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Neue Filme
Von den Abgründen des Menschen

Die neuen Filme in dieser Woche handeln von Düsterem: Beispielsweise davon, wie ein junges Mädchen namens Anne Frank versucht, zusammen mit ihrer Familie den Nazi-Horror zu überleben. Oder davon, wie ein guter argentinischer Bürger das Monströse in sich lebt. Und von der Sinnlosigkeit des Lebens ohne Kunst.

Von Hartwig Tegeler | 02.03.2016
    Vater Arquimedes Puccio (Guillermo Francella, hinten) und Sohn Alejandro Puccio (Peter Lanzani) in einer Szene des Films "El Clan" ACHTUNG: Verwendung nur für redaktionelle Zwecke im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den genannten Film und nur bei Urheber-Nennung Foto: PROKINO Filmverleih/dpa
    Vater Arquimedes Puccio (Guillermo Francella, hinten) und Sohn Alejandro Puccio (Peter Lanzani) in einer Szene des Films "El Clan" (PROKINO Filmverleih / dpa )
    Welche Bedeutung hat die Kunst für den Menschen, für seine Geschichte, seine Evolution? Diesen Fragen nähert sich der russische Filmemacher Alexander Sokurow 2002 mit seinem Film "Russian Ark" an, indem er in einer 90-minütigen Einstellung - ohne Schnitt - durch die Kunstsammlung der St. Petersburger Eremitage "schwebt" und so Jahrhunderte russischer Geschichte vergegenwärtigt. In "Francofonia", seinem neuen Projekt, taucht Alexander Sokurow nun in die Welt des Pariser Louvre ein. Es ist die Zeit der Besetzung Frankreichs durch die Nazis: Nur die verschworene wie geheime Allianz zwischen dem deutschen Offizier Wolff-Metternich und dem Louvre-Direktor Jacques Jaujard schützt die Kunstschätze des Louvre vor den Raubzügen der Nazis. Parallel zu dieser historischen Ebene - dargestellt von Schauspielern - sehen wir Sokurow in seinem Arbeitszimmer, während er immer wieder mit einem deutschen Freund skyped. Der befindet sich mitten in einem Sturm auf dem Ozean, und zwar auf einem Frachter, der mit Kunstschätzen beladen ist. Das alles verbindet sich im Film "Francofonia" mit Sokurows Assoziationen und historischen Exkursen über die Kunst als Quelle von Humanität. Ein spannender, sehr reicher filmischer Essay.
    "Francofonia" von Alexander Sokurow - empfehlenswert.
    "Welchen fatalen Weg unser Land in Zukunft nie wieder beschreiten darf …"
    1983. Ende des Falklandkrieges. Niederlage der Argentinier. Die Militärs, die 1976 geputscht hatten, ziehen sich von der Macht zurück. Wenn es Kriegsgewinnler gibt, dann ist Arquimedes Puccio, die Hauptfigur in "El Clan", ein "Diktatur-Gewinnler". Doch was soll das Mitglied einer ehemaligen Todesschwadron jetzt machen, wo denn doch - aus seiner Sicht - eine Art von gesellschaftlichem Frieden einzukehren droht. Also macht der Mann zusammen mit seinem Sohn einfach weiter:
    "Es gibt mir viel Sicherheit, dich in solchen Momenten bei mir zu haben, Junge."
    … mit Entführung, Erpressung und Mord.
    "Hast Du prima gemacht."
    Nur, dass jetzt nicht die linken politischen Gegner seine Opfer sind, sondern Menschen aus gehobenen Kreisen. Sie entführt er in den Keller des eigenen Wohnhauses in einem gehobenen Wohnviertel von Buenos Aires. Doch der Sohn will irgendwann nicht mehr mitmachen.
    "Ich komme nicht mit morgen, Papa. - Und damit kommst du mir jetzt? Ich mache dich zum Teilhaber an allem und jetzt kommen dir Zweifel? - Ich will heiraten, Papa. - Du musst den Verstand verloren haben."
    Regisseur Pablo Trapero zeigt in seinem Film "El Clan" mit böser Kraft den Kontrast zwischen der bürgerlichen Idylle auf der einen und dem Monströsen, dem Abgründigen auf der anderen Seite, das sich nach außen hin als perfekte Normalität darstellt. Ein irrsinniges Bild: Der Vater nimmt von der Mutter aus der Küchenzeile einen Teller mit Essen, geht am Sohn, der auf dem Sofa abhängt, vorbei, schließt - immer noch mit dem Teller in der Hand - das Badezimmer auf, in dem in der Badewanne mit einem Sack über den Kopf das aktuelle Opfer angekettet ist, das später kaltblütig ermordet wird. Pablo Trapero zeichnet ein verstörendes Bild einer maroden Gesellschaft, in der das Ungeheuerliche einer Diktatur auch dann weitergeht, wenn die Demokratie schon angebrochen scheint. Eine sehr universelle Geschichte.
    "El Clan" von Pablo Trapero - herausragend.
    "Was sollen wir denn machen. Amsterdam soll für Juden abgeriegelt werden. - Wir müssen untertauchen. Und zwar sofort."
    Mehr als zwei Jahre schafft es die Familie Frank, sich auf 60 Quadratmetern mit anderen verfolgten Juden vor den Nazis im Haus in einem Haus hinter der Amsterdamer Fabrik zu verstecken.
    "Wann können wir die Fenster denn aufmachen? - Nie! Die Nachbarn dürfen nicht wissen, dass hier jemand lebt."
    Die 13-jährige Anne hält alles in ihrem Tagebuch fest:
    "Ich denke auch, dass sich später keiner, weder ich noch ein anderer für die Herzensergüsse eines 13-jährigen Schulmädchens interessieren wird."
    Regisseur Hans Steinbichler zeichnet in "Das Tagebuch der Anne Frank", seiner Adaption dieses Klassikers der Holocaust-Literatur, das Porträt eines Mädchens in der Pubertät, das klug, gewitzt, mal wütend, mal traurig, aufmüpfig, dann von den ersten Liebesgefühlen ergriffen versucht, das Grauen in diesem Gefängnis zu überleben. Und dabei präzise Beobachterin ist:
    "Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt jemanden interessiert, wie wir Juden hier gelebt, gegessen, gesprochen haben. Wie viel Angst wir haben, wenn bombardiert wird, und die Häuser zittern wie Grashalme im Wind."
    Martina Gedeck, Ulrich Noethen und Lea van Acken als Anne spielen überzeugend in Steinbichlers Film, der sich vor George Stevens' klassischer Hollywood-Adaption von 1959 nicht verstecken muss. Wir wissen, dass die Geschichte von Anne Frank mit dem Verrat an den verstecken Juden endet. Dass Hans Steinbichler es sich dann aber nicht verkneifen kann, am Ende die Deportation und gar KZ-Bilder zu inszenieren, also den Erzähl-Kosmos des Tagebuchs zu verlassen, wirkt schließlich dann doch sehr konventionell.
    "Das Tagebuch der Anne Frank" von Hans Steinbichler - trotzdem empfehlenswert.