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Neue Kommunikationskanäle verändern das Schreiben

Der preisgekrönte Autor Moritz Rinke macht sich gegenwärtig rar, aber das hängt mit jenen Themen zusammen, die ihn gerade beschäftigen. Mirko Schwanitz hat Rinke für die 14. Folge unserer Werkstattporträts in Berlin besucht.

Von Mirko Schwanitz |
    "Diesen Schreibtisch hat meine Mutter bei der Familie Stolte gekauft. Und Familie Stolte ist eine sehr alte Krämerfamilie in Worpswede, die dafür verantwortlich war, dass es in der Vergangenheit eine berühmte Künstlerkolonie wurde. Und zwar hat die Familie Stolte den Mackensen eingeladen nach Worpswede zu kommen um achtzehnhundert irgendwas. Und dann kam dann später durch die Vermittlung von Mackensen auch Heinrich Vogeler. Und Vogeler lud dann Rilke ein. Allerdings hielt er es nur zwei Jahre aus und flüchtete dann nach Paris. Und all die Möbel, die er hatte in Worpswede, hat er der Familie Stolte gegeben. Und meine Mutter hat dann den Schreibtisch von Rilke erworben. Auf jeden Fall steht er heute hier und ich stell mir dann immer vor in den schweren Stunden, wenn man dann nicht weiterkommt: Dann sag ich - aber du sitzt doch an dem Schreibtisch von Rilke. Irgendwas wird Dir schon einfallen."
    Zu Besuch bei Moritz Rinke, fünfter Stock, eine Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg. Durch das Fenster geht der Blick hinüber zum Schloss. Für den Theater- und Romanautor ist es ein großes Glück, seine Schreibwerkstatt an diesem Ort zu haben. Denn diese Wohnung gehörte einst seinem Professor. Der polnische Theaterwissenschaftler Andrzej Wirth pflegte seinem Studenten Moritz Rinke hier schon früh die unglaublichsten Geschichten zu erzählen.

    "Unter anderem erzählte er einmal, das Karol Woytila, der Papst, und Marcel Reich-Ranicki, die beiden waren sehr enge Freunde von ihm - der Papst wollte offenbar auch Theaterautor werden - und diese Drei, Andrzej Wirth, Marcel Reich-Ranicki und der Papst, sind immer losgezogen durch Warschau und haben dort die Frauen verführt, was der Papst offenbar auch sehr gut konnte. Marcel Reich-Ranicki hat immer erzählt: 'Und der Papst war nicht der schlechteste!' Andrzej Wirth saß also in dieser Wohnung und hat Geschichten erzählt. Angeblich sei der Papst auch mal in dieser Wohnung gewesen."

    Wer weiß schon, ob es diese Geschichten waren, die Rinke bewegten, selbst zum Geschichtenerzähler zu werden. Sein Roman, "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel", entstanden an eben jenem Rilke-Schreibtisch, erzählt davon, wie Träume, Visionen und Verfehlungen von Künstlern im Moor verschwinden und viele Jahre später wieder zutage treten. Ein Roman, der fast im Plauderton erhellt, um welche Frage Rinkes Denken beständig kreist: Was passiert mit unseren Utopien? Der Erfolg seiner Stücke, aber auch die Verkaufszahlen des Romans legen nahe, dass es ihm gelungen ist, dafür den richtigen Ton zu finden.

    "Meine Sprache oder die Form wie Figuren sprechen, wie ich Bilder versuche zu beschreiben oder Bilder entstehen zu lassen im Kopf des Zuschauers oder des Lesers, da hat sich nicht so viel verändert. Ich glaube ich bin meinem Traum oder meiner Vision vom Doppelton, also das ist vielleicht auch sehr undeutsch, dass etwas komisch, oder auch sehr traurig, melancholisch und lebendig, dass das keine Widersprüche für mich sind, dass ich eine Szene sehe, über die ich lachen kann, aber sie ist eigentlich auch sehr traurig und das das auch eine große Zärtlichkeit haben kann, in dem man eine Gegenwehr der Figuren gegen ihre eigene Tragik auch einsetzt, das immer auch ein Lächeln zurückbleibt ... und versuche immer noch so Herzenswärme meinen Figuren zu schenken. Also ich bin immer der Utopist in der Tristesse."

    Was Rinke hier beschreibt, trifft wohl auch auf sein neuestes Theaterstück zu, an dem er gerade arbeitet. Es wird im Dezember in Frankfurt am Main uraufgeführt. Auch in ihm geht es um Lebensentwürfe und nicht verwirklichte Utopien. Ein Ehepaar tauscht seine Wohnung. Hanna will in die Schweiz, um Bankern dort das richtige Atmen beizubringen. Ihr Mann Sebastian wehrt sich gegen diesen Umzug. Aus der Schweiz wiederum kommen Roman und Magdalena. Als sie die Wohnung des Berliner Paares übernehmen, kommt es zur Explosion, weil Sebastian Roman das Passwort für den Internetrouter nicht gleich mitteilen kann. Der aber muss sofort und unbedingt den Start eines neuen Satelliten verfolgen, den er mitentwickelt hat und der für die Welt eine neue Ära der Vernetzung einleiten soll. Doch Sebastian versucht Roman mit vorgehaltener Pistole zu zwingen, den Abschuss des neuen Satelliten zu verhindern.

    Moritz Rinke (erklärt und liest)

    Sebastian: "Darf ich Sie mal was fragen?"
    Roman: "Machen Sie's kurz."
    Sebastian: "Warum verschonen Sie die andere Hälfte der Menschheit nicht mit Ihrem Mist?"
    Hannah:" Sebastian, bitte ..."
    Sebastian:"Woher weiß er, dass die andere Hälfte unbedingt am Informationsaustausch teilnehmen will, vielleicht ist die ganz glücklich, ohne?!"
    Sebastian: (zieht die Pistole und zielt auf Roman):" Hände hoch."
    Roman: (zu Hannah) "Was soll das?"
    Sebastian:"Stoppen Sie den Abschuss!"
    Roman: "Stoppen??"
    Roman: " Stoppen??"
    Hannah: (zu Roman) "Könntest du es theoretisch stoppen? "
    Roman: " Nein! Das ... das ist ein globales Projekt, das kann ich nicht einfach stoppen. "
    Hannah:"Sebastian, das ist weit weg in Kasachstan ... Das ist ein globaler Vorgang, den kann man nicht einfach ... "
    Roman: " Sie wollen dem Rest der Menschheit Datenübertragung verweigern, ja? Wollen Sie das?? Von manchen Volksaufständen, da würden wir gar nichts wissen, ohne! "
    Sebastian:" Großer Schwachsinn! Je mehr Daten Sie über der Menschheit auskippen, umso weniger wissen und verstehen wir noch irgendwas! "
    Sebastian:" ... Sie glauben, Sie bringen uns den Segen mit Ihrer idiotischen Vernetzung? Alles ist miteinander vernetzt, aber die Entfernungen zwischen den Menschen werden immer größer! "
    Roman: (Zu Sebastian) "Was ich tue, tue ich für Völkerverständigung ... Für die Demokratie! "
    Sebastian:" Millionen von Menschen auf der Welt sterben, sie krepieren, während wir schön vernetzt dasitzen und zugucken ... Wir drücken ein paar Tasten, und dann klicken wir uns an alles ran: An die Massaker, an die Volksaufstände, an die Todeskämpfe, aber ich sage euch: Unsere Energie erschöpft sich schon im Herumgeklicke. "
    Hannah:" Gib mir die Pistole .. ".
    Sebastian:" Unser Mitgefühl löst sich im Datenstrom auf! Aber klar, jeder Erdenbürger in Afrika oder im Amazonasdschungel hat ein Recht auf Vernetzung, ich hab's verstanden, Hannah ... nichts zu fressen, aber vernetzt! Und dazu noch deine Tiefatmung! Damit ist jetzt Schluss, sofort stoppen, habe ich gesagt. "

    Haben Dramatiker und Schriftsteller in einer Zeit, in der den Menschen angesichts der Beschleunigung des Lebens nicht die Pflicht über Entschleunigung nachzudenken, fragt Rinke. Vielleicht bekämen Literatur und Theater in so einer Zeit sogar wieder mehr Bedeutung, falle ihnen wieder wie früher die Aufgabe zu, Informationen zu ordnen und in menschliche Zusammenhänge zu stellen.

    "Na ja, es ist vielleicht eine Plattitüde geworden zu sagen, dass alles schneller geworden ist. Ich habe noch erlebt: es gab kein Handy, es gab weder eine Textmessage, es gab kein Cyber-App, es gab natürlich keine E-Mail, es gab kein Burn-out! Also diese Ermüdungsgesellschaft, also diese Erschöpfung durch ständige Kommunikationskanäle, die man beantworten muss, das verändert bestimmt auch das Schreiben oder wie Figuren auftreten in Büchern. Es verändert aber vor allem den Arbeitsprozess von Autoren. Viele Autoren glauben, dass sie in diese Kanäle springen müssen, um überhaupt ihrer Werke in die Welt zu senden. Und dieses Senden ist mittlerweile bei vielen, hat man den Eindruck, wichtiger geworden als das Schreiben. Also ich habe bald das Gefühl, dass die Produktionszeiten für das Schreiben kürzer sind als die Versendung. Und das finde ich dann wiederum bedrohlich."