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Neue Regierung, alte EU-Skepsis

Nach dem Rücktritt der Regierung in Island haben Sozialdemokraten mit der Partei der Links-Grünen eine Minderheitsregierung gebildet. An der Spitze steht die ehemalige Sozialministerin Johanna Sigurdardottir. Die beliebte Politikerin soll das Land aus der Krise führen. Ob Island dafür der EU beitritt, darüber sollen die Bürger aber erst im April entscheiden.

Von Philipp Boerger | 02.02.2009
    "Die Leute lieben sie. Sie wird die 'Heilige Johanna' genannt."

    "Sie ist nicht korrupt, sie ist sehr gut."

    "Sie ist die beliebteste Frau in Island. Sie weiß, was sie tut. Das ist ihre Zeit."

    "Sie hat einen guten Job gemacht und sie hat nie Fehler gemacht."

    Die meisten Isländer sind über ihre neue Regierungschefin Jóhanna Sigurdardóttir sehr froh und finden nur gute Worte: Heilige Johanna - nicht korrupt - immer gute Arbeit gemacht - jetzt ist ihre Zeit gekommen.

    Die 66-jährige Sozialdemokratin mit dem schneeweißen Haar ist schon seit 30 Jahren Politikerin - aber in den Vordergrund hat sie sich nie gedrängt und ist ihrer Einstellung immer treu geblieben. Genau das rechnen ihr die Bürger jetzt hoch an, meint der isländische Radiomoderator Hjolmar Svenson.

    "Vor einem Jahr, da hieß es irgendwie, solche alten Politiker, die so sozialistisch eingestellt sind und nur über die Armen sprechen und so - wir brauchen die nicht mehr. Der Kapitalismus wird uns helfen, der wird alle reich machen. Wir brauchen diesen Typ von Politiker nicht mehr. Und sie war mehr oder weniger vergessen, aber bei solchen Katastrophen denken die Leute wieder an Politiker, die etwas mehr soziale Verantwortung haben."

    Jóhanna Sigurdardóttir ist die erste Frau in Islands Geschichte, die das Amt der Premierministerin übernimmt. Ihr Ziel ist es, die schlimmen Folgen der Finanzkrise zu bewältigen und zu mildern. Das erklärte sie gestern Nachmittag auf der ersten Pressekonferenz ihrer sozialdemokratisch-linksgrünen Minderheitsregierung.

    "Die Verhältnisