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Neue Hoffnung in Nahost

Nach dem Nahostgipfel gestern in Scharm el Scheich mischt sich vorsichtiger Optimismus mit begründeter Skepsis. Wenn der Friedensprozess wirklich wieder Tritt fassen soll, dann brauchen Ariel Scharon und Mahmoud Abbas beides: Hilfe und Druck von außen. Und das heißt vor allem: von George Bush. Wie ernst aber ist es dem US-Präsidenten mit einer Lösung des Nahost-Konflikts? Aus Washington dazu Julia Kastein:

Von Julia Kastein, Carsten Kühntopp und Christina Janssen | 09.02.2005
    Amerikas neue Außenministerin, Condoleezza Rice, klingt in diesen Tagen gleichermaßen entschlossen und optimistisch:

    Dies sei die größte Chance für Frieden auf absehbare Zeit – und Amerika sei dabei, Israel und Palästina zu helfen, diese Chance zu nutzen. Dazu hätten sich der Präsident und sie persönlich verpflichtet.

    Es ist wieder Leben gekommen in die amerikanische Nahost-Politik. Knapp zwei Jahre lang bemühte sich Washington das Thema möglichst totzuschweigen. Die Bush-Regierung war mit dem Krieg gegen den Terror und den Aufständischen im Irak beschäftigt, der Präsident außerdem mit seiner Wiederwahl. Doch nun, nachdem Yassir Arafat tot ist und die neue palästinensische Führung und die Sharon-Regierung wieder miteinander reden, haben auch die USA das Thema Nahost-Friedensprozess wieder prominent auf die Agenda genommen.

    In seiner Rede zur Lage der Nation pries Bush ausdrücklich die jüngsten palästinensischen Wahlen als ersten Schritt in die richtige Richtung – und versprach der frischgewählten Abbas-Regierung, ihre Reformen mit 350 Millionen Dollar zu unterstützen. Außerdem will Bush beide Konfliktparteien im Frühling in Washington empfangen – wenn auch nicht gemeinsam. Und Condoleezza Rice erklärte bei ihrem Antrittsbesuch in der Region Anfang der Woche, dass die USA einen Koordinator benannt hätten, der in Sicherheitsfragen zwischen beiden Seiten vermitteln soll. Doch trotz all dieser positiven Signale – unter Amerikas Nahost-Experten ist die Skepsis nach wie vor groß.

    Jerome Segal ist Nahost-Wissenschaftler an der Universität von Maryland und Präsident der Jewish Peace Lobby, einer Gruppe von amerikanischen Juden, die sich für eine faire Zweistaaten-Lösung einsetzen. Segal sagt, er glaube in der Bush-Regierung sei man sich bewusst, dass ein amerikanischer Beitrag zu Frieden im Nahen Osten den Interessen der USA in der Region nur dienen könne – genau wie dem Ansehen Amerikas in der Welt. Doch das heiße noch lange nicht, dass das erneuerte Engagement ein echte Neuorientierung der Politik sei.

    Wenn Sie erwarten, dass die Regierung jetzt auf einmal sagt: wir haben ein enormes nationales Interesse an einer Friedenslösung, und deshalb werden wir das zu unserer obersten Priorität machen und schonungslosen Druck auf beide Seiten ausüben, um dieses Ziel zu erreichen – dann muss ich sagen, nein, das wird nicht passieren – und es wäre falsch das zu erwarten.

    Der derzeitige Enthusiasmus der Bush-Regierung, so Segal, sei einfach die Reaktion auf ein Ereignis – auf den Tod von Yassir Arafat:

    Das ist natürlich ein einschneidendes Ereignis gewesen. Aber das Weiße Haus übertreibt die Bedeutung für den Friedensprozess – und zwar weil es gemeinsam mit Israel die Dämonisierung von Arafat betrieben hat, als ob der Frieden nur an ihm gescheitert sei.

    Er bezweifle nicht, dass es die Bush-Regierung mit ihren kurzfristigen Zielen ernst meine: die Gewalt zu beenden, die Abbas-Regierung zu stabilisieren, demokratische Reformen zu unterstützen und den Friedensprozess wiederzubeleben.

    Das sind alles Punkte um wieder dorthin zu kommen, wo wir schon einmal waren – nämlich bei Verhandlungen über den letztendlichen Status von Palästina. Wenn diese Verhandlungen wieder zum Stillstand kommen, werden wir merken, dass die US-Regierung nicht den Appetit und die Entschlossenheit hat, eine Lösung zu erzwingen.

