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Neue Missbrauch-Hotline für Niedersachsen

Die neue Beratungsstelle für Opfer sexueller Gewalt in Hannover sei keine "Lehrerentfernungstelle", betont die Leiterin Julia Ranke. Es gehe darum, ganz genau aufzuklären, was bei einem gemeldeten Vorfall geschehen sei sowie anschließend abzuwägen, welche Maßnahme ergriffen werden sollten.

Manfred Götzke im Gespräch mit Julia Ranke |
    Manfred Götzke: Wenn Kinder von Ihren Lehrern sexuell missbraucht werden, dann trauen sie sich oft erst Jahre, Jahrzehnte später, darüber zu sprechen und die Täter anzuzeigen - wenn überhaupt. Daran will Niedersachsens Regierung jetzt etwas ändern: Das Kultusministerium hat eine Hotline und ein Beratungszentrum für Opfer sexueller Gewalt gestartet. Jugendliche und Eltern können da ab heute anrufen, auch schon beim bloßen Verdacht, dass Lehrer im Unterricht Grenzen überschreiten. Die Leiterin des Ganzen ist die Juristin Julia Ranke. Frau Ranke, heute ist die Hotline für Opfer sexuellen Missbrauchs an den Start gegangen. Hat denn schon jemand angerufen?

    Julia Ranke: Also wir hatten in den vergangenen Wochen sogar schon Anrufe, heute, am heutigen Tage ganz genau noch keinen einzigen Anruf, aber in den Wochen, seitdem der Minister verkündet hat, dass wir die Hotline haben, sind schon pro Woche so drei bis vier Anrufe hier eingegangen.

    Götzke: In erster Linie richtet sich die Hotline ja tatsächlich an Opfer sexueller Gewalt in Kita und Schule. Glauben Sie denn wirklich, dass viele Opfer, die zehn, zwölf, neun Jahre sind, sich trauen, bei Ihnen anzurufen? Das ist ja ein großes Problem.

    Ranke: Also erst einmal richtet sich die Hotline nicht nur an Opfer sexuellen Missbrauchs, sondern auch an Opfer von Diskriminierung, sodass wir beide Themenfelder abdecken mit unserer Hotline. Wir glauben schon, dass wir das Thema so präsent an den Schulen machen können, dass sich eben auch Schülerinnen und Schüler jüngeren Alters an uns wenden werden.

    Götzke: Wie machen Sie das denn präsent?

    Ranke: Also zum einen planen wir jetzt in den kommenden Wochen einen Schülerwettbewerb, und zwar geht es da noch mal um einen ganz prägnanten Namen für die Anlaufstelle und ein Logo, was die Anlaufstelle bekommen soll, und damit wollen wir das Thema in die Schulen transportieren und dafür sorgen, dass auch im Unterricht sich mit dem Thema auseinandergesetzt wird. Dadurch werden sicherlich dann viele Schülerinnen und Schüler dann auf unsere Hotline aufmerksam gemacht.

    Götzke: Was passiert, wenn jemand, der Opfer sexueller Gewalt wurde, bei Ihnen anruft? Was machen Sie dann, wie gehen Sie da vor?

    Ranke: Also erst einmal gibt es ja den Erstkontakt am Telefon von demjenigen, der dann bei uns anruft. Wir werden dort schon einmal genau aufnehmen, um was für einen Vorfall es sich handelt und welche eventuell ganz schnellen Hilfsmaßnahmen erforderlich sind. Es wird da Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft geben, weil es ja sich auch immer um ganz aktuelle Fälle handeln kann. Und dann werden wir gucken, wie wir ganz schnell ein Hilfsangebot für den jeweiligen Schüler, die jeweilige Schülerin dann an den Schulen organisieren können, sei es zum Beispiel durch die Schulpsychologen der Landesschulbehörde oder Kontaktaufnahme mit den Beratungslehrern, oder eben auch, dass Mitarbeiter der Anlaufstelle direkt in die Schulen gehen.

    Götzke: Und was passiert dann mit den mutmaßlichen Tätern?

    Ranke: Das kommt natürlich immer darauf an. Erst mal gilt natürlich auch in solchen Fällen die Unschuldsvermutung für die Täter. Wir werden ganz genau und sehr sensibel aufklären müssen, was an den Vorwürfen dran ist, und als Anlaufstelle, die im Kultusministerium angesiedelt ist, haben wir natürlich die Möglichkeit, Disziplinarverfahren anzuregen und gegebenenfalls dann auch dafür einzutreten, dass eine sofortige Amtsenthebung erfolgt.

    Götzke: Ich habe gelesen, dass die Täter schneller aus dem Schuldienst entfernt werden sollen in Zukunft oder mutmaßliche Täter. Inwieweit haben sich denn da die Kriterien geändert?

    Ranke: Also zum einen ist es so, dass es schon bereits in der Vergangenheit der niedersächsische Kultusminister immer erklärt hat, dass seine Priorität ist, sofort in solchen Fällen einzugreifen. Es gibt auch einen entsprechenden Erlass für die Landesschulbehörde, dass alle Fälle sexuellen Missbrauchs sofort dem Minister anzuzeigen sind und eine Entfernung aus dem Schuldienst auf jeden Fall angeregt wird. Sie wissen auch, manchmal gibt es eben auch gewisse Schwellen, die eine Amtsenthebung dann nicht rechtfertigen, allerdings ist es in Niedersachsen so, dass wir jeden möglichen Schritt auch rechtlich versuchen und gegebenenfalls, dass dann eben ein Gericht entscheiden muss, ob diese Amtsenthebung korrekt war oder nicht.

    Götzke: Aber die Amtsenthebung erfolgt vorher, also möglicherweise nach einem Vorwurf eines Schülers, der sich ja vielleicht auch nur schlecht behandelt fühlt, weil er schlechte Noten bekommen hat. Also wie wollen Sie vermeiden, dass es Ungerechtigkeiten bei der Lehrerschaft gibt?

    Ranke: Also wir sind sozusagen nicht hier die Lehrerentfernungsstelle, sondern wir sind dafür da, ganz genau aufzuklären, was an der Schule vorgefallen ist, wir werden natürlich nicht nur den einzelnen Schüler befragen, sondern dann auch gegebenenfalls im Umfeld andere Lehrkräfte oder auch gegebenenfalls Mitschüler, die von den Vorfällen Kenntnis haben. Und insofern gilt es, wie in jedem Disziplinarverfahren dann auch entsprechend den Sachverhalt erst einmal genau aufzuklären und abzuwägen, welche Maßnahme jetzt die geeignete ist.

    Götzke: Wie konkret muss ein Fall, wie konkret müssen Vorwürfe sein, damit Sie die Staatsanwaltschaft einschalten?

    Ranke: Die Staatsanwaltschaft müssen wir einschalten, sobald es sich um einen Straftatbestand handelt.

    Götzke: Frau Ranke, Sie sind nicht Psychologin oder Sozialarbeiterin, sondern Juristin. Was qualifiziert Sie zur Arbeit mit Opfern sexueller Gewalt, auch am Telefon?

    Ranke: Zum einen habe ich vor meiner Tätigkeit im niedersächsischen Kultusministerium als Anwältin im Bereich des Straf- und Sexualstrafrechts gearbeitet, außerdem habe ich in der Vergangenheit den Runden Tisch zum Thema sexueller Missbrauch auf KMK-Ebene hier vom niedersächsischen Kultusministerium aus mit vorbereitet, und die Hotline jetzt ganz im Speziellen - jetzt nicht nur ich, sondern auch weitere Mitarbeiter des Ministeriums haben Schulungen durch Schulpsychologen, der Landesschulbehörde erhalten, um eben auch entsprechend dann auf solche Anrufe reagieren zu können und geschult zu sein.

    Götzke: Vielleicht können Sie zum Schluss unseres Gespräches noch mal kurz sagen, wo Opfer sexueller Gewalt sich ab heute melden können.

    Ranke: Die Opfer sexueller Gewalt und Diskriminierung an unseren Schulen und Kindertageseinrichtungen können sich ab sofort bei uns unter 0511-1207120 melden oder auch über unsere E-Mail-Adresse, und zwar lautet die anlaufstelle@mk.niedersachsen.de, sind wir jederzeit für Opfer und auch für allgemeine Fragen erreichbar.

    Götzke: Sagt Julia Ranke, sie leitet das Beratungszentrum für Opfer sexueller Gewalt. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.