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Neue Lehrer braucht das Land

In NRW werden derzeit wieder Lehrer gesucht - und zwar als Seiteneinsteiger in weiterführenden Schulen und Berufsschulen. Anders als früher beschränkt sich die Suche jedoch nicht auf Mangelfächer.

Von Esther Körfgen | 11.11.2009
    "Ich habe Diplompädagogik studiert. Und was kann ich mit meinen Fächern Psychologie, Soziologie, Erziehungswissenschaften anfangen?"
    Markus Nowak musste lange warten, bis er seine Frage endlich los wurde – die geplante "individuelle Beratung" muss er sich mit rund 40 anderen teilen – mit diesem Ansturm hatte das Studienseminar nicht gerechnet. Der Diplompädagoge erfährt, dass er zum Beispiel in ein Berufskolleg nach Beckum in Westfalen könnte, dort würden Freizeitsportlehrer gesucht. Aber um dieses Angebot annehmen zu können, muss er erst mal zwei Jahre in die Ausbildung. Ähnlich wie im Referendariat Seminare besuchen, parallel an einer Schule unterrichten und am Ende ein Staatsexamen ablegen.

    "Es wird nicht einfach. Wurde ja auch heute Abend mehrfach gesagt. Das ist schon anstrengend. 15 Stunden mindestens in der Woche zu unterrichten, dann sich weiterbilden mit acht Stunden, den Unterricht vor- und nachbereiten, also da kommt einiges auf einen zu. Aber zwei Jahre gehen auch vorbei und man macht es für sich."

    Markus Nowak arbeitet in der Berufsvorbereitung von Jugendlichen, da sei es schwierig, an gut bezahlte und unbefristete Stellen zu kommen. Ein Wechsel würde sich für ihn also lohnen. Er arbeitet gern mit Jugendlichen zusammen, genau wie Vanessa Nanzig. Die 25-Jährige hat gerade ihren Abschluss in Geschichte und Deutsch gemacht und interessiert sich für die Perspektive als Seiteneinsteigerin.

    "Mit Kindern zu arbeiten finde ich unglaublich schön. Ich habe auch eine Volleyballmannschaft, die ich trainiere und ich habe auch in der Grundschule gearbeitet als Hausaufgabenbetreuerin. Das ist auch kein Beruf, den jeder machen kann, ich glaube da vertun sich auch ziemlich viele, ich glaube das ist auch manchmal wirklich anstrengend, aber ich glaube, wenn man Kinder mag dann kann man da viel Energie reinstecken und hat da auch Spaß dran."

    1000 bis 2000 neue Lehrer braucht Nordrhein Westfalen in den kommenden Jahren. Objekt der Begierde sind deshalb seit 2003 auch Seiteneinsteiger. Immer wieder rührt das Land kräftig die Werbetrommel, jetzt mit der Info-Veranstaltung der Studienseminare. Mittlerweile ist jeder fünfte Lehrer in NRW Seiteneinsteiger. Über die Jahre ist bei der Einstellung einiges geändert worden. Zum Beispiel geht der Bewerber nicht mehr zur Bezirksregierung, sondern direkt zur ausschreibenden Schule, die dann auch selbst entscheidet, ob sie den Bewerber haben möchte oder nicht. Das soll den sogenannten "Schweinezyklus" durchbrechen, unter dem das Land seit Jahren leidet. Denn:

    "Man hat sich in NRW in aller Regel verrechnet."

    Das sagt der Kölner Studienseminarleiter Wolfgang Greiß.

    "Ich bin seit 1980 im Dienst. Ich habe in den ersten Jahren noch Referendare ausgebildet, die dann noch eingestellt wurden, dann wurden über Jahre hinweg keine Referendare eingestellt, weil man keinen Bedarf hatte und keinen errechnen konnte, und man hat nicht bedacht, dass in den letzten zehn Jahren die Pensionswelle so massiv einbrechen würde."

    Das Risiko bei den Seiteneinsteigern: Jeder Zehnte bricht ab. Weshalb jetzt härtere Auswahlkriterien gelten als früher. In puncto Alter zum Beispiel. Offiziell gibt es keine Beschränkung, aber Wolfgang Greiß spricht dem, der älter ist als 55, kaum noch Chancen zu. Weitere Aufnahmekriterien:

    "Das ist einmal ein Universitätsabschluss, zweitens, das ist Bedingung, eine mindestens zweijährige Berufstätigkeit oder eine mindestens zweijährige Betreuung eines minderjährigen Kindes. Dann ist weiterhin erforderlich ein zweites Fach, wobei man dort im Regelfall ein Drittel des fachwissenschaftlichen Studiums schon akzeptiert, wenn es nachzuweisen ist."

    Mit dem Staatsexamen ist der Seiteneinsteiger den grundständig ausgebildeten Lehrern gleichgestellt und hat genauso ein Anrecht auf Verbeamtung – wenn er das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Vor drei Jahren warb das Schulministerium schon einmal um Seiteneinsteiger. Und setzte als besonderes Lockmittel die Altersgrenze zur Verbeamtung ausnahmsweise auf 45 hoch. Zog dann allerdings das Angebot wenig später wieder zurück. Viele Neulehrer fühlten sich davon ziemlich verprellt. So wie Joachim Hofmann.

    "Damals war das eben genauso gewesen, man hat gesagt, man wird bis 45 verbeamtet, und man war gerade drin im System, in der Ausbildung und als man dann fertig war, hat man dann gesagt: Nein, ist nicht, können wir nicht bezahlen. Und heute sind die im Angestelltenverhältnis und verdienen zwischen 200 und 700 Euro weniger Netto. Und das geht gar nicht."

    Der Ingenieur unterrichtet an einer Gesamtschule in Bergisch Gladbach Physik und Technik. Der Job mache ihm großen Spaß, der Umgang mit jungen Menschen sei genau das, was ihm in seinem alten Beruf immer gefehlt habe - allein der Frust über die verpatzte Verbeamtung sitzt tief. Er hat Klage eingereicht. Wobei es ihm weniger um den Status als um Gerechtigkeit gehe.

    "Es ist ja auch neben diesem finanziellen Aspekt auch, dass man irgendwann sagt, wie geht das? Was machen die da mit mir? Erst machen die Versprechungen und dann keine, und im Lehrerberuf ist es ja so, dass ich Kinder erziehen muss zum moralisch-ethischen Verhalten, und mein Arbeitgeber macht das genau nicht."

    Internetseiten:
    studienseminare.nrw.de
    leo-nrw.de
    bildungsserver.de