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Neue Filme
Rollenspiele und Geschlechterrollen

Aus seiner Videoinstallation "Manifesto" mit Cate Blanchett machte Julian Rosefeldt einen Film. Ein besonderes Tennisduell zeigt "Battle of the Sexes – Gegen jede Regel". Rosa von Praunheim porträtiert in "Überleben in Neukölln" den Berliner Problembezirk.

Von Jörg Albrecht | 22.11.2017
    Cate Blanchett als Punkerin in einer Szene des Films "Manifesto". Der Film kommt am 23.11.2017 in die deutschen Kinos.
    Cate Blanchett als Punkerin in einer Szene des Films "Manifesto". (picture alliance / DCM / dpa)
    "Manifesto" von Julian Rosefeldt
    Suprematismus, Estridentismus, Vortizismus: Kann man an einem Film, der eineinhalb Stunden lang Ansichten von Vertretern dieser und noch vieler anderer Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts auflistet, auch ohne Kunstgeschichtsstudium Gefallen finden? Die Antwort: Ja, unbedingt. Denn die dargebotenen Texte werden nicht einfach nur gelesen und bebildert. Die Texte werden "performt". Und das von einer der besten Schauspielerinnen der Gegenwart.
    "An old world is dying, a new one is being born. Capitalist civilization, which has dominated the economic, political and cultural life of continents, is in the process of decay."
    Cate Blanchett ist die Aktionskünstlerin in Julian Rosefeldts Filmprojekt "Manifesto". In der Rolle eines männlichen Obdachlosen durchstreift sie in der ersten Szene ein verlassenes Fabrikgelände. Aus dem Off hören wir ihre Stimme. Sie erzählt von einer sterbenden Welt und einer neuen, die geboren wird. Und von der kapitalistischen Zivilisation, die untergeht. Ein Text des US-amerikanischen Kommunisten John Reed – verfasst 1932 und von erstaunlicher Aktualität. Wie alle hier zitierten Gedankenspiele über die Weltsicht und die Aufgabe der Kunst.
    Insgesamt sind es zwölf Tableaus und die gleiche Anzahl an Figuren, die Julian Rosefeldt in "Manifesto" darbietet. Sein kunst- und zivilisationskritischer Bilderbogen ist intellektuell fordernd, fantasievoll bebildert und vor allem ist er großartig gespielt.
    "Manifesto": herausragend
    "Battle of the Sexes" von Jonathan Dayton und Valerie Faris
    "Hier ist Bobby. Bobby Riggs."
    "Es ist nach Mitternacht, Bobby. Könnten wir das Gespräch vielleicht verschieben?"
    "Du und ich, Billie Jean. Drei Sätze, fünf Sätze. Deine Entscheidung."
    "Bist du betrunken, Bobby?"
    "Natürlich nicht. Wie hört sich das an? Mann gegen Frau."
    Chauvinist gegen Feministin: Das Duell der beiden Tennislegenden Bobby Riggs und Billie Jean King, das 1973 als "Kampf der Geschlechter" für mediales Aufsehen gesorgt hat, ist Aufhänger einer launigen Komödie, deren Thema nicht nur die Gleichberechtigung ist. Sie handelt auch vom fehlenden Respekt des Mannes gegenüber der Frau. Die sexuellen Übergriffe in Hollywood, die in den vergangenen Wochen bekannt geworden sind, unterstreichen mehr als deutlich, dass diesem Thema keine zeitgeschichtliche Patina anhaftet.
    "Irgendwelche letzten Worte vor dem Match, Bobby?"
    "Nun, dieses Match ist für alle Kerle auf der Welt, die ebenso denken wie ich, dass der Mann der König ist und der Frau überlegen."
    "Schluss mit Reden! Spielen wir!"
    Ob der von Steve Carell gespielte Bobby Riggs wirklich ein solcher Macho war oder einfach nur wusste, was er für eine gute Show tun muss, liegt im Auge des Betrachters. Als Clown jedenfalls überstrahlt er den anderen und weitaus intimeren Teil von "Battle of the Sexes". Der zeigt – im Stil einer klassischen Filmbiografie – Emma Stone in der Rolle der damals 29-jährigen Billie Jean King als Frau, die gerade ihre Homosexualität entdeckt und die unermüdlich für die Gleichstellung von Frau und Mann kämpft.
    "Battle of the Sexes – Gegen jede Regel": akzeptabel
    "Überleben in Neukölln" von Rosa von Praunheim
    "Lothar, wie hältst du das eigentlich mit mir aus? Also, ich würde es selbst nicht mit mir aushalten."
    "Für mich bist du ja Stefan. Die Juwelia bist du ja nur zeitweise."
    "Ja, die schwingt ja so mit. So, wie es ist, ist es ja gut. Vielen Dank, dass du mich so nimmst."
    Nicht nur einen Menschen, sondern gleich einen ganzen Stadtteil zu finden, der einen nimmt, wie man ist: Von diesen Orten dürften vor allem Idealvorstellungen existieren, und auch der Berliner Bezirk Neukölln wird bei Rosa von Praunheim zu einer Projektion von buntem und tolerantem Miteinander. Statt von sozialen Schieflagen, Bandenkriminalität und Problemschulen erzählt von Praunheim von den besonderen Menschen im Kiez – von Menschen wie Stefan Stricker, der sich in seinem Alltag immer wieder in den Travestiekünstler Juwelia verwandelt. Stefan ist der zentrale Charakter im Dokumentarfilm "Überleben in Neukölln".
    In Rosa von Praunheims ganz persönlichem Blick auf den Schmelztiegel finden sich neben Stefan alias Juwelia die Theatertruppe der Rixdorfer Perlen, der aus Kuba stammende Sänger und Tänzer Joaquin la Habana und die 89-jährige Frau Richter, die in Neukölln die Liebe zu einer Frau fand.
    "Jetzt kommen die feinen Leute. Jetzt sind hier sechs Cafés. So viel Kaffee können wir gar nicht trinken."
    Gentrifizierung ist zwar immer wieder Thema in den Gesprächen, die Rosa von Praunheim geführt hat. Im Mittelpunkt aber stehen eindeutig die Bewohner und ihre Lebensgeschichten. Im Fall von Stefan verlässt der Film dafür sogar Neukölln. Das Kiezporträt verwandelt sich immer mehr in ein Juweilia-Porträt und verliert dabei sein eigentliches Thema ein wenig aus den Augen.
    "Überleben in Neukölln": akzeptabel