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Neue Härte nach Abu Ghraib

"Warnung! In diesem Film sind intensive und brutale Folterszenen zu sehen. Der Film wird voraussichtlich von der FSK keine Jugendfreigabe erhalten." Diese kleine Meldung öffnet sich in einem Fenster, wenn man auf die Werbe-Website des Horrorfilms "Hostel 2" geht. Am Donnerstag kommt er in die Kinos. Bleibt die Frage, warum das alles? Eine Theorie besagt: Die amerikanische Politik ist an allem schuld. Erst Vietnam, dann Abu Ghraib.

Von Rüdiger Suchsland |
    Ein elektrischer Bohrer bohrt sich ins Fleisch eines Mannes, eine Säge trennt Glieder vom Leib, alles natürlich ohne Betäubung, eine Schere dringt in ein menschliches Auge ein - ein paar Szenen aus US-amerikanischen Horrorfilmen der letzten Zeit. Diese Woche kommt nun der von keinem Geringeren als Quentin Tarantino produzierte, von Eli Roth inszenierte "Hostel 2" in unsere Kinos - nur der neueste und brutalste in einer ganzen Kette von Horrorfilmen, die in den letzten zwei Jahren alles weit überschreiten, was Zuschauern zuvor in punkto Brutalität, Ekel und Perversion auf der Leinwand geboten wurde - von "Texas Chain Saw Massacre" über "Land of the Dead" bis zu "The Hills have Eyes", "Wolf Creek", "Saw 1, 2 und 3" bis "Hostel" dem Vorläufer des neuen Films.

    Was all diesen neuen Filmen gemeinsam ist: Sie nehmen ihr Thema, den Horror ernst - und sie zeigen ihn auch: Mit allen Mitteln der Kunst; drastisch; überaus körperlich konkret; und phantasievoll in der Wahl der Mittel und Körperteile, dabei mit einer auffälligen Vorliebe für das Thema Folter, für Szenen der extremen Qual von Menschen durch Menschen.

    "Das sind drastische und morbide Phantasien, die das Kino ausagiert."

    sagte Markus Stiglegger, Filmwissenschaftler aus Mainz, jetzt auf einer Veranstaltung der Berliner Akademie der Künste über Gewalt und Triebtäter im Kino.

    "Hostel 2" ist nur das augenfälligste Beispiel für eine neue Lust am Schmerz und an Folterdarstellungen, die sich gerade auf US-Leinwänden ausbreitet. Längst hat dieses Neo-Exploitation-Kino auch den Mainstream infiziert: Im letzten "Mission Impossible"-Film wie auch der letzten Staffel der Serie "24" gab es extreme Folterszenen, die nur in ihrer Darstellung etwas abgeschwächt und erträglicher gestaltet wurden.

    Lange war das anders. Über zehn Jahre lang nahm Hollywood seine eigenen Horrorfilme und die in ihm implizit enthaltene Mythologie nicht mehr ernst. Stattdessen wimmelte es von allzu cleveren Genre-Reflexionen und zitat-reichen Ironisierungen a la SCREAM.
    Schlichte Verdrängung oder eine glückliche Epoche kurzzeitiger Unschuld - nun ist jedenfalls eindeutig Schluss mit lustig.

    Woher kommt diese plötzliche Kursänderung?

    Schon einmal, Anfang der 70er Jahre, kam plötzlich ein Welle anderer, brutalerer Horrorfilme ins Kino, veränderte die Seh-Konventionen und entfaltete tiefere Bedeutung. Regisseure wie George Romero, Wes Craven und John Carpenter kreierten damals einen amerikanischen Kinoalptraum, der sich eindeutig als Ausdruck des Kollektiven Unbewussten Amerikas verstehen ließ, als gesellschaftskritischer Kommentar zu Vietnam, Watergate, der Ermordung der Kennedys und Martin Luther Kings.

    Vielleicht darf es einen in Zeiten von Guantanamo-Lagern, Abu Ghraib-Demütigungen, US-Geheimgefängnissen, alltäglichem Irak-Terror und einer im Westen wieder hoffähig gewordenen Debatte über die Legitimität der Folter nicht überraschen, dass nun auch im Kino die Alpträume auf die Leinwände zurückkehren.

    Die Filme sind interessant, weil alltägliche Medien-Bilder, hier filmisch reflektiert werden, und zugleich in einen fernen Kontext verschoben, kulturell abspalten werden können vom eigenen Erfahren.

    Aber welche tieferen Bedürfnisse werden von diesen Filmen erfüllt?

    "Es gibt wenige brauchbare Studien zur Wirkungsforschung, wie diese Sachen sich auswirken ... "
    # "Eine dieser Umfragen ... besagt, dass ... es einen ganz hohen Anteil von weiblichen Zuschauern gibt, die sich Filme ansehen, in denen ganz explizit Folter zu sehen ist. Und zwar deutlich. Wer die Filme kennt, wird ja wissen: Da werden Finger abgeschnitten, alles in Nahaufnahme."

    Eine zweite Ursache liegt laut Stiglegger auch im Zurückholen von Körpererfahrungen, die in der zunehmend virtualisierten Medienwelt verloren gehen:

    "Das sind ja Filme, die sinnlich erfahrbar sind, die mit Musik und mit diesen drastischen Bildern versuchen, uns auf unsere existentielle Körperlichkeit zurückzuwerfen.
    Und das funktioniert möglicherweise auch gerade, weil viele, aber bei weitem nicht alle dieser Opfer Frauen sind, auch bei weiblichen Zuschauern.
    Das Bedürfnis diese Filme zu sehen, dass es ja offensichtlich gibt, spricht auch dafür, dass es notwendig ist, dass es diese Filme gibt.
    Es gibt wirklich ne Nachfrage nach diesen drastischen Szenarien."

    Die neue Filmwelle spiegelt also aktuelle Erfahrungen wie eine tiefer liegende grassierende Unsicherheit. Weil die Leichen im Keller des Westens lebendiger sind, als es einem lieb wäre, schlurfen analog dazu plötzlich auch wieder Zombies, Serienmörder und Folterknechte über die Leinwände.

    Nun arbeitet die Kunst seit jeher mit exzessiver Gewalt. Trotzdem: Wie sich die brutale Folterdarstellung auf die Zuschauer auswirkt, bleibt einstweilen offen.
    Vielleicht darf man an den französische Surrealisten Roger Caillois erinnern. Der stellte einmal fest:
    "Wer Gespenst spielt, wird selber eins."