    Mit seiner Skepsis ist Segal nicht allein – auch David Mack ist von den Lippenbekenntnissen der US-Regierung nicht vollständig überzeugt. Anfang der 90er Jahre war Mack Stellvertretender Staatssekretär für Nahost-Politik. Heute ist er Vizepräsident beim Middle East Institute in Washington.

    Die Zeichen stehen zwar gut – aber sie sahen auch früher schon mal gut aus. Als der Präsident vor knapp zwei Jahren seine so genannte Roadmap zum Frieden im Nahen Osten vorgelegt hat, benutzte er schon ganz ähnliche Rhetorik über einen lebensfähigen palästinensischen Staat – aber leider zeigte die Regierung damals nicht die nötige Entschlossenheit und Beharrlichkeit.

    Vor allem mit einem zentralen Argument der Außenpolitik von George W. Bush hat Mack ein Problem – nämlich dass ein wichtiger Schritt zum Frieden in der ganzen Welt die Demokratisierung bislang unterdrückter Völker ist. Auch mit Blick auf Palästina wird die Bush-Regierung nicht müde, diesen Zusammenhang herzustellen – so beispielsweise Außenministerin Rice in ihrer Pariser Rede:

    Amerika unterstütze demokratische Reformen in Palästina – denn demokratische Reformen würden die Basis für echten Frieden vergrößern. Nahost-Experte Mack glaubt das nicht.

    Dieser rhetorische Schwerpunkt auf Demokratie ist nur ein bisschen ideologische Image-Pflege. So soll nur das wichtigste amerikanischen Ziel maskiert werden. Und dieses Ziel war und ist ein dauerhafter Frieden, um die eigenen Interessen in der Region zu wahren und um Israel zu sichern.

    Wie viel der Präsident in dieses Ziel investieren wird, werde sich unweigerlich bald zeigen, so der Chef der Jewish Peace Lobby, Segal. Nur eins stehe schon fest: Marathon-Sitzungen in Camp David wie zum Ende von Bill Clintons zweiter Amtszeit werde es nicht geben.

    Wir werden kein Treffen in Camp David erleben, bis die Details des Friedensvertrages so gut wie festgelegt sind. Die Lektion aus Camp David für Bush und vielleicht für andere amerikanische Präsidenten ist, dass das ein Beispiel dafür war, wie Diplomatie nicht aussehen sollte.

    Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, da sind sich die Experten einig, wird George W. Bush sein politisches Erbe nicht für den Nahostfriedensprozess aufs Spiel setzen.

    Im Nahen Osten scheint oft die Devise zu gelten: US plays, EU pays. Also: Die USA machen die Politik und die EU zahlt – zum Beispiel für Infrastruktur- oder Ausbildungsprojekte. Welche Aufgaben kann und muss die EU jetzt, in der aktuellen Situation, übernehmen – und welche das so genannte Nahostquartett, also USA, EU, Vereinte Nationen und Russland gemeinsam? Darüber habe ich mit dem Nahost-Experten der Bertelsmann-Stiftung, mit Christian-Peter Hanelt gesprochen und ihn gefragt, wie wichtig es ist, Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas in seiner Auseinandersetzung mit militanten Extremisten zu unterstützen:

    Christian-Peter Hanelt: Sie haben Recht, Frau Janssen, dass das Quartett verpflichtet ist, Abbas zu helfen, die Geheimdienste und die Polizei so zu strukturieren, dass es wirklich Rechtssicherheit und Transparenz gibt, und dass sie wirklich die Aufgabe haben, Autorität vor Ort zu leisten. Hier wollen die Europäer auch eine Rolle spielen neben den Amerikanern, die ja gute Erfahrung haben. Der CIA hat ja koordiniert zwischen den Israelis und den Palästinensern in der Vergangenheit, und vielleicht sollte das wieder aufgenommen werden. Die Ägypter haben verkündet, dass sie Polizei in Gaza ausbilden wollen, und die EU will das jetzt auch tun. Unter dem Stichwort, den Palästinensern bei ihren Reformen zu helfen, gibt es jetzt ein Polizeiprojekt, finanziert durch die EU, in dem es darum geht, wirklich transparente Strukturen aufzubauen, eine neue Mentalität unter der palästinensischen Polizei. Das sind Projekte, die gehen in die richtige Richtung, aber das Problem ist, dass das auch alles ein wenig Zeit dauert. Dass nach so vielen Jahren von Blutvergießen und intransparenten Strukturen es auch ein wenig Zeit dauert, bis Geheimdienste und Polizei so organisiert sind, dass sie auch tatkräftig sind.

    Christina Janssen: EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner hat angekündigt, dass die EU 250 Millionen Euro bereitstellen will. Sie hatten gerade schon von dem Polizeiprojekt berichtet, das jetzt anläuft. In welche weiteren Projekte könnten solche Gelder denn fließen?

    Christian-Peter Hanelt: Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Geld in drei Säulen investiert werden muss. Einerseits in Vertrauen, um zwischen Israelis und Palästinensern Vertrauen zu schaffen durch Begegnungsprogramme. Zweitens Aus- und Fortbildung für Palästinenser. Es ist ganz wichtig, dass wir dieses Wohlstandsgefälle zwischen Israel auf der einen Seite, in den palästinensischen Gebieten auf der anderen Seite abbauen. Und drittens sehr viel Geld verschlingt der tagtägliche Bedarf für das palästinensische Budget. Das ist das, was an die palästinensische Autonomiebehörde geht. Einerseits koordiniert durch den Trust-Fund, der unter der Leitung der Weltbank steht, und zweitens, das Geld, was an die Vereinten Nationen geht für die Flüchtlingshilfe, für die Versorgung der Flüchtlingslager."

    Christina Janssen: Über die Zusammenarbeit auf der Projektebene haben wir jetzt gesprochen. Es stellt sich aber auch die Frage, wie die Zusammenarbeit auf der höheren politischen Ebene aussieht. Wie ist Ihre Einschätzung: Wollen die USA das Nahostquartett, also diese Gruppe aus USA, EU, Vereinten Nationen und Russland aktivieren und damit ja auch den Friedensplan, den diese Gruppe entworfen hat, die Road Map, oder marschieren die USA da allein?

    Christian-Peter Hanelt: Es bleibt zu beobachten, wie auch öffentlich die amerikanische Administration sich zu Road Map und Quartett stellt. Man kann nur hoffen, dass sie wirklich auf der Ebene der Koordination weiter arbeiten und das Quartett auch viel sichtbarer in der Öffentlichkeit machen. Was die Road Map angeht, ist es wichtig, dass sie Grundlage des internationalen Fahrplans für den Frieden bleibt, weil sie beide Seiten auf Kriterien verpflichtet. Es brauch nur einen neuen Zeitplan, und es brauch auch ein sogenanntes Monitoring, d.h. die internationale Gemeinschaft – und hier kann die USA ruhig die Führung spielen – muss vor Ort nachschauen, setzen beide Parteien auch das um, was sie miteinander vereinbart haben.

    Christina Janssen: Das Gipfeltreffen gestern in Scharm el Scheich war ja eine Initiative aus der Region heraus. Mit am Tisch saßen Jordaniens König Abdullah und Ägyptens Staatschef Mubarak. Wie wichtig ist die Rolle dieser beiden Nachbarländer für den Friedensprozess, und wie ernst meinen sie es denn jetzt, wenn sie auf Israel zugehen?

    Christian-Peter Hanelt: Gestern war ja wirklich ein Tag der Symbole, und Ägypten und Jordanien, die einen Friedensvertrag mit Israel haben, haben ja gleich verkündet, dass sie ihre Botschafter nach Tel Aviv zurückschicken. Ägypten und Jordanien spielen eine sehr wichtige Rolle, weil es darum geht, dass nicht nur das Quartett den Palästinensern hilft, z.B. bei der Polizeiausbildung, sondern dass auch wirklich Ägypten und Jordanien da drin integriert sind, um dabei zu helfen, die Geheimdienste und die Polizei bei den Palästinensern umzustrukturieren. Ägypten und Jordanien haben auch die wichtige Aufgabe, die so genannte arabische Initiative der arabischen Liga zu stärken, die darauf ausgerichtet ist, den Israelis auch wirklich kulturell das Gefühl zu geben, dass sie in der Region willkommen sind. Und daran muss weiter gearbeitet werden. Unter der Führung Ägyptens und Jordaniens sollte der kulturelle Boykott gegen Israelis aufgehoben werden, und es sollte ein Klima des Dialoges über den Grenzen hinaus in der Region geschaffen werden.

    Ist das Treffen in Scharm el Scheich tatsächlich der Beginn einer neuen Ära, wie Mahmoud Abbas es gestern formuliert hat? Zweifel sind da durchaus angebracht: Denn in den Kernfragen des Konflikts sind sich Israelis und Palästinenser - trotz all der schönen Gesten - noch nicht näher gekommen. Mehr dazu von Carsten Kühntopp aus Tel Aviv:

    "Die Intifada ist vorbei" - so die Schlagzeile heute auf der Titelseite von Yedioth Acharonot, der auflagenstärksten israelischen Tageszeitung. Die Blattmacher von Maariv waren poetischer, sie titelten: "Der Charme von Scharm" und "Vielleicht diesmal". Was die Zeitungsjournalisten so vorsichtig optimistisch stimmte, das war dieser schnöde Satz, gesprochen von Palästinenserpräsident Machmud Abbas am Konferenztisch des Tagungshotels:

    Wir sind mit Ministerpräsident Scharon übereingekommen, alle Gewaltakte gegen die Israelis und die Palästinenser einzustellen, wo auch immer.

    Ein Satz, auf den der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon mit einer ähnlichen Äußerung antwortete. Doch schon kurz darauf gab es kaltes Wasser auf die gute Stimmung. Mehrere Vertreter militanter palästinensischer Organisationen machten deutlich, dass sie sich mitnichten an das gebunden fühlen, was Abbas und Scharon in Scharm el-Scheich vereinbart hatten. Sami Abu-Zoheri, der Sprecher der Hamas im Gaza-Streifen, sagte, das Gipfeltreffen habe nichts gebracht, Israel habe sich überhaupt nicht bewegt. Doch womöglich sind die Nachrichten aus der Hamas-Bewegung nicht so schlecht, wie es scheint: Jeder der Hamas-Funktionäre, die sich seit Scharm el-Scheich zu Worte meldeten, betonte, dass die Organisation ihre endgültige Position noch formulieren werde.

    Schon vor Wochen hatte Hamas deutlich gemacht, wohin die Reise geht: Man wird sich wahrscheinlich an den für Juli geplanten Parlamentswahlen beteiligen, und die Organisation ist nun sogar dazu bereit, Abbas, auch Abu Mazen genannt, an der Spitze des palästinensischen Volkes eine Chance zu geben. Abu Zoheri:

    Das ist etwas, was die Wahlen bringen werden. Das palästinensische Volk wird sich entscheiden, und wir werden nichts unternehmen, das den Wahlprozess beeinträchtigen würde. Abu Mazens Entscheidungen müssen sich auf ein neu gewähltes Parlament stützen, weil das jetzige Parlament seine Legitimität verloren hat, und auf die PLO, die allerdings umstrukturiert werden muss.

    Die Militanten - sie werden in den nächsten Wochen die größte Herausforderung für Machmud Abbas sein. Israel ist auf Dauer nicht mit einem Waffenstillstand zufrieden, sondern verlangt, dass Abbas die so genannte "Infrastruktur des Terrors" ein für alle Mal zerschlägt. Das bedeutet, dass Abbas die militanten Gruppen entwaffnen soll. Vor einigen Tagen hieß es aus der Palästinenserbehörde, dass man dies nicht ablehne - schließlich sei dies der logische nächste Schritt bei der Umsetzung des politischen Programms, mit dem Abbas die Wahl am 9. Januar gewonnen habe; Abbas hatte unter anderem gesagt, dass es nur eine Waffe auf der palästinensischen Straße geben dürfe - die Waffe der palästinensischen Polizei. Ob er aber bereits stark genug ist, die Militanten auf diese Art frontal anzugehen, ist fraglich.

    Fürs erste hat Israel eine Reihe so genannter Gesten des guten Willens beschlossen, die ihm den Rücken stärken sollen. So will man in den nächsten drei Monaten 900 der zehntausend in Israel einsitzenden Palästinenser auf freien Fuß setzen. Phasenweise soll die Armee in den nächsten Wochen aus einigen palästinensischen Städten abziehen, bestimmte Checkpoints in den besetzten Gebieten sollen abgebaut werden, einige Hundert palästinensische Arbeiter sollen wieder eine Erlaubnis für Israel erhalten. Diese Maßnahmen - sie gehen dem rechten Lager in Israel schon jetzt viel zu weit. Der Politikberater Uzi Arad:

    Noch bevor es überhaupt losgeht, fangen die Palästinenser mit diesem Geschacher an über Dinge, die sie überhaupt nicht fordern dürfen. Wir sind bereit, ihnen Dinge zu geben, für die wir früher mal eine Gegenleistung gefordert haben. Heute übt Israel eine Politik der Großherzigkeit aus und plant, umfassend und einseitig auf Siedlungen und Gebiete zu verzichten, während die Palästinenser immer noch nicht bereit sind, die Verpflichtungen zu erfüllen, die sie mit der Road Map übernommen haben. Und Machmud Abbas sagt das auch ganz offen, während er hintenrum die Hamas beruhigt, dass er gar nicht vorhat, gegen sie vorzugehen und ihnen die Waffen abzunehmen.

    Die Erwartungen, die Israelis und Palästinenser an die Entwicklung in den nächsten Wochen und Monaten haben, könnten unterschiedlicher kaum sein. Ministerpräsident Scharon will vor allem Ruhe und Sicherheit für Israel. Er hofft, dass sich Abbas bis zum Sommer politisch hält, damit er ihm den Gaza-Streifen übergeben kann, nach der Räumung der Siedlungen und Armeestützpunkte dort. Die palästinensische Führung denkt jedoch schon viel weiter - so der Orientwissenschaftler Menachem Klein; Klein beriet die Regierungen Rabin und Barak:

    Es gibt hier wirklich einen tiefen Graben zwischen den Erwartungen auf beiden Seiten. Die palästinensische Seite will eine politische Einigung, von jetzt an bis zu einer permanenten Lösung. Die israelische Seite will in kleinen Schritten vorangehen und wenn’s hoch kommt den zweiten Schritt der Road Map umsetzen, der einen Interimsstaat vorsieht. Die Auseinandersetzung ist fast nicht zu verhindern.

    Über keinen der Kernpunkte des Nahost-Konflikts wurde in Scharm el-Scheich gesprochen, geschweige denn verhandelt. Auch gibt es keinen Termin für den Start von Verhandlungen. Palästinenserpräsident Abbas war der einzige, der diese Punkte in seiner Rede erwähnte: der Status Jerusalems, die Siedlungen, die Grenzen, das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge. Der Politologe Ali Jirbawi von der Birzeit-Universität rät Abbas, jetzt Druck auf Israel zu machen und eine Frist zu setzen:

    Ich hoffe, dass Abbas vor allem dies sagen wird: Ich bin zu ernsthaften Verhandlungen bereit, Verhandlungen, die wir, die Palästinenser, mit den besten Absichten führen werden, und zwar für ein Jahr. Wenn es uns in diesem Zeitraum gelingt, ein Abkommen auszuhandeln - super! Wenn dies aber nicht gelingt und wenn Israel weiter die Siedlungen baut, wenn es weiterhin Jerusalem vom Westjordanland abkapselt und wenn es uns eine Regelung nach seinem Willen aufzwingt, dann sollten wir nach einem Jahr sagen: Dankeschön, das war’s.

    In diesem Fall, so Jirbawi, sollten sich die Palästinenser von der Zwei-Staaten-Lösung verabschieden und anstreben, von Israel annektiert zu werden.

    Wenn Israel nicht abziehen will, um dadurch die Zwei-Staaten-Lösung zu ermöglichen, dann bedeutet dies, dass Israel die Ein-Staat-Lösung anstrebt, und dann sollten wir ihnen diesen Gefallen auch tun! Entweder ist es also ein Staat in den Grenzen von 1967, mit einem Gebietstausch hier und da, oder wir sagen Israel: Vielen Dank, wir wollen die Kantonisierung nicht, wir wollen nicht nur 42 Prozent des Westjordanlandes - wir werden uns jetzt euch ergeben und verlangen die Ein-Staat-Lösung.

    Die vorsichtige Hoffnung dieser Tage, der leise Optimismus - der Politologe Jirbawi bezeichnet das als Scheinschwangerschaft. Sollte sich Israel auch in den nächsten Wochen und Monaten weigern, in die Endstatus-Verhandlungen einzusteigen, die dann zügig zu führen wären - dann, so Jirbawi, sei zu befürchten, dass die neue Phase der Ruhe bald wieder zu Ende gehen werde.