Die türkischen Schüler jucken die neuen Lehrpläne bisher nicht. Denn sie haben Ferien. Was sie aber ab dem nächsten Schuljahr erwartet, führt bei Lehrern und Eltern zu Diskussionen. Kritiker fassen das unter dem Begriff Islamisierung des Schulunterrichts zusammen. Bildungsminister Ismet Yilmaz, begründete die Reform unter anderem mit dem schlechten Abschneiden türkischer Schüler in der Pisa-Studie und versucht die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen:
"Bis zum 10. Februar haben alle, aber auch wirklich alle - Lehrer, Eltern, Experten - die Gelegenheit, ihre Vorschläge und Einwaende einzureichen. Dann werden ab dem kommenden Schuljahr zunächst die Schüler der 1., 5. und 9. Klassen nach dem neuen Bildungsprogramm unterrichtet."
Der Unterrichtsstoff wird kräftig entschlackt
Dabei dürften sich viele Schüler freuen, über das, was Yilmaz ankündigte. Es solle in Zukunft weniger ums Auswendiglernen gehen als vielmehr um das Begreifen des Lehrstoffs. Bildungsstaatssekretär Yusuf Tekin betont, alle Änderungen seien intensiv beraten worden:
"Es wurden sämtliche Themen diskutiert, über die sich Eltern, Lehrer und Experten schon seit langem beschweren. Es hat dutzende Versammungen und Workshops gegeben. Hunderte Bildungsexperten, Lehrer und Eltern wurden angehört."
Ergebnis: Der Unterrichtsstoff wird kräftig entschlackt. Selbst bisher unantastbare Kapitel über Atatürk und dessen Weggefährten sollen kräftig zusammengestrichen werden. Kamuran Karaca von der Bildungsgewerkschaft Egitim Sen findet das bedenklich:
"Ist es eine bewusste Entscheidung, dass İsmet İnönü aus den Schulbüchern gestrichen wird, oder wurde er schlicht und einfach vergessen? Im Fach 'Lebenskunde' entfallen Informationen zu Atatürk und Kemalismus in den 1., 2. und 3. Klassen in weiten Teilen ebenfalls."
Neuer Unterrichtstoff ist auch der 15. Juli
Inönü war nicht ganz unbedeutend. So sorgte er dafür, dass die Türkei im Zweiten Weltkrieg neutral blieb. Inönüs Schicksal teilt Charles Darwin. Seine Evolutionstheorie wird durch das Kapitel "Lebewesen und Umwelt" ersetzt. Trotzdem warnt die Vize-Rektorin der Istanbuler Maltepe-Universität, Betül Cotuksöken, davor, die Reform pauschal zu verurteilen:
"Bevor man Einwände äußert muss man sich die geplanten Änderungen natürlich sorgfältig anschauen. Pauschal betrachtet finde ich die Revision positiv, denn sie erfüllt die Erfordernisse der Erziehungswissenschaft. Kompentzerwerb und Qualifikation werden berücksichtigt. Auch inhaltlich gibt es eine Vereinfachung. Auch das ist positiv."
Dennoch stoßen vor allem die religiösen und islamischen Inhalte auf Kritik. So soll mehr Platz für Wissenschaftler aus der islamischen Welt eingeräumt werden. Ein Sprecher der Gewerkschaft Egitim Is hält das für falsch:
"Bewunderung für das Osmanische Reich, statt für die Republik Türkei. Bewunderung für die Sultane, statt für Atatürk und seine Weggefährten. Religiöse Bildung, statt laizistisch-wissenschaftlicher Bildung. Solch ein System schwebt der Regierung im Bildungswesen vor."
Medienberichten zufolge arbeitet das Bildungsministerium auch daran, den Dschihad – den Heiligen Krieg in den Lehrplan für die 7. Klasse aufzunehmen. Zudem würden in den neuen Religionsbüchern Säkularismus, Wiedergeburt und Atheismus als 'problematische Überzeugungen' und 'Krankheiten' bezeichnet. Neuer Unterrichtstoff ist auch der 15. Juli, also der Tag, an dem sich die Bevölkerung erfolgreich Putschisten in den Weg stellte. Vorgesehen sind in den neuen Lehrbüchern aber auch moderne Inhalte. So sollen sich bereits Erstklässler mit Klimaschutz, Energiesparen und Recycling auseinandersetzen.