Archiv


Neue Isolierung für Nervenfasern

Biologie. - Forscher aus den USA haben im Tierversuch zeigen können, dass sich defekte Myelin-Hüllen von Nervenzellen mit Hilfe von transplantierten Zellen aus menschlichen Föten wieder neu aufbauen lassen. Eine beschädigte Myelin-Schicht kann verschiedene Nervenkrankheiten wie die Multiple Sklerose auslösen.

Von Michael Lange |
    Wie Elektrokabel brauchen Nerven eine gute Isolierung. Nur so kann in ihrem Innern Strom fließen und Signale können übertragen werden. Bei Nerven übernimmt das Eiweiß Myelin die Isolierung. Es bildet eine Art Mantel um die feinen Nervenfasern. Wenn Myelin fehlt, können verschiedene Nervenkrankheiten entstehen. Die bekannteste ist die Multiple Sklerose. Die Betroffenen leiden unter schubweise auftretenden Bewegungsstörungen. Die Krankheit schreitet fort, weil immer mehr Myelin zerstört wird. Doch das Myelin lässt sich wieder herstellen. Wissenschaftler von der Universität Rochester in den USA haben dies nun erstmals im Tierversuch demonstriert. Dabei nutzten die Forscher nicht die umstrittenen embryonalen Stammzellen, sondern Zellen aus dem Gehirngewebe abgetriebener menschlicher Föten. Sie spritzten die Zellen in das Gehirn von Mäusen, erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe Steven Goldman:

    " Wir verwendeten Vorläuferzellen von Gliazellen. Diese Stützzellen im Gehirn ernähren die Nervenzellen und bilden deren Myelinhülle. Die Glia-Vorläuferzellen hatten wir aus fötalem Gewebe gewonnen. "

    Da es keine Versuchstiere mit Multipler Sklerose gibt, machten die Forscher ihre Experimente mit sogenannten Shiver-Mäusen. Diesen Zitter-Mäusen fehlt das Myelin von Geburt an. Sie leiden unter Bewegungsstörungen und sterben normalerweise wenige Tage oder Wochen nach der Geburt.

    " Diese Mäuse können kein Myelin bilden. Als wir ihnen die Zellen spritzten, wanderten sie nach und nach in das ganze Gehirn und setzten sich dort fest. Der Prozess dauerte einige Monate. Zunächst wurden die Mäuse krank, genau wie die unbehandelten Tiere, denn ihnen fehlte ja das Myelin. Aber dann bildeten die eingespritzten Zellen neues Myelin. "

    Sechs von 26 Tieren erholten sich. Vier wurden sogar gesund und zeigten schließlich keinerlei Symptome mehr. Sie konnten sich normal bewegen und überlebten viele Monate. Die Untersuchung der Nervenstränge der Tiere ergab: Es hatte sich tatsächlich neues Myelin gebildet. Das war bisher noch nie gelungen. In den Augen der Stammzellenforscher ist dies ein wichtiger Fortschritt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Myelin durch eine Zelltherapie wieder herstellen lässt. Aber es gibt noch viele offene Fragen: Sind die von Geburt an kranken Zitter-Mäuse wirklich mit Multiple Sklerose Patienten vergleichbar? Und sind fötale Zellen überhaupt zur Therapie von Menschen geeignet? In den 90er Jahren hatten schwedische Forscher Parkinson-Patienten mit fötalen Gehirnzellen behandelt. Nach einigen Versuchen mussten sie die Studie beenden, da die erhofften Erfolge ausblieben. Steven Goldman von der Universität Rochester setzt dennoch auf die fötalen Zellen, zumindest als Übergang, bis embryonale Stammzellen ohne Krebsrisiko an Patienten ausprobiert werden können.

    " Ich bin überzeugt, wie die meisten Fachleute, dass den embryonalen Stammzellen die Zukunft gehören wird. Dazu müssen jedoch in den nächsten Jahren einige Hürden überwunden werden. Mit den Zellen aus fötalem Gewebe hingegen können wir bereits in wenigen Jahren mit Studien am Patienten beginnen. "

    Und es gibt noch einen Kandidaten für zukünftige Zelltherapien. Induzierte pluripotente Stammzellen, kurz IPS-Zellen. Sie entstehen durch Reprogrammierung aus reifem Körpergewebe des Patienten. Viele Fachleute hoffen, dass sie in wenigen Jahren den fötalen Zellen und den embryonalen Stammzellen endgültig den Rang ablaufen werden.