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Neue Filme
"Nichts passiert", "69 Tage Hoffnung", "Ungezähmt"

Mit "69 Tage Hoffnung" kommt ein Spielfilm in die Kinos, der über das Grubenunglück in Chile im Jahr 2010 erzählt. Außerdem diese Woche neu im Kino: der Dokumentarfilm "Ungezähmt - Von Mexiko bis Kanada" über ein Abenteuer mit Wildpferden sowie das Drama "Nichts passiert".

Von Jörg Albrecht | 10.02.2016
    In einer Szene des Dokumentarfilms "Ungezähmt - Von Mexiko bis Kanada" reitet Thomas Glover auf seinem Pferd C-Star in die Abendsonne
    In einer Szene des Dokumentarfilms "Ungezähmt - Von Mexiko bis Kanada" reitet Thomas Glover auf seinem Pferd C-Star in die Abendsonne (Fin & Fur Films / NFP marketing & distribution)
    "Nichts passiert" von Micha Lewinsky
    Thomas aus "Nichts passiert" ist nach eigener Überzeugung "einfach ein normaler, netter Mann." Man möchte ihm auf der Stelle glauben. Schließlich wird dieser Thomas von Devid Striesow verkörpert. Dessen Physiognomie passt geradezu perfekt zu Charaktereigenschaften wie Freundlichkeit, Sanftmut und Harmlosigkeit. Hätte es da nicht diesen einen Zwischenfall gegeben: Betrunken und mit voller Absicht hat Thomas den Wagen eines Arbeitskollegen gerammt. Dank einer Therapie aber, schwört Thomas, hat er jetzt seinen Alkoholkonsum wie auch seine Aggressionen im Griff. Er sei "auf jeden Fall keiner, um den man sich Sorgen zu machen brauchte."
    Regisseur Micha Lewinsky beginnt seinen Film "Nichts passiert" mit der letzten Sitzung bei der Therapeutin. Danach schickt er Thomas mit schlecht gelaunter Ehefrau und noch schlechter gelaunter Tochter in den Winterurlaub. Außerdem auf der Reise mit dabei: Sarah, die Tochter seines Chefs. Als Thomas die beiden Mädchen nachts von einer Feier abholt, trifft er auf eine vollkommen aufgelöste Sarah.
    "Was ist denn los? Ist irgendwas passiert?"
    "Severin hat mit mir geschlafen ... Ich habe gesagt, dass er aufhören soll."
    Die Schilderungen lassen nur einen Schluss zu: Sarah ist vergewaltigt worden. Thomas überlässt dem minderjährigen Mädchen die Entscheidung, ob es eine Anzeige erstatten will. Während er mit der Situation überfordert ist, führt ihn seine Sehnsucht nach einem harmonischen Miteinander immer mehr in ein Geflecht aus Lügen. Plötzlich droht ihm alles zu entgleiten.
    "Warum bist du dann mitgekommen, wenn du das so scheiße findest? Willst du lieber, dass ich dich allein lasse mit den Mädchen?"
    "Nein, das habe ich nicht gemeint."
    "Was hast du dann gemeint? Jetzt sag mal, was du meinst."
    Behutsam, aber entschlossen dreht Regisseur Lewinsky an der Spannungsschraube. Er wird die Handlung bis ins Groteske steigern und den Zuschauer zu einem Komplizen von Thomas´ moralischem Dilemma aus Konfliktbewältigung und Harmoniesucht machen. Die Katastrophe ist unausweichlich, ihr Ausgang jedoch mindestens so unerwartet wie der in Woody Allens Film "Match Point".
    "Nichts passiert": empfehlenswert
    "69 Tage Hoffnung" von Patricia Riggen
    "31, 32, 33 ... Wir sind alle da."
    2010 im chilenischen San José: Die Fernsehkameras verfolgen wochenlang in einem beispiellosen Medienspektakel die Rettungsaktion von 33 Männern, die in einer Mine in 700 Metern Tiefe eingeschlossen sind.
    Wahre Geschichten, die vom Überlebenswillen handeln, lassen sich geradezu perfekt als pathosgeschwängerte Dramen inszenieren. Genau das zeigt der Film "69 Tage Hoffnung", in dem die mexikanische Regisseurin Patricia Riggen die Ereignisse um die 33 Bergleute rekonstruiert.
    "Sie warten drei Tage, dann schließen sie die Mine und stellen Grabsteine auf. – Nein. Ich glaube, dass wir hier herauskommen, weil ich beschlossen habe, es zu glauben. Alle 33."
    Der Wechsel zwischen Durchhalteparolen und Momenten der Verzweiflung – unter wie über Tage – gibt den Rhythmus des Films vor. Der bebildert das Unglück und die Rettungsaktion zwar handwerklich sauber, liefert aber kaum mehr als eine Nacherzählung. Spannender wäre ein Film gewesen, der zeigt, welche psychischen und physischen Folgen das Unglück, aber auch der Medienrummel für die Bergleute gehabt haben. Denn für die meisten der 33 ist das Leben nach dem 13. Oktober 2010, dem Tag ihrer Rettung, nicht mehr dasselbe.
    "69 Tage Hoffnung": zwiespältig
    "Ungezähmt" von Phillip Baribeau
    "Tom, Ben, Johnny und ich haben zusammen studiert. Wir haben gerade unseren Abschluss gemacht und es ist der beste Zeitpunkt in unserem Leben, uns auf so ein Abenteuer zu begeben."
    Wären die vier Absolventen doch besser - wie so viele ihrer Kommilitonen auch – zu einem ausgedehnten Spring Break nach Florida aufgebrochen oder sonst wohin, um die Sau rauszulassen. Dann wären erstens 16 Wildpferden einige Strapazen erspart geblieben und zweitens dem Zuschauer diverse Adrenalinschübe. Denn "Ungezähmt" von Dokumentarfilmer Phillip Baribeau schildert einen 3.000 Meilen langen Abenteuerritt durch Nordmamerika: von Mexiko bis Kanada. Es ist eine Reise, die auf dem Rücken der Pferde ausgetragen wird. Im wahrsten Sinne des Wortes. Freiwillig hätte wohl kaum einer der Mustangs die Rocky Mountains gequert.
    "Ich will noch kein Haus kaufen, heiraten und Kinder haben, weißt du? Ich will Spaß haben und ein verrücktes Abenteuer wie das erleben, solange es eben noch geht."
    Der schnöselige Klang der deutschen Stimmen, die über die Originalversion gelegt worden sind, entlarvt das Wesen der vier erwachsenen Männer. Die befinden sich auf dem intellektuellen Niveau von 15-Jährigen in der Pubertät. Unter dem Deckmantel der angeblich tiefen Verbundenheit zwischen Wildpferd und Mensch will der Film auf das Schicksal der 50.000 Mustangs aufmerksam machen, die derzeit in Gefangenschaft leben. Das allerdings mit diesem unnatürlichen Gewaltritt zu versuchen, ist einfach nur schändlich.
    "Ungezähmt - Von Mexiko bis Kanada": ärgerlich