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Neue Geschichtsserie mit Wigald Boning
"Die Hybris der Menschheit studieren"

NS-Schulen, Stasi-Gefängnisse und Tschernobyl: Entertainer Wigald Boning und YouTuber Fritz Meinecke sind für eine neue TV-Show an historische Orte des Schreckes gereist."Man muss jungen Leuten etwas über die Vergangenheit erzählen", sagte Boning im DLF.

Wigald Boning im Corso-Gespräch mit Adalbert Siniawski |
    Aufgenommen am 11.10.16 im Kölner Residenz-Kino
    "Die Hybris der Menschheit studieren": Wigald Boning (l.) und Fritz Meinecke sind "Die Geschichtsjäger" (Deutschlandradio/Adalbert Siniawski)
    Adalbert Siniawski: Sie und Ihr Kollege Fritz Meinecke berichten unter anderem über die Nazi- und spätere DDR-Eliteschule Napola Ballenstedt und die NS-Waffenschmiede in Peenemünde. Was kommt da auf die Zuschauer zu: so eine Art Guido Knopp in lustig?
    Wigald Boning: Ne. Äh, nein. Beides nicht. Fritz ist ja, wie sagt man heutzutage? Urban Explorer, also jemand, der es sich angewöhnt hat und damit vertraut ist, verlassene Gebäude aufzusuchen und diese Gebäude zu durchforschen und ich bin mit dabei. Wir haben Zeitzeugen, die interviewt werden und gemeinsam lernen wir diese Orte kennen. Das ist selten lustig, also es gibt womöglich mal den ein oder anderen lustigen Moment, aber ganz so, wie man es erwarten könnte, hat es sich bisher noch nicht gegeben.
    Siniawski: Wobei, so einen roten Rucksack, oder Schulranzen besser gesagt, aus den 70er Jahren beim Besuch des Gefängnisses in Hohenschönhausen tragen Sie zum Beispiel, das hat, für mich, schon etwas ein bisschen Lustiges, und im Hintergrund die donnernde Musik.
    Boning: Ja, also diesen Schulranzen, den trag ich immer. Ich verbinde den jetzt aber nicht unbedingt mit Komik, sondern weil ich irgendwo meine persönlichen Unterlagen und Necessaire und so verstauen muss.
    "Ich habe bei dieser Sendung zugesagt aus einem rein egoistischen Interesse"
    Siniawski: Trotzdem, es sind ja vor allem Orte des Schreckens und der Geschichte, wo halt üble Geschichten gespielt haben, auch die Todeszone in Tschernobyl, große Katastrophen. Wie schwierig ist es, quasi dieser Tragik der Orte gerecht zu werden und dann trotzdem die Zuschauer zu interessieren, zu unterhalten auch irgendwo?
    Boning: Ich habe bei dieser Sendung jetzt zunächst einmal zugesagt aus einem rein egoistischen Interesse, nämlich: Ich wollte an diese Orte selber schon. Die Aussicht, einmal sich Tschernobyl angucken zu können, ich musste nicht lange überlegen, ob ich da mitwirken will oder nicht.
    Nachdem wir eine E-Mail des Bundesamtes für Strahlenschutz erhalten hatten, in der uns versichert wurde, dass, wenn wir uns strikt an die Anweisungen des Personals vom ukrainischen Umweltministerium halten, dann kann uns nichts passieren, hab ich sofort zugesagt. Ja, und alles weitere ergibt sich ja dann vor Ort, also ich muss doch nicht drüber nachdenken, ob das schwierig ist oder nicht. Und der Zuschauer ist eingeladen, sich dann auch mit diesen Orten vertraut zu machen.
    Zeitzeugen der NS-Indoktrination
    Siniawski: Und Sie mussten sich ja mit den Zeitzeugen der Orte immer vertraut machen. Ist es auch dann so eine Möglichkeit, mit dieser Empathie dann sich den Geschichten zu nähern?
    Boning: Ja, schon. Ich glaube, dass diese Lost-Places-Themen, die sind ja nicht ganz neu, die gibt es seit einigen Jahren, gibt es auch viele Bücher, Bildbände drüber und so. Allein da den innovativen Charakter dran festzumachen, das wäre etwas vermessen. Aber diese Personen dabei zu haben, die mit ihrer Kompetenz das Ganze so uns erklären konnten, wie das der Fall war, das ist schon etwas besonderes gewesen, also für mich jedenfalls war das ausgesprochen bereichernd.
    Und ein besonderer Moment war unser Zeitzeuge, ein Schüler der Napola in Ballenstedt, den ich fragte, wie lange es denn gedauert hat, bis er sich von dieser Indoktrination, der man als Schüler selbstverständlich an so einem Ort ausgesetzt war, getrennt hat. Und dann sagte er, dass sei erst sehr spät gewesen, nämlich in den 80er-Jahren, zurückgehend auf einen Kompositionswettbewerb der evangelischen Kirche. Er war damals Rektor einer Realschule, hatte gesagt, dass er sich dem politischem Leben bis dahin, aufgrund allgemeiner Überlastungen, nicht groß gewidmet hat - kann man ja drüber denken wie man will -, und dann sagte er jedoch, hat er sich mit einer eigenen Komposition beworben bei diesem Kompositionswettbewerb ein Kirchenlied zu schreiben. Hat auch den ersten Preis gewonnen.
    Und eine Bekannte von ihm sang dann ein SS-Lied vor, dass er als 10-jähriger Schüler auf der Napola gelernt hatte und er stellte dann selber fest, dass das von der Melodie her deckungsgleich war. Und daran wurde ihm klar, wie tief diese Indoktrinierung damals gegangen war, selbst ins Musikalisch-Unterbewusste. Dass er diese Melodie in Gänze wieder verwendet hatte, so gut hatte er das verdrängt. Fand ich eine extrem spannende Geschichte, jetzt nur als kleines Beispiel.
    "Die Stasi ist für die jungen Leute abgeschlossene Vergangenheit"
    Siniawski: In den Filmen wird zum Beispiel erklärt, was eigentlich die Stasi war. Also Grundwissen, kann man sagen. Wen soll diese Show erreichen? Die Generation der YouTube-Gucker, die quasi mit Fritz Meinecke einen besonderen Bezugspunkt haben? Er ist ja mit seinem Kanal "End of the Comfort Zone" unterwegs.
    Boning: Gute Frage. Auch deswegen interessant, weil ich da selber überhaupt noch nicht drüber nachgedacht habe. Ich bin mit der Stasi noch groß geworden als Westdeutscher, der in der DDR Tourneen gemacht hat und ich hab da allerhand Berührungspunkte gehabt und hab mir dann vor ein paar Jahren auch mal meine Stasi-Akte eingesehen und so. Aber bei den jungen Leuten, beginnend mit meinem lieben Kollegen Fritz, ist das ja dann ein abstraktes Wissen, das ist ja abgeschlossene Vergangenheit. Und da ertappe ich mich manchmal tatsächlich so in einer leicht väterlichen Position, dass ich denke, man muss den jungen Leuten ja mal was erzählen über eine Vergangenheit, die noch in unser Jetzt-Zeitalter hineinreicht, mit starken Folgen auch tatsächlich.
    Siniawski: Nochmal ganz kurz, weil Sie sagten, Sie hatten ja auch Ihre Erfahrungen mit der Stasi gesammelt. Welche war das damals?
    Boning: Viele auffällig, unauffällige Männer - es waren auch Frauen dabei -, die gar kein so offenkundiges Interesse an Free Jazz hatten. Wir waren eine Free-Jazz-Band. Normalerweise hört man Free-Jazz-Konzerte, wenn man sich sehr für Free Jazz interessiert und für Musik. Nein, diese Leute hatten diffuse, andere Interessen. Fragten einen auch aus, wie das so ist, was man für Radiosender hört, was man denn so bespricht mit den DDR Kollegen. Das war eine deutsch-deutsche Kapelle. 1987 möglich durch einen amerikanischen Schlagzeuger, sonst wäre es nicht möglich gewesen. So waren wir eine internationale Kapelle. Das war natürlich für das Ministerium für Staatssicherheit unglaublich interessant, was dann in dieser Formation so stattfand.
    Siniawski: Wie hieß die damals, diese Kapelle?
    Boning: KIXX. K, I, doppel X.
    Papier statt eBook
    Siniawski: Nochmal ganz kurz zu diesem Aspekt, dass ein YouTuber dabei ist und das vielleicht auch eine jüngere Generation ansprechen soll. Ist das so ein Faktor, der Sie beschäftigt: Wie erreiche ich junge Leute? Ich meine, alle Sender versuchen gerade wie wild, irgendwie diese junge Zielgruppe anzusprechen, abzuholen, gerade auch mit den sozialen Medien. Ist das für Sie persönlich auch ein Thema oder machen Sie sich da gar keine Gedanken?
    Boning: Nee. Sollte ich vielleicht viel mehr. Also ich gucke mir natürlich auch den ein oder anderen YouTube-Channel an, da stoße ich dann auch mal auf das ein oder andere, das mich interessiert. Beim Fernsehen, ich meine ja zum Beispiel oft, dass das Fernsehen schon abgewirtschaftet hat, dass es nur von alten Leuten noch geguckt wird. Das stimmt aber offenkundig auch nicht.
    Also, stelle ich dann immer fest bei - keine Ahnung-, Generationen meiner Kinder, die durchaus auch noch Fernsehformate wahrnehmen. Ich lese ja persönlich, zum Beispiel, mal gerne ein Buch. Wähne mich damit so der Generation an Johannes Gutenbergs zugehörig. Nein, aber ich lerne auch immer wieder Leute kennen, die, sagen wir mal, unter 20 sind und Bücher - also aus Papier-, lesen, also nicht jetzt eBooks, sondern wirklich Papierbücher. Da scheinen die Frontverläufe unklarer zu sein, als man dann so annehmen könnte.
    Siniawski: Da sind Sie kein Kulturpessimist?
    Boning: Nein. Ne. Also Kulturpessimist, da, solche Anwandlungen habe ich auch manchmal, denke ich das so in Sozialen Netzwerken, dass das eine Verrohrung befeuert, die darin besteht, dass die Leute sich auf ihrer Pinnwand wie zuhause fühlen und sich so geben, wie sie sich zuhause geben.
    Man will das aber gar nicht wissen, wie viele Leute sich zuhause geben. Die vulgäre Sprache, die sonst im öffentlichen Raum nicht gepflegt wird, die meinen sie dann in ihrem digitalen Privatraum zum Besten geben zu können. Und das befördert so eine Verrohrung in Tateinheit mit diesen Algorithmen, die den Leuten suggerieren, sie verträten die Mehrheitsmeinung. Also denkt ja jeder bei Facebook, er ist die Mehrheit. Aber: ein Irrtum. Da bin ich manchmal Kulturpessimist, aber im Großen und Ganzen eigentlich nicht.
    Vielfältige Karriere
    Siniawski: Ganz kurzer Blick auf Ihre Karriere: Sie haben ja auch angefangen, sagen wir mal so, als derjenige, der Komik gemacht hat bei RTL Samstag Nacht, da sind Sie einem breiteren Publikum bekannt geworden. Dann als Nonsens-Musiker, wenn man das so sagen kann, versierter Nonsens-Musiker: Die Doofen. Zu einer Art Populärwissenschaftler sind Sie jetzt geworden, beziehungsweise auch schon seit einigen Jahren auch mit Formaten wie "Clever", "Nicht nachmachen", eben jetzt den "Geschichtsjägern". Was haben Sie neues gelernt? Geschichte ist ja dazu da, um zu lernen.
    Boning: Was heißt lernen. Das ist ja ein irres Privileg für mich, überhaupt an so einen Ort wie Tschernobyl zu kommen. Also für einen halbwegs, auch nur in Anflügen geschichtsinteressierten Menschen oder auch insgesamt interessierten Menschen ist die Ukraine und Tschernobyl natürlich ein, einen viel spannenderen Ort wird man überhaupt nicht finden. Und auch keinen Ort, an dem man die Hybris der Menschheit so gut studieren kann, wie dort. Also dort kann man auch den Kulturpessimismus entdecken.
    "Wigald & Fritz: Die Geschichtsjäger" läuft ab dem 13. November 2016 um 21:55 Uhr im Bezahlkanal History.