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Trauer und Krisen

Lakonisch, ängstlich und abgründig - sie tauchen ein in die Tiefen der menschlichen Psyche, die Filme "Weißer weißer Tag" von Hlynur Pálmason, "Cronofobia" von Francesco Rizzi und "Bliss" von Joe Begos. Zur Begeisterung unseres Filmkritikers.

Von Hartwig Tegeler | 19.02.2020
Blick herab auf eine Frau, die auf karierten steht und die Decke malt
Über Kunst und Künstlerin - Dora Madison in "Bliss" von Joe Begos (www.imago-images.de)
Lakonisch ist der Tod. Das Auto rast im Nebel durch die Seitenplanke in den Abgrund. Dann zeigt die Kamera ein Gehöft in der isländischen Weite in einer Art Zeitraffer verschiedener Jahreszeiten. Mal mit Schnee, mal mit Pferden, dann ein Mensch. Der Zeitraum von zwei Jahren – nach dem Unfall. Regisseur Hlynur Pálmason gibt seinem Film "Weißer weißer Tag" mit dieser Einstellung von Anfang an eine lähmende Statik, und so wirkt auch Ingimundur, dessen Frau bei dem Unfall starb. Der beurlaubte Polizist beim Psychologen:
"Beschreiben Sie sich."
"Ich bin ein Mann."
"Weiter."
"Ein Vater, Großvater, Polizist, Witwer."
"Was wollen Sie?"
"Ein Haus bauen."
"Was wollen Sie nicht?"
"Aufhören zu bauen."
Von der Unfähigkeit zu trauern
Ingimundur will das Gehöft für seine Tochter umbauen. Liebevoll kümmert er sich auch um seine Enkelin; sie ist ohne Frage ein Halt für den Witwer. Am Anfang von "Weißer weißer Tag" steht ein Sprichwort. Wahrscheinlich aus Island. "An den Tagen, an denen alles weiß ist, und es keinen Unterschied zwischen Himmel und Erde gibt", lesen wir, "sprechen die Toten mit uns, die wir noch lieben". Ingimundur befindet sich in diesem weißen Zwischenzustand. Aber ein Verdacht nährt sich in ihm:
"Ich glaube, sie hat mich betrogen."
"Glaubst du?"
"Ich hatte irgendwie immer wieder das Gefühl, dass sie etwas verheimlichte."
Nun sucht er den Mann, mit dem seine Frau tatsächlich eine Affäre hatte. Es war nicht nur Einbildung. Ingimundur will sich rächen. "Weißer weißer Tag" erzählt von der Unfähigkeit dieses Mannes zu trauern. Wenn er durch die einsamen Weiten Islands fährt, wirkt er wie verloren, und die Landschaft wird in ihrer Kargheit und gnadenlosen Leere zum Spiegel dieses Gefühls. Ingimundur löst sich dabei fast auf in seiner Wut, die sich am Ende entlädt. Seine Enkelin rettet ihn dabei vor dem anderen Mann mit dem Messer, vor allem aber rettet sie den Großvater vor sich selbst.
Er sagt: "Wir gehen jetzt nach Hause."
"Weinst du?" Fragt die Enkelin.
Natürlich weint er, trauert endlich.
"Weißer weißer Tag" von Hlynur Pálmason – herausragend.
Francesco Rizzi erzählt in "Cronofobia" von zwei ganz unterschiedlichen Menschen, die aber beide von dieser merkwürdigen Angst besessen sind, dass die Zeit, dass die Ereignisse zu schnell an ihnen vorüberziehen. Das meint Chronophobie. Und damit werden Michael und Anna auf unterschiedliche Weise zu Gefangenen. Michael hat kein Zuhause, lebt in seinem Lieferwagen, ist immer unterwegs in der Schweiz. Er arbeitet als Testkäufer. Ihm wohnt eine Gnadenlosigkeit inne, wenn er in Supermärkten, Büros oder an Tankstellen seinen Job macht: "Ich mag es, wenn ich mich irgendwo fremd fühle."
Nachts beobachtet er dann Anna, die wie eingeschlossen ist in ihrem Haus. Anna hat einen traumatischen Verlust erlitten. Immer wieder tauchen Bilder von ihrem toten Mann auf. Sie kann nicht schlafen´: "Als ich klein war, habe ich immer gedacht, Schlafen sei nichts als reine Zeitverschwendung."
Eine Geschichte in Andeutungen
Anna flüchtet einmal vor ihren übergriffigen Eltern in Michaels Lieferwagen; schläft sofort ein. Eine merkwürdige, alles andere als konventionelle Obsession entwickelt sich zwischen Beiden. Also zwischen dem, der sich nicht binden will und umherirrt und der, die sich in ihrem Haus eingeschlossen hat.
Francesco Rizzi erzählt seine Geschichte in Andeutungen. Wir erfahren beispielsweise nicht, wie Michael auf Anna gestoßen ist. Und ob er Schuld am Tod ihres Mannes hat, auch das wird nie klar. Aber das verleiht "Cronofobia" eine eigenwillige Aura, ein Gefühl, dass sich in der Realität, die wir sehen, der Schein manchmal sehr machtvoll vor das Sein geschoben hat, und dass sich die beiden Protagonisten schwer aus dem Gefangensein in ihrer Vergangenheit und in ihren Geheimnissen befreien können.
"Cronofobia" von Francesco Rizzi – herausragend.
Abgründiges Los Angeles. Als gar nichts, rein gar nichts mehr geht mit dem Malen, wirft Dezzy in Klo irgendeiner düsteren Bar die Designerdroge "Bliss" ein. Eine ambivalente Sache, das mit der "Glückseligkeit" - deutsche Übersetzung für "Bliss" -, denn auf der einen Seite explodiert Dezzys Kreativität:
"It was like I was posessed."
"Ich fühlte mich, als sei ich besessen", sagt sie in Jeff Begos Film "Bliss". Aber die andere Seite dieser Besessenheit: Zu Dezzys Lust auf Farben paart sich die auf Blut. Auch gerne aus den Halsschlagadern unschuldiger Verehrer.
Lustvoll blutig inszeniert
Am Ende klärt sich sehr drastisch, ob diese Künstlerin sich in ihrer Kunst vergegenwärtigt oder ob die Kunst die Künstlerin ganz in sich aufnimmt. Wie sagte Dezzy, natürlich ohne zu wissen, welch dornenreichen und blutigen Weg sie nehmen musste:
"It´s gonna be my masterpiece."
"Es wird ein Meisterwerk." Dass Künstler Vampire sind, das ist keine neue Erkenntnis im filmischen Künstlerporträt, aber diese Erkenntnis so lustvoll blutig zu inszenieren, versehen mit allen Elementen des Splatter- und Gore-Genrefilms, das zeugt schon von einer drastischen Konsequenz, die zu diesem abgründigen Los Angeles im Film wunderbar passt.
"Bliss" von Joe Begos – bei uns im Original mit deutschen Untertiteln im Kino - empfehlenswert.