am Hof der britischen Königin Anne im frühen 18. Jahrhundert und ist vieles, aber ganz sicher kein Kostümfilm von der Stange.
    "Liebste Königin, was macht das Reich?"
    "Euer Majestät!"
    "Ich will jetzt die Musik genießen."
    "Das ist Irrsinn."