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Vier Schwestern kämpfen in einer weiteren „Little Women“-Adaption um Selbstbestimmung. Vom täglichen Überlebenskampf einer englischen Arbeiterfamilie handelt „Sorry We Missed You“. Zum eingeschworenen Team werden eine Großmutter und ihre Enkelin in „Romys Salon“.

Von Jörg Albrecht | 29.01.2020
Drei Frauen gehen in langen Kleidern im Garten spazieren
Florence Pugh, Saoirse Ronan und Emma Watson in "Little Women" von Greta Gerwig (www.imago-images.de / Columbia Pictures)
Die Schriftstellerin Josephine, genannt Jo, steht im Büro des Herausgebers einer New Yorker Wochenzeitung. Es handelt sich natürlich um eine von ihr selbst verfasste Geschichte, die sie hier verkaufen will:
"Nehmen wir."
"Oh wirklich?"
"Mit Kürzungen. Sie ist zu lang."
Die Selbst- und Fremdbestimmung der Frau im 19. Jahrhundert
Bis zum 34. Kapitel von Louisa May Alcotts Roman "Little Women" hätte sich der Leser bereits vorarbeiten müssen, um dieses Gespräch verfolgen zu können. Im Film dagegen steht die Szene direkt am Anfang. Und das nicht zufällig, greift sie doch schon das zentrale Thema von "Little Women" auf: die Selbst- und Fremdbestimmung der Frau im 19. Jahrhundert.
"Und wenn die Hauptfigur eine Frau ist, sollte sie am Ende verheiratet sein. Oder tot. Eins von beidem."
Diese Schlusspointe hat allerdings nicht Autorin Alcott, sondern Filmemacherin Greta Gerwig dem Zeitungsmann in den Mund gelegt. Jo, die immer ein wenig mehr im Mittelpunkt steht als ihre drei Schwestern Meg, Beth und Amy, sieht jedoch weder ihre fiktiven Heldinnen noch sich selbst in der Rolle der liebenden Ehefrau.
"Ich habe es so satt, wenn die Leute sagen, dass Liebe das Einzige ist, wozu eine Frau fähig ist. Ich habe es so satt. Aber ich bin so allein."
Unchronologisch und unmittelbar
"Little Women" handelt von den Träumen, Ängsten und Plänen der vier heranwachsenden Schwestern, deren Temperamente so grundverschieden sind und die dennoch eine eingeschworene Gemeinschaft bilden. Greta Gerwig erzählt diese über Jahre angelegte Coming-of-Age-Geschichte – anders als der Roman – nicht chronologisch. Das mag anfangs verwirren, zeigt so aber noch unmittelbarer die Entwicklung der Figuren.
Hervorzuheben sind bei dieser gelungenen Neuverfilmung vor allem die schauspielerischen Leistungen von Saoirse Ronan als Jo und von Florence Pugh in der Rolle der egozentrischen Amy. Beide sind auch für den Oscar nominiert.
"Little Women": herausragend
"Diese Pakete müssen zu präzisen Zeiten ausgeliefert werden. Du hast ein Zeitfenster von einer Stunde für die Zustellung. Und das verfehlst du nicht. Niemals."
Ricky, Ehemann und Vater von zwei Kindern, erhält eine Einweisung in seinen neuen Job als Paketbote. Im Zustelldepot herrscht ein Ton wie auf dem Kasernenhof. Als Franchisenehmer hat sich Ricky extra einen Transporter anschaffen müssen, für den er einen Kredit aufnehmen und seinen Pkw verkaufen musste. Das wiederum hat Folgen für Ehefrau Abby, die als Pflegeschwester jetzt mit dem Bus zu ihren Patienten fahren muss.
Nicht auskommen mit dem Einkommen
Der britische Filmemacher Ken Loach ist schon immer ein schnörkelloser Regisseur gewesen. Nur wenige Minuten sind in "Sorry We Missed You" vergangen – und schon spürt auch der Zuschauer den Leistungsdruck, unter dem Ricky und Abby stehen, ihre Erschöpfung nach 14-stündigen Arbeitstagen und ihre wachsende Überforderung als Eltern.
"Irgendwie habe ich das Gefühl, wir sind aus der Bahn geraten. Weißt du, was ich meine?"
"Ja. Ich habe furchtbare Albträume. Du und ich versinken im Treibsand und die Kinder versuchen uns mit einem Ast rauszuziehen. Aber je mehr wir arbeiten, je mehr Stunden wir uns aufhalsen, desto mehr versinken wir zwei in diesem tiefen Loch. Das träume ich ständig."
"Sorry We Missed You" erzählt von einer Familie, die keineswegs am Rand der Gesellschaft steht und die dennoch kein Auskommen mit ihrem Einkommen hat. Auch mit 83 Jahren versteht sich Ken Loach immer noch als Anwalt der sogenannten kleinen Leute. Er prangert mit seinen Filmen soziale Missstände an und ein System zunehmender Ausbeutung. Die kleinen humorvollen Momente, die früher einmal viele seiner Filme durchzogen haben, sind allerdings verschwunden. Ken Loach ist schon lange nicht mehr zum Lachen zumute.
"Sorry We Missed You": empfehlenswert
"Dies ist unsere Geschichte: die Geschichte von meiner Oma und mir."
So richtig anfangen können beide nichts miteinander: weder Romy mit ihrer Großmutter Stine noch umgekehrt. Da Romys Mutter aber nach ihrer Scheidung wieder ganztags arbeitet, soll das Mädchen immer direkt nach der Schule zu seiner Oma gehen, die einen kleinen Frisörsalon hat. Beide sind von der Idee anfangs wenig begeistert, doch schon nach kurzer Zeit sind die Beiden ein Herz und eine Seele. Dann bemerkt Romy, dass Stine immer öfter Dinge vergisst.
"Was denkst du, was ich habe? Ich hoffe, ich bin nicht dement."
"Dement?"
"Ja, so wie Marie, die oft im Salon ist und Zigaretten haben will. Ist ja ein Leidensweg. Wenn es da ist – Spritze rein und das war´s! Was meinst du? Nichts. Vergiss es!"
Als Stine wenig später in ein Pflegeheim kommt, beschließt Romy, mit ihrer Oma auszubüxen, um noch einmal an den Ort ihrer Kindheit zu fahren.
Keine Sorge! Das hier wird kein zweiter "Honig im Kopf". "Romys Salon" von der niederländischen Regisseurin Mischa Kamp nimmt seine Figuren ernst und opfert sein Thema weder billigem Klamauk noch rührseligem Kitsch. Heitere wie berührende Momente gibt es dennoch viele in "Romys Salon".
"Romys Salon": empfehlenswert