Musik 1
Friedrich Goldmann, Linie / Splitter 2
CD Academy 0085242ACA edel, LC 01738
Take 01
Eine flüchtige Geste auf dem Violoncello, ein Klavierklang, ein Liegeton vom Akkordeon - das Ausgangsmaterial wirkt sehr reduziert. In einem Allegro bringt die Dinge ins Laufen, Akkorde brechen auf, Einzelnes fügt sich zu Abläufen - Aktionen, Farben, harmonische Mixtouren sind alsbald ineinander verschränkt. Der Titel Linie/Splitter bringt das Thema der knapp 20-minütigen Kammermusik auf den Punkt. Komponist Friedrich Goldmann betrachtet und behandelt den Gegensatz dialektisch: Linearität und Fragmentarisches erweisen sich als zwei Seiten ein und desselben. Den Urheber - WELTBILD GLEICH NOTENBILD? - interessiert das Verwirrspiel: wie sich aus Punkthaftem ganze Gewebe entfalten lassen, deren Verdichtung wiederum erneut zu Zersplitterung führt.
Goldmann, geboren 1941 bei Chemnitz, galt schon in den 70er-/80er-Jahren in der DDR als einer, der sich an Traditionen nicht schlechthin nur rieb, sondern sich an ihnen mit großer Intensität abzuarbeiten anfing und die klassischen Gattungen um innovative neue Werke zu bereichern verstand. Man denke an seine Sinfonie Nr.1, an die Oper R. Hot, an Streichquartette, Solokonzerte. Auch in seinem Sextett Linie/Splitter 2 aus dem Jahre 2006 bekennt sich der in Berlin ansässige Urheber zu jener vornehmlich deutschen Komponiertradition, die sich auf strenge, materialgerechte kompositorische Technik gründet.
Die Orientierung an Form und Denkart des Klassischen Sonatenprinzips zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch eine eben erschienene CD, die Klavier- und Kammern-Musik des Komponisten aus 40 Jahren vereint. Nicht handwerkliche Entwicklung, Grundzüge Goldmann'schen Komponierens vielmehr will die Platte beleuchten, die junge Berliner Musiker aus dem Umfeld des Ensembles Mosaik vor eineinhalb Jahren in der Universität der Künste eingespielt haben.
Das an Stockhausen, Webern und Nono geschulte Interesse am Klang, die Vorliebe für intensive Materialarbeit, der stete Rekurs auf klassische Form finden sich in allen sechs Titeln: in den zwei Trios aus dem Jahre 2004 ebenso wie in früher Klaviermusik. Anders als Ligeti sucht Goldmann in seinem Horntrio keine Nähe zu Brahms; Streich- und Blasinstrument agieren reibungsvoll unisono, der kontrastierende Klavierpart verweist bestenfalls auf Messiaen.
Hier noch ein zweites Hörbeispiel: das dynamisch sehr kontrastreiche erste der Vier Klavierstücke aus dem Jahre 1973, die in der Summe einen miniaturisierten Sonatenzyklus abgeben könnten. Am Klavier Björn Lehmann, ein hochbegabter junger Kammermusiker und Liedpianist.
Musik 2
Friedrich Goldmann, Allegro aus: Vier Klavierstücke (1973)
CD Academy 0085242ACA edel, LC 01738
Klavier- und Kammermusik von Friedrich Goldmann - eingespielt von jungen Berliner Instrumentalisten aus dem Umfeld des Ensemble Mosaik - eine Produktion der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste, veröffentlicht bei edel CLASSICS.
20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer sind Namen und Werke von Komponisten der ehemaligen DDR aus Konzertprogrammen, Festivals und CD-Regalen landauf landab verschwunden oder nicht in diese gelangt. Das betrifft Traditionalisten wie Avancierte, politisch-ästhetisch Angepasste ebenso wie jene Rebellen, die vor dem '89er Herbst die westdeutschen Podien Neuer Musik gelegentlich zierten. Abgesehen von der exemplarischen Großedition des Deutschen Musikrats Musik in Deutschland 1950 - 2000, fehlt ostdeutsche Neue Musik als Dokument auch auf dem Tonträgermarkt. Insbesondere jene, die gesamtdeutsche Avantgarde-Geschichte mitschrieben - Friedrich Schenker zum Beispiel, Paul-Heinz Dittrich oder gar Christfried Schmidt - sind hier weder mit Highlights ihrer Oeuvres noch mit Einblicken aus den aktuellen Schaffensprozessen präsent. Weshalb verkauft sich derlei zu schlecht? Oder ist ostdeutsche Herkunft noch immer ein Stigma? Gibt es in der vielgestaltigen Landschaft der Speziallabels Neuer Musik keine geeignete Fürsprache? Oder fehlt es an Förderung und Interessenvertretung schlechthin für die Reste ostdeutscher Elitekultur?
Im Falle des Paul Dessau-Schülers Jörg Herchett war der Altenburger Querstand Musikverlag von Klaus-Jürgen Kamprad bereit, eine schwedische Produktion zu veröffentlichen. Es handelt sich dabei um zeitgenössische Orgelmusik - die einen zentralen Schaffenszweig des Komponisten auf CD dokumentiert. Anders als der zwei Jahre ältere Goldmann stand dieser Komponist vor und nach 1989 nie im Rampenlicht bürgerlichen Konzertbetriebs.
Herchet, geboren 1943 in Dresden, fand nach politischen Kollisionen im Hochschulbereich früh seine musikalische Heimat im Kirchraum. Als Registrant bei Kreuz-Organist Herbert Collum erwarb er genaue Kenntnis der Orgel, die er seither als großes Orchester versteht und für die er - getragen von intensiver persönlicher Religiosität - viel komponiert.
Musik 3
Jörg Herchet, komposition 2 für orgel
CD VKJK 0811, LC03722
Disc 1, Take 03
Einzelton, Linie, Akkord, Cluster. Die 1987 entstandene, zweiteilige komposition 2 für orgel birgt alle für Herchets Musik wichtigen Elemente. Der Komponist verzichtet auf tradierte Techniken und Formmodelle; charakteristisch ist eine Dualität musikalischer Kontemplation und Ekstase - Herchet ist hier von Anton Bruckner inspiriert. Selbstredend kennt er die Schulen Neuer Musik, wiewohl er keiner anhängt; an seinem Lieblingsinstrument entfalten sich die Partituren vielmehr intuitiv - die Sinnlichkeit des Orgelklangs ist dabei ein Weg, um Türen zum Transzendenten zu öffnen.
Vorliegende Doppel-CD birgt drei größere Arbeiten oder zumindest Teile daraus. Gary Verkade hat sie auf der 1987 erbauten Grönlund-Orgel im Dom von Lulea in Nordschweden eingespielt. Die achtteilige komposition 1 für orgel, ein Werk der 70er-Jahre, ist mit zwei Sätzen auf der Platte präsent. Hier findet sich bereits der sogenannte All-Intervall-Akkord, aus dem Jörg Herchet sein Komponieren entfaltet. CD 2 bietet das dritte Heft einer auf insgesamt acht bis neun Stunden Musik angelegten komposition mit dem Titel Namen Gottes. Die großräumige Arbeit, an der Herchet seit Mitte der 80er-Jahre schreibt, soll einmal 43 Stücke enthalten - entsprechend der Geheimzahl einer spätantiken griechischen Schrift, die die göttlichen Eigenschaften beschreibt. Der auf der Platte enthaltene 3. Part umfasst sieben Sätze - sechs einfach gebaute umgeben ein weiteres, sehr komplexes, in dem der gleichfalls anonyme Autor des CD-Booklets immerhin das komplexe "Bild eines funkelnden Sternenhimmels" zu erkennen vermag.
Musik 4
Jörg Herchet, komposition 3 für orgel, Heft 3, Stück XVIII
CD VKJK 0811, LC03722
Disc 2, Take 04
Gary Verkade spielt Orgelmusik von Jörg Herchet. Die entsprechende Doppel- CD ist beim Label Querstand des Musikverlags Klaus-Jürgen Kamprad erschienen. Zuvor habe ich Ihnen Ausschnitte aus einer beim Aca-demy-Sublabel der Hamburger Plattenfirma edel angespielt - mit Kammer- und Klaviermusik von Friedrich Goldmann. Soweit für heute DIE NEUE PLATTE, ausgewählt von Frank Kämpfer.
Friedrich Goldmann, Linie / Splitter 2
CD Academy 0085242ACA edel, LC 01738
Take 01
Eine flüchtige Geste auf dem Violoncello, ein Klavierklang, ein Liegeton vom Akkordeon - das Ausgangsmaterial wirkt sehr reduziert. In einem Allegro bringt die Dinge ins Laufen, Akkorde brechen auf, Einzelnes fügt sich zu Abläufen - Aktionen, Farben, harmonische Mixtouren sind alsbald ineinander verschränkt. Der Titel Linie/Splitter bringt das Thema der knapp 20-minütigen Kammermusik auf den Punkt. Komponist Friedrich Goldmann betrachtet und behandelt den Gegensatz dialektisch: Linearität und Fragmentarisches erweisen sich als zwei Seiten ein und desselben. Den Urheber - WELTBILD GLEICH NOTENBILD? - interessiert das Verwirrspiel: wie sich aus Punkthaftem ganze Gewebe entfalten lassen, deren Verdichtung wiederum erneut zu Zersplitterung führt.
Goldmann, geboren 1941 bei Chemnitz, galt schon in den 70er-/80er-Jahren in der DDR als einer, der sich an Traditionen nicht schlechthin nur rieb, sondern sich an ihnen mit großer Intensität abzuarbeiten anfing und die klassischen Gattungen um innovative neue Werke zu bereichern verstand. Man denke an seine Sinfonie Nr.1, an die Oper R. Hot, an Streichquartette, Solokonzerte. Auch in seinem Sextett Linie/Splitter 2 aus dem Jahre 2006 bekennt sich der in Berlin ansässige Urheber zu jener vornehmlich deutschen Komponiertradition, die sich auf strenge, materialgerechte kompositorische Technik gründet.
Die Orientierung an Form und Denkart des Klassischen Sonatenprinzips zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch eine eben erschienene CD, die Klavier- und Kammern-Musik des Komponisten aus 40 Jahren vereint. Nicht handwerkliche Entwicklung, Grundzüge Goldmann'schen Komponierens vielmehr will die Platte beleuchten, die junge Berliner Musiker aus dem Umfeld des Ensembles Mosaik vor eineinhalb Jahren in der Universität der Künste eingespielt haben.
Das an Stockhausen, Webern und Nono geschulte Interesse am Klang, die Vorliebe für intensive Materialarbeit, der stete Rekurs auf klassische Form finden sich in allen sechs Titeln: in den zwei Trios aus dem Jahre 2004 ebenso wie in früher Klaviermusik. Anders als Ligeti sucht Goldmann in seinem Horntrio keine Nähe zu Brahms; Streich- und Blasinstrument agieren reibungsvoll unisono, der kontrastierende Klavierpart verweist bestenfalls auf Messiaen.
Hier noch ein zweites Hörbeispiel: das dynamisch sehr kontrastreiche erste der Vier Klavierstücke aus dem Jahre 1973, die in der Summe einen miniaturisierten Sonatenzyklus abgeben könnten. Am Klavier Björn Lehmann, ein hochbegabter junger Kammermusiker und Liedpianist.
Musik 2
Friedrich Goldmann, Allegro aus: Vier Klavierstücke (1973)
CD Academy 0085242ACA edel, LC 01738
Klavier- und Kammermusik von Friedrich Goldmann - eingespielt von jungen Berliner Instrumentalisten aus dem Umfeld des Ensemble Mosaik - eine Produktion der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste, veröffentlicht bei edel CLASSICS.
20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer sind Namen und Werke von Komponisten der ehemaligen DDR aus Konzertprogrammen, Festivals und CD-Regalen landauf landab verschwunden oder nicht in diese gelangt. Das betrifft Traditionalisten wie Avancierte, politisch-ästhetisch Angepasste ebenso wie jene Rebellen, die vor dem '89er Herbst die westdeutschen Podien Neuer Musik gelegentlich zierten. Abgesehen von der exemplarischen Großedition des Deutschen Musikrats Musik in Deutschland 1950 - 2000, fehlt ostdeutsche Neue Musik als Dokument auch auf dem Tonträgermarkt. Insbesondere jene, die gesamtdeutsche Avantgarde-Geschichte mitschrieben - Friedrich Schenker zum Beispiel, Paul-Heinz Dittrich oder gar Christfried Schmidt - sind hier weder mit Highlights ihrer Oeuvres noch mit Einblicken aus den aktuellen Schaffensprozessen präsent. Weshalb verkauft sich derlei zu schlecht? Oder ist ostdeutsche Herkunft noch immer ein Stigma? Gibt es in der vielgestaltigen Landschaft der Speziallabels Neuer Musik keine geeignete Fürsprache? Oder fehlt es an Förderung und Interessenvertretung schlechthin für die Reste ostdeutscher Elitekultur?
Im Falle des Paul Dessau-Schülers Jörg Herchett war der Altenburger Querstand Musikverlag von Klaus-Jürgen Kamprad bereit, eine schwedische Produktion zu veröffentlichen. Es handelt sich dabei um zeitgenössische Orgelmusik - die einen zentralen Schaffenszweig des Komponisten auf CD dokumentiert. Anders als der zwei Jahre ältere Goldmann stand dieser Komponist vor und nach 1989 nie im Rampenlicht bürgerlichen Konzertbetriebs.
Herchet, geboren 1943 in Dresden, fand nach politischen Kollisionen im Hochschulbereich früh seine musikalische Heimat im Kirchraum. Als Registrant bei Kreuz-Organist Herbert Collum erwarb er genaue Kenntnis der Orgel, die er seither als großes Orchester versteht und für die er - getragen von intensiver persönlicher Religiosität - viel komponiert.
Musik 3
Jörg Herchet, komposition 2 für orgel
CD VKJK 0811, LC03722
Disc 1, Take 03
Einzelton, Linie, Akkord, Cluster. Die 1987 entstandene, zweiteilige komposition 2 für orgel birgt alle für Herchets Musik wichtigen Elemente. Der Komponist verzichtet auf tradierte Techniken und Formmodelle; charakteristisch ist eine Dualität musikalischer Kontemplation und Ekstase - Herchet ist hier von Anton Bruckner inspiriert. Selbstredend kennt er die Schulen Neuer Musik, wiewohl er keiner anhängt; an seinem Lieblingsinstrument entfalten sich die Partituren vielmehr intuitiv - die Sinnlichkeit des Orgelklangs ist dabei ein Weg, um Türen zum Transzendenten zu öffnen.
Vorliegende Doppel-CD birgt drei größere Arbeiten oder zumindest Teile daraus. Gary Verkade hat sie auf der 1987 erbauten Grönlund-Orgel im Dom von Lulea in Nordschweden eingespielt. Die achtteilige komposition 1 für orgel, ein Werk der 70er-Jahre, ist mit zwei Sätzen auf der Platte präsent. Hier findet sich bereits der sogenannte All-Intervall-Akkord, aus dem Jörg Herchet sein Komponieren entfaltet. CD 2 bietet das dritte Heft einer auf insgesamt acht bis neun Stunden Musik angelegten komposition mit dem Titel Namen Gottes. Die großräumige Arbeit, an der Herchet seit Mitte der 80er-Jahre schreibt, soll einmal 43 Stücke enthalten - entsprechend der Geheimzahl einer spätantiken griechischen Schrift, die die göttlichen Eigenschaften beschreibt. Der auf der Platte enthaltene 3. Part umfasst sieben Sätze - sechs einfach gebaute umgeben ein weiteres, sehr komplexes, in dem der gleichfalls anonyme Autor des CD-Booklets immerhin das komplexe "Bild eines funkelnden Sternenhimmels" zu erkennen vermag.
Musik 4
Jörg Herchet, komposition 3 für orgel, Heft 3, Stück XVIII
CD VKJK 0811, LC03722
Disc 2, Take 04
Gary Verkade spielt Orgelmusik von Jörg Herchet. Die entsprechende Doppel- CD ist beim Label Querstand des Musikverlags Klaus-Jürgen Kamprad erschienen. Zuvor habe ich Ihnen Ausschnitte aus einer beim Aca-demy-Sublabel der Hamburger Plattenfirma edel angespielt - mit Kammer- und Klaviermusik von Friedrich Goldmann. Soweit für heute DIE NEUE PLATTE, ausgewählt von Frank Kämpfer.