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Ohne Berührungsängste durch alle Milieus

Nach einer Pause von 14 Jahren hat Matthew Warchus jetzt seinen zweiten Spielfilm inszeniert. Die britische Sozialkomödie "Pride" handelt von streikenden Bergarbeitern im Jahr 1984, die ungewöhnlichen Besuch aus London bekommen.

Von Jörg Albrecht | 29.10.2014
    "Pride" von Matthew Warchus
    "Was kann schon groß passieren? – Oh hallo, ich vertrete eine Meute schriller Homosexueller. – Gibt es bei Ihnen auch öffentliche Saunas? ... - Wenn wir das durchziehen wollen, müssen wir das ernst angehen."
    Wie man sich seinen Humor in prekären Lebenslagen bewahrt, ist seit vielen Jahren eine Stärke des britischen Kinos. Selbst wenn das Schicksal mit seiner ganzen Härte zuschlägt, müsse es immer noch was zu lachen geben. Sonst könne man gar nicht weitermachen. Das hat Ken Loach einmal gesagt. Der Meister der Sozialkomödie britischer Prägung ist mit seinen Filmen über die Lage der Arbeiterklasse Vorbild gewesen für zahlreiche andere Regisseure der Insel.
    "Pride" von Matthew Warchus aber ist nicht nur eine Verbeugung vor Ken Loach. Der nach einer wahren Geschichte entstandene Film ist selber ein Meisterstück des Genres. 1984 beschließt eine kleine Gruppe Schwuler und Lesben aus London, die streikenden Bergleute in Wales finanziell und moralisch zu unterstützen. Schließlich kämpften sie in dem von der "Eisernen Lady" regierten Land gegen denselben Feind.
    "Die kleinen Bergbaustädte werden mindestens so schikaniert wie wir. Von der Polizei, von dem Brechmittel Boulevardpresse und von der Regierung. – Sollen wir sie mal ganz fest drücken? – Nein. Was sie brauchen, ist Geld."
    Dass sich ausgerechnet homosexuelle Aktivisten mit ihnen solidarisieren, lässt die Streikenden nicht gerade in Euphorie verfallen. Für viele Bergleute sind die Unterstützer aus London ein Haufen Perverser. Und der hat jetzt auch noch seinen Besuch angekündigt, um die Spenden persönlich abzugeben. Nur dem couragierten Auftreten einiger Ehefrauen der Kumpel ist es zu verdanken, dass die breite Front der Ablehnung nach und nach bröckelt.
    "Darf ich fragen, was du hier machst? – Ich bequatsche was Kev. – Das kannst du jeden Tag. Du gehst da sofort rüber und suchst dir eine Lesbe oder einen Schwulen. – Hör mal, Hefina ... ich will mich nicht aufdrängen. Das könnte einen falschen Eindruck vermitteln. – Natürlich. Weil du so dermaßen unwiderstehlich bist."
    Und mit einer unwiderstehlichen Leichtigkeit setzt auch Regisseur Matthew Warchus sein wunderbares Ensemble – unter anderem Bill Nighy und Imelda Staunton – in Szene. Sein lebensbejahender Film über Freundschaft, Toleranz und Gemeinsinn steckt voller Humor und Herz, besticht mit pointierten Kommentaren, berührenden Momenten sowie entwaffnendem Charme und ist dabei immer geerdet und authentisch.
    "Pride": herausragend.
    "Zwei Tage, eine Nacht" von Jean-Pierre und Luc Dardenne
    "Wenn man dann merkt, dass man einen Freund hat, von dem man überhaupt nichts wusste, ist das das Schönste auf der Welt."
    Sagt einer der Bergleute in „Pride". Von Solidarität erzählt auch das belgische Bruderpaar Jean-Pierre und Luc Dardenne in seinem Film "Zwei Tage, eine Nacht". Mag sie unter Freunden üblich sein – unter Arbeitskollegen ist Solidarität nicht an der Tagesordnung. Diese schmerzliche Erfahrung muss die von Marion Cotillard gespielte Sandra machen, als ihr gekündigt wird. Die Kündigung würde ihr Chef aber wieder zurücknehmen, wenn sich die Belegschaft für den Verbleib Sandras in der Firma und gegen eine Bonuszahlung für jeden Einzelnen ausspricht. Sandra bleiben genau zwei Tage und eine Nacht, um ihre Kollegen zu überreden, für sie und damit gegen die Prämie zu stimmen. Es beginnt ein regelrechtes Spießrutenlaufen.
    "Ich fühle mich jedes Mal wie eine Bettlerin. ... Sie sehen mich an, als wollten sie mir eine reinhauen. Und ich möchte ihnen auch am liebsten eine reinhauen. Ich gehe schlafen. – Wir hatten gesagt, dass wir noch zu Miguel gehen. – Nein. Ich höre auf. Ich sehe sie Montag. – Sandra! Es sind immerhin Fünf von Zehn, die wollen, dass du bleibst. – Es sind genau Zwei. Die Anderen habe ich dazu genötigt mich zu bemitleiden."
    Doch den erlösenden Humor, den ein Ken Loach in diese Geschichte eingestreut hätte, sucht man bei den Dardennes vergeblich. Die Brüder schildern Sandras Kampf um ihre Zukunft in sachlich-nüchternen Bildern. Jedes ihrer Gespräche mit den Kollegen entwickelt eine eigene Dynamik. Da sind solche, die in Krisenzeiten nur an sich denken, und jene, die zu Mitgefühl fähig sind. Das ist auf den ersten Blick wenig spektakulär, trifft uns Zuschauer aber dennoch mit voller Wucht.
    "Zwei Tage, eine Nacht": empfehlenswert.
    "Das Salz der Erde" von Wim Wenders und Ribeiro Salgado
    "Was ich da sah, berührte mich zutiefst. Vor allem dieses Bild hier. Das Porträt einer blinden Tuareg-Frau."
    Wim Wenders über eine Fotografie von Sebastião Salgado, die seit über 20 Jahren in seinem Arbeitszimmer hängt. Dass der deutsche Filmemacher zutiefst beeindruckt ist von Leben und Werk des brasilianischen Fotografen, ist in jeder Sekunde seiner Dokumentation "Das Salz der Erde" zu spüren.
    "Eines wusste ich also schon von diesem Sebastião Salgado: Menschen waren ihm wichtig. Er liebte sie."
    Dabei lässt sich Wenders andächtiger Tonfall leicht verschmerzen, denn der Regisseur gibt dem Künstler Zeit, seine Arbeiten, die ihn an die faszinierendsten und grausamsten Orte der Erde geführt haben, ausführlich zu erklären, aber auch zu hinterfragen. Es ist der Widerspruch von der Schönheit des Planeten und dem menschlichen Elend, dem Salgado immer wieder begegnet ist und der hier tief berührt. Er macht den Reiz von Salgados grandiosen Schwarz-Weiß-Fotografien aus wie auch von Wim Wenders hypnotischem Film.
    "Das Salz der Erde": empfehlenswert.