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Neue Medien und Arbeitswelt

Im Poppelsdorfer Schloss der Uni Bonn diskutieren Fachleute vom 26. bis 28. September über das etwas kompliziert anmutende Thema "Translokale Arbeits- und Organisationsformen als Herausforderung für die ethnographische Praxis".

    Schöne alte Arbeitswelt. Auf dem Weg zum Kopierer mal eben im Nachbar-Büro vorbeischauen. Strategiebesprechung beim Mittagsessen in der Kantine. Oder eine gemeinsame Zigarette in der Raucherecke. Solche menschlichen Begegnungen werden in den kommenden Jahren nicht mehr selbstverständlich sein. Internet, Telearbeit und E-Mail sorgen für neue Formen der Zusammenarbeit. So können sich Spezialisten in verschiedenen Städten oder Ländern für einzelne Projekte zu virtuellen Teams zusammenschließen. Weitreichende Veränderungen und ein eindeutiges Betätigungsfeld für Volkskundler wie Birgit Huber, die den Kongress in Bonn mitorganisiert hat.

    Es geht darum, dass Volkskundler fragen, wie sich Menschen ihre Umwelt und auch die Objekte in ihrer Umwelt aneignen, also wie sich Menschen Technik aneignen, und ob sie das besser oder schlechter, kreativer oder weniger kreativ können, je nachdem welche kulturellen Muster sie im Hintergrund haben. Und mit diesem kulturellen Mustern im Alltag befasst sich die Volkskunde.

    Das klassische Arbeitsverhältnis könnte an Bedeutung verlieren. An dessen Stelle tritt ein Dasein als unabhängiger Freelancer. Damit verschwimmt häufig auch die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. Konsequenz für Volkskundler: sie gewinnen scheinbar ein neues Forschungsfeld dazu. Scheinbar deshalb, weil man sich eigentlich schon immer mit dem Wandel der Arbeitswelt beschäftigt hat. Gunther Hirschfelder von Volkskundlichen Seminar der Uni Bonn – ebenfalls Organisator des Kongresses.

    Wir kommen ja aus dem 20.Jahrhundert, wo Arbeit und Freizeit strukturell und prinzipiell getrennt waren. In der Vormoderne bis zu Industrialisierung war das gar nicht so. Wenn ich da Handwerksgeselle war, dann war ich das rund um die Uhr. Ich war immer als solcher erkennbar und ich hatte überhaupt keine Einteilung in Arbeitszeit und Freizeit. Eine diffuse Grauzone. Eigentlich ist fast immer Arbeitszeit. Und heute sind wir wieder auf dem Weg zu diesen alten Formen aber mit ganz anderen Grundbedingungen.

    Gegenwartsbezogene empirische Forschung auf der einen, ein starker historischer Zweig auf der anderen Seite. Diese Kombination macht die Volkskunde nach Ansicht von Hirschfelder zur idealen Wissenschaftsdisziplin, um die neue Arbeitswelt zu erforschen. Zusätzlich suchen die Volkskundler aber auch den Kontakt zur Wirtschaft und zu anderen Fächern. Auch der Bonner Kongress ist stark interdisziplinär geprägt. Mit dabei zum Beispiel die indische Informatik-Professorin Suryia Mayandi Thevar. Ihr Schwerpunkt: die virtuellen Teams in der Software-Entwicklung. Sie hat festgestellt, dass das Zusammentreffen von Arbeitsgruppen aus verschiedenen Kulturen auch zu Problemen führen kann.

    "Die eine Gruppe meint etwas bestimmtes, was aber von der anderen anders verstanden wird. Es gibt einfach keinen Standard in der Kommunikation und deshalb Fehlinterpretationen. Das kommt häufig vor und die Arbeit leidet natürlich darunter. Die nationale Kultur, die Arbeitskultur hat einen Einfluss auf die Teamarbeit und auf die Arbeitsergebnisse.

    Volkskunde – für immer mehr Studierende ein attraktiver Studiengang. Das kleine Fach hat regen Zulauf. Sicher auch, weil Absolventen eher Generalisten als Spezialisten sind, und konkret anwendbares Wissen mit auf den Weg bekommen. Das honorieren auch die Arbeitsgeber. Die Arbeitslosenquote ist im Vergleich zu anderen Geisteswissenschaften sehr gering, so Gunther Hirschfelder.

    Wir haben viele Leute, die haben eine gute Aussicht in den Medien, in PR-Agenturen, in Unternehmen. Etwa auch in Versicherungen. Auch da muss die kulturelle Komponente immer berücksichtigt werden. Oder etwa in der Nahrungsmittel-Industrie, wo ich einen neuen Schokoriegel oder eine Tütensuppe nur dann optimal platzieren kann, wenn ich weiß, welche kulturellen Hintergründe damit verbunden sind, und was in einer solchen Suppe überhaupt kulturell alles drin ist.