Samstag, 20. April 2024

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Neue Graphic Novel von Reinhard Kleist
Nick Cave als tragischer Held

Zwischen Wahrheit und Fiktion: Comicautor Reinhard Kleist zeichnet abenteuerliche Biografien berühmter Persönlichkeiten. Sein neuestes Buch widmet sich dem Musiker Nick Cave, der selbst "auf seine Biografie guckt, wie auf eine künstliche Figur", sagte Kleist im Deutschlandfunk.

Reinhard Kleist im Corsogespräch mit Ann-Marlen Hoolt | 25.08.2017
    Ann-Marlen Hoolt: Für ihr neustes Buch haben Sie sich dem Musiker und Schriftsteller Nick Cave gewidmet. Was macht den Künstler für ihre Arbeit spannend?
    Reinhard Kleist: Naja, das war in erster Linie natürlich die Musik, denn ich bin jetzt schon seit den 90er-Jahren Fan von dem Mann. Dann ist es aber hauptsächlich, dass ich überzeugt bin, dass er für meine Arbeit einfach perfekt funktioniert, weil er sehr viel mit Geschichten arbeitet in seinen Texten, seinen Lyrics und natürlich dann in seinem Romanen. Und das konnte ich natürlich alles nutzen, um meine Geschichte zu erzählen. In meiner Geschichte geht es ja auch primär jetzt gar nicht so sehr um den Lebenslauf des Mannes, sondern es geht eigentlich mehr um die Beziehung von Künstler und Werk.
    "Ich habe mir Freiheiten genommen"
    Hoolt: Und die stellen sie dann ja in fünf Kapiteln und auf über 300 Seiten dar. Und vermischen dabei ja auch Wahrheit und Fiktion, denn immer wieder treten auch Figuren aus Caves Texten und seinen Büchern in der Geschichte auf und auch mit Nick Cave selbst in Kontakt. Wie viel Biografie und wie viel Dichtung steckt in ihrem Comic?
    Kleist: Naja, wie viel Dichtung da jetzt wirklich drin steckt, das kann wahrscheinlich nur Herr Cave selber beurteilen. Ich hab mir schon viele Freiheiten da genommen, denn es geht ja primär nun um diese Beziehung zwischen dem, was er als Künstler geschaffen hat, auch die Figuren, die er geschaffen hat, die ja in meiner Geschichte lebendig werden und mit ihm hart ins Gericht gehen - und auch die Fakten seiner Biografie. Ich denk mal so 50/50 werden es wohl sein, allerdings ist es natürlich auch wie bei jeder Biografie und bei jeder legendhaften Biografie: Da weiß man manchmal nicht genau, wie ist jetzt der Wahrheitsgehalt der Geschichten?
    Eine Tote im Wasser, von Rosen umgeben. Caves Comic-Hand streckt sich nach ihr (Bild: © Reinhard Kleist, Carlsen Verlag/ Hamburg 2017)
    Meist sterben Nick Caves Figuren - wie auch in "Where The Wild Roses Grow" (© Reinhard Kleist, Carlsen Verlag/ Hamburg 2017)
    Hoolt: Warum haben Sie ausgerechnet Nick Caves Schöpfungen gewählt, um seine Geschichte zu erzählen?
    Kleist: Ich hab selber dieses Gefühl, dass es eigentlich das besondere an meiner Arbeit ist, wenn die Figuren lebendig werden, wenn ich Welten kreiere, in die der Leser sich verlieren kann. Ich habe Figuren beim Lesen förmlich gesehen, also ich konnte die wirklich spüren als Charaktere - und das find ich total faszinierend, denn immerhin reden wir halt über einen Stapel Papier. Und das wollt ich nun in meiner Erzählung auch erreichen, dass diese Figuren lebendig werden, und er geht nun mit seinen Figuren immer recht ruppig um - also meistens sterben sie ja auch zum Schluss - und ich hab dann mal das gewagt und hab die die Figuren, zum Schluss … naja, die machen ihm dann auch einen Vorwurf daraus.
    "Ich schaffe meinen eigenen Nick Cave"
    Hoolt: Nick Cave selber bekommt da in vielen Szenen so etwas Mystisches, etwas Heldenhaftes. Sehen sie Nick Cave als Helden?
    Kleist: Sagen wir mal als tragischen Helden. Natürlich überhöhe ich seine Figur sehr oft – und auch selber schraubt er auch gerne an seiner Legende herum. Und das ist ja eigentlich auch das Faszinierende daran, dass er dann eigentlich seinen eigenen Charakter schafft. Und bei meiner Erzählung hab ich das natürlich auch sehr unterstützt. Also ich schaffe auch meinen eigenen Nick Cave und ich glaube, das ist auch das, was ihn dabei eigentlich sehr gefreut hat, als ich ihm die Arbeiten gezeigt habe, dass ich da jetzt doch auch ziemlich viel rumflunkere und da meine eigene Welt erschaffe zusammen mit seiner Welt.
    Wir haben noch länger mit Reinhard Kleist gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Hoolt: Sie haben ja mit Nick Cave zusammengearbeitet für die Entstehung des Comics. Wie viel Einfluss hatte Nick Cave auf die Geschichte und wie viel Freiheit hatten Sie als Comiczeichner?
    Kleist: Also zusammengearbeitet ist wahrscheinlich zu viel gesagt. Ich hatte ja gefragt am Anfang, und er hat dann geantwortet: Ja er könnte sich das so und so vorstellen, aber viel Input könnte er nicht geben. Ich war super glücklich, denn nichts ist schlimmer als ein Künstler, der sich dann zu sehr einmischt in die Arbeit. Er hat mir sehr, sehr viele Freiheiten gelassen. Ab und zu, wenn ich ihm was geschickt habe, hat er dann auch einen Kommentar dazu abgegeben, aber eigentlich hat er mir alle Freiheiten der Welt gelassen. Und ich glaube zum Teil auch, weil er gemerkt hat: Ich gehe sehr vorsichtig mit bestimmten Details seiner Biografie um, bei anderen Teilen bin ich auch sehr ruppig mit ihm. Ich glaube, der Umgang der hat ihm gefallen, da hatte er sehr großes Vertrauen in diesen Comic, und letztendlich hat er das dann ja auch quasi abgesegnet.
    Nick Cave als Comicfigur, einen blutigen Stein in der Hand (Bild:© Reinhard Kleist, Carlsen Verlag/ Hamburg 2017)
    Nick Cave - für Reinhard Kleist ein tragischer Held (© Reinhard Kleist, Carlsen Verlag/ Hamburg 2017)
    Hoolt: Sie erschaffen ja auch sehr eindringliche und intensive Bilder. Also mir ist besonders im Kopf geblieben eine Szene in der sich Nick Cave mit seiner langjährigen Liebe Anita Lane unterhält. Sie haben sich lange nicht mehr gesehen und sitzen auf der Rückbank eines Autos, zwischen ihnen ein freier Sitz. Und als sie merken, wie sehr sie sich in den vergangenen Jahren verändert haben, wächst der Abstand zwischen ihnen immer mehr bis schließlich zehn und irgendwann zwanzig Sitze zwischen den beiden liegen. Eine sehr starke und eindringliche Szene. War das eine Szene, die ihnen wichtig war?
    Kleist: Die hat sich eigentlich ein bisschen spontan entwickelt. Ich wollte in dieser Autofahrt genau das zeigen, dass sie sich eben auseinanderentwickelt haben, aber es ist immer noch diese starke Liebe zwischen den beiden, doch sie merken, das geht einfach nicht mehr zusammen. Und dann ist mir dieses Bild eingefallen von der Rückbank, die sich immer weiter auseinander zieht. Lustigerweise habe ich das dann auch Nick Cave mal gezeigt, diese Seiten, da haben wir uns getroffen in einem Studio in London, und er hat dann so draufgeguckt und meinte: "Och, das ist aber traurig". Und dieser Satz, der klang für mich, als ob er gar nicht über sich selber redet, sondern er guckte darauf, als ob er eine Szene von "Vom Winde verweht" guckt, und das fand ich sehr beindruckend, dass er auf seine Biografie eigentlich genauso drauf guckt, wie auf eine künstliche Figur.
    "Man kann seine eigene Welt daraus bauen"
    Hoolt: Caves Musik spielt im Comic eine große Rolle, die einzelnen Kapitel sind nach seinen Liedern benannt, die Leser erleben, wie einzelne Songs entstehen, erst nur in Caves Kopf und dann auch im Studio, und sie lassen im Comic und auch im dazugehörigen Art Book Musik sichtbar werden, indem Sie seine Lieder illustrieren. Welche Rolle spielte Nick Caves Musik für Sie, als Sie begannen sich dem Künstler zu nähern?
    Kleist: Die Musik spielte schon eine große Rolle. Ich muss jetzt sagen, beim Zeichnen war es schwierig Nick Caves Musik zu hören, denn das ist Musik, die ganz schön viel Aufmerksamkeit verlangt, also war die Musik während der Arbeit jetzt gar nicht so bedeutend. Aber für die Ideenfindung war die schon ziemlich wichtig, besonders die Lyrics. Ich habe dann irgendwann gemerkt: Er hat schon eine Art und Weise mit Lyrics umzugehen, die sehr in seiner eigenen Welt verhaftet ist, und ganz oft ist es dann wirklich so, dass man nicht alles versteht, und das ist ja auch das Gute daran, man muss ja nicht immer alles verstehen. Und dann kann man seine eigene Welt daraus bauen.
    Hoolt: Sie widmen sich in ihren Comics den Lebensgeschichten echter Menschen: Johnny Cash, Fidel Castro oder eben Nick Cave – Wann wird ein Mensch, wann wird eine Biografie für Sie interessant?
    Kleist: Im Grunde genommen, wenn sie etwas Gebrochenes hat in sich. Also Johnny Cash war ein sehr gebrochener Mensch, Fidel Castro sowieso – auf eine andere Art und Weise. Dann natürlich die Geschichte von dem Boxer, von Hertzko Haft, der Überlebender des Holocaust ist, aber auch gleichzeitig ein Täter. Und Nick Cave ist natürlich auch eine sehr gebrochene Persönlichkeit. Ich mag dieses, dass nicht alles einfach ist, dass nicht alles Schwarz und Weiß ist, dass es da noch etwas gibt, was den Leser auch beschäftigt - und das macht die Charaktere ja auch interessant.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.