Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Neue Filme
Wie verwandelt

Wenn ein schwarzes Paar ein weißes Baby adoptiert, wird daraus im französischen Kino eine Komödie: "Zum Verwechseln ähnlich" erzählt von einer sich verändernden Gesellschaft. Den Wandel seiner Identität erlebt ein Mann während einer Kajaktour im portugiesischen Film "Der Ornithologe". Und wie ausgewechselt sind auch die Teilnehmer einer Kreuzfahrt im Dokumentarfilm "Dream Boat".

Von Jörg Albrecht | 12.07.2017
    Sparsam bekleidete Männer hübsch inszeniert: Szene aus "Dream Boat"
    Sparsam bekleidete Männer hübsch inszeniert: Szene aus "Dream Boat" (picture-alliance / dpa/ gebrüder beetz filmproduktion/Real Fiction)
    "Der Ornithologe" von João Pedro Rodrigues
    Manches müsse man nicht versuchen zu verstehen. Es geschehe einfach und man glaube daran. Wenn Fernando gegen Ende von João Pedro Rodrigues' Film "Der Ornithologe" zu dieser Erkenntnis gelangt, ist er nicht mehr derselbe Mann vom Anfang. Seine Verwandlung wird der des Heiligen Antonius ähneln, der Ende des 12. Jahrhunderts in Lissabon geboren wurde. Obwohl "Der Ornithologe" in unmittelbarer Nähe des Pilgerweges nach Santiago de Compostela spielt, befindet sich Fernando keineswegs auf einer Sinnsuche. Vielmehr werden es zufällige Begegnungen und Entdeckungen sein, die seine neue Identität definieren.
    Fernando ist mit einem Kajak unterwegs auf einem Fluss im Norden Portugals. Dort will er eine seltene Storchenart finden. Schon in diesen ersten Szenen legt Regisseur Rodrigues keine Eile an den Tag. Ganz langsam mischen sich unter die harmonischen Naturbilder dissonante Töne.
    Fernando gerät mit seinem Boot in Stromschnellen, kentert und verliert das Bewusstsein. Zwei junge chinesische Pilgerinnen, die sich in den Wäldern verlaufen haben, finden ihn. Sie päppeln ihn wieder auf und fesseln ihn an einen Baum. Wieso sie das getan hätten, will Fernando wissen. Weil sie verflucht seien, antworten die Frauen. Der Heilige Jakobus könne ihnen auf ihrem Weg jetzt nicht mehr helfen. Nur noch er, der Heilige Antonius, könne dies.
    Für Fernando beginnt eine Odyssee mit weiteren skurrilen Begegnungen. Diese quasi religiöse Erfahrung wird flankiert von blasphemischen Momenten, bevor ein filmischer Kunstgriff betont, dass es sich bei "Der Ornithologe" um João Pedro Rodrigues' persönlichsten Film handelt. Wie gesagt: Manches müsse man nicht versuchen zu verstehen. Es geschehe einfach und man glaube daran. Sollte einem das allerdings nicht gelingen, dann könnte diese faszinierende wie befremdliche Identitätsfindung ins unfreiwillig Komische kippen.
    "Der Ornithologe": empfehlenswert
    "Dream Boat" von Tristan Ferland Milewski
    "So, are we ready? Let's take the boys to sea." – Yes, Captain."
    Kein Kajak, sondern ein Luxusliner ist der Schauplatz des Dokumentarfilms "Dream Boat". Im Gegensatz zur Hauptfigur in "Der Ornithologe" haben viele der schwulen Männer an Bord des Kreuzfahrtschiffs ihre Odyssee bereits hinter sich. Sie sind endlich angekommen. So wie der 31-jährige Palästineser Ramzi, der jetzt in Belgien lebt.
    Er möge Belgien sehr. Erzählt Ramzi. Ein Land, in dem die Polizei jedes Jahr die Gay Pride beschütze. Sollte man als Schwuler angefeindet werden, gehe man dort einfach zur Polizei. Hätte er das in seiner Heimat getan, wäre er verhaftet worden.
    Ramzi ist einer von fünf Männern, die an der schwulen Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer teilnehmen und die der Dokumentarfilmer Tristan Ferland Milewski besonders herausstellt. Milewski schwelgt in hübsch inszenierten Bildern von sparsam bekleideten Männern, die vor allem feiern und Sex haben wollen. Ganz aufgehen will das Konzept der sich wiederholenden Partybilder mit eingeklinkten Statements zur schwulen Lebensrealität nicht, unterhaltsam ist dieser Mix aus Fleischbeschau und Seelenstriptease aber allemal.
    "Dream Boat": akzeptabel
    "Zum Verwechseln ähnlich" von Lucien Jean-Baptiste
    "Darf ich vorstellen: Benjamin!"
    Jahrelang haben Sali und Paul darauf gewartet, ein Kind in Pflege nehmen zu können. Jetzt hat das Amt ihren Wunsch erfüllt. Benjamin ist wenige Wochen alt, kerngesund, pflegeleicht ... und er ist weiß. Für die Pariser Eheleute mit afrikanischen Wurzeln – zur Überraschung des Amtsleiters – gar kein Problem.
    "Nehmen Sie sich Zeit, um darüber nachzudenken!"
    "Ist es ein Junge?"
    "Aber ja. Benjamin."
    "Er ist so hübsch."
    "Vielen Dank!"
    Ganz anders sieht die Sache allerdings im familiären Umfeld der frischgebackenen Eltern aus. Ein weißes Enkelkind kommt Salis Mutter nicht ins Haus. Das aber darf die zuständige Mitarbeiterin auf gar keinen Fall erfahren - zumal diese ohnehin die Adoption mit Argusaugen beobachtet und - nach eigener Aussage - das Kindeswohl nicht einem multikulturellen Experiment unterordnen wolle.
    "Unseren Studien zufolge gibt es bei gemischten Adoptionen häufig Probleme mit der Akzeptanz in den Familien. Und bei Ihnen?"
    "Nein."
    "Nein."
    In diesem Kulturmedium, das von Vorurteilen, Ressentiments und Klischees gespeist wird, gedeiht eine Komödie wahrhaft prächtig. Die Frage ist nur, ob es sich Regisseur Lucien Jean-Baptiste nicht ein wenig zu einfach macht bei der Suche nach den Lachern. Sein Plädoyer für eine offene, enttabuisierte Gesellschaft ist simpel gestrickt. Es hält ein paar Scheingefechte mit Figuren bereit, von denen man gleich bei ihrem ersten Auftritt sicher sein kann, dass ihre Engstirnigkeit und Intoleranz nicht lange währen wird. Das aber hat ja auch schon bei "Ziemlich beste Freunde" und "Monsieur Claude und seine Töchter" bestens funktioniert.
    "Zum Verwechseln ähnlich": zwiespältig