Sonntag, 10. Dezember 2023

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Neue Filme
Von Kleinkriminellen und Weltpolitik

Die neuen Filme dieser Woche könnten unterschiedlicher nicht sein: Christoph Maria Herbst überzeugt als Bewährungshelfer in einer Sozial-Satire, eine neue Doku findet einen künstlerischen Ansatz, um über den Maidan in Kiew zu berichten und Werner Herzog enttäuscht mit seinem Film über die Nahost-Reisende Gertrude Bell.

Von Hartwig Tegeler | 02.09.2015
    Nicole Kidman als Gertrude Bell und James Franco als Henry Cadogan in "Königin der Wüste"
    Enttäuschend: Nicole Kidman als Gertrude Bell und James Franco als Henry Cadogan in Werner Herzogs "Königin der Wüste" (dpa / picture alliance / Prokino Filmverleih)
    "Die Kleinen und die Bösen" von Markus Sehr
    Credo des Bewährungshelfers. Teil 1.
    "Ein Straftäter im Gefängnis kostet täglich 130 Euro. Auf Bewährung nur 2,50 Euro."
    Und hier Teil 2 von Bennos beruflicher Selbstvergewisserung:
    "Auch unter der rauen Schale eines Horst Marzocha steckt irgendwo ein lernbereiter Klient, bei der sich die jahrelange Arbeit mit Geduld und Mühe später einmal bezahlt machen."
    Man sollte Bewährungshelfer Benno unbedingt nicht (!) glauben, wenn er hier über seinen Schützling, den Kleinkriminellen Horst, redet. Der durfte seinerseits von Benno erfahren, dass ihm mit dem Sorgerecht für seine beiden Kinder auch einiges an Kindergeld winkt. Markus Sehr inszeniert mit "Die Kleinen und die Bösen" eine manchmal komische, dann allerdings wieder sehr vorhersehbare Sozial-Satire von zweien, die sich bis kurz vor Ende nerven und dann ... nun ja. Die Überraschung dieses Films liegt nun allerdings darin, dass Christoph Maria Herbst als Bewährungshelfer und Gegenpart von Peter Kurth die Charakterzeichnung eines Mannes gelingt, dessen spießiger, auf Sicherheit ausgerichteter Lebensentwurf ihm jede Lebendigkeit raubt. Und dies spielt Herbst hier ganz und endlich einmal ohne "Stromberg"-Manierismen. Das macht aus "Die Kleinen und die Bösen" kein Meisterwerk, aber man schaut dem gerne zu.
    "Die Kleinen und die Bösen" von Markus Sehr - empfehlenswert.
    "Maidan" von Sergej Loznitsa
    In Delacroix´ Gemälde "Die Freiheit führt das Volk" von 1830 ist es die mythische Frauengestalt mit Fahne, die die Menschen zum Sieg der Freiheit führt. In Sergei Loznitsas Dokumentarfilm "Maidan" über die Ereignisse auf dem Kiewer Maidan-Platz Ende 2013 ragt keine mythische Figur heraus aus den Massen. "Maidan" zeichnet den Weg vom Volksfest bis zur bewaffneten Revolution nach. Am Ende hat die "Maidan"-Revolution über hundert Todesopfer gefordert; der verhasste Präsident Janukowitsch ist geflohen.
    Doch der in der Ukraine aufgewachsene Filmemacher Sergei Loznitsa, der jetzt in Berlin lebt, hat mit "Maidan" keine verwackelte Handy-Kamera-Doku gedreht, die Nähe zum Geschehen suggeriert. Im Gegenteil, der Film zeigt nur Totalen, ohne dass die Kamera - bis auf wenige Ausnahmen - schwenkt. "Maidan" hat so eine künstlerische Form gefunden, in der die Kamera mit den Totalen kühle Beobachterin der immer gewalttätigeren Kämpfe bleibt. Das Volk weigert sich, die Bühne zu verlassen, "bis die Frage nach der Würde des Volkes geklärt ist", sagt Sergei Loznitsa in einem Interview.
    Doch solche Sätze des Filmemachers unterstreichen den Eindruck, dass die Idee einer Revolution des Volkes hier erneut - wie im Gemälde von Delacroix - zum Mythos verklärt wird. Eine Kamera auf den Platz zu stellen und zu glauben, schon das gewährleiste historische Objektivität, das ist ziemlich naiv. Angesichts der undurchsichtigen und widersprüchlichen Gemengelage auf dem Maidan-Platz und des folgenden Krieges im Osten des Landes hinterlässt Loznitsas Bildkomposition einige Kopfschmerzen und Fragen, die der Film weder aufwirft noch beantwortet. Das allerdings macht ihn auch spannend.
    "Maidan" von Sergej Loznitsa - empfehlenswert.
    "Königin der Wüste" von Werner Herzog
    "Ich fühle mich so eingesperrt. Es nimmt mir die Luft zum Atmen. - Gertrude, was soll ich bitte dazu sagen."
    Werner Herzog hat für seinen Film "Königin der Wüste" an sich die Zutaten für einen wunderbaren Film. Die Wüste als Handlungsort. Und als Hauptfigur die von Nicole Kidman gespielte britische Aristokratin Gertrude Bell, die so besessen ist von ihrer Lebensvision, dass sie als Schwester von Fitzcarraldo oder einer der anderen männlichen Außenseiter aus dem Herzogschen Filmwerk durchgehen könnte.
    "Sie haben nicht die Macht, mich aufzuhalten. - Sie werden nicht aufbrechen. - Doch, das werde ich. Guten Tag, Gentlemen."
    Eine junge Aristokratin, gebildet, abenteuerlustig, die gegen alle Konventionen am Anfang des 20. Jahrhunderts den Nahen Orient erforscht. Und die schließlich bei der Neuordnung der Region nach Ende des Osmanischen Reiches eine entscheidende Rolle spielt. Eine mutige Grenzgängerin, ohne Frage, aber in Werner Herzogs Film "Königin der Wüste" können wir lernen, dass das alleinige Schwelgen in überwältigenden Wüstenpanoramen und das Hohe Lied auf die Freiheit und das Abenteuer nicht überzeugen, wenn uns im Kino die erzählte Geschichte nicht überzeugt.
    "Ich seid meine Gefangene. Jeder von Euch. - Wenn ich sterbe, dann nur durch die Hand eures Scheichs."
    Vieles in "Königin der Wüste" ist eindrucksvoll inszeniert; aber zu vieles bleibt auch nur angedeutet. Beispielsweise verstehen wir ohne Geschichtsbuch kaum, woher die große Bedeutung der historischen Gertrude Bell rührt, die im Film ja immer wieder behauptet wird. In "Königin der Wüste" spielt Robert Pattinson T.E. Lawrence, den anderen großen Briten mit dem Wüstenwahn. Das monumentale Meisterwerk "Lawrence von Arabien", das David Lean 1962 drehte, ist um Strecken besser geschrieben, einleuchtender, überzeugender und nachvollziehbarer als Herzogs Film.
    "Königin der Wüste" von Werner Herzog - enttäuschend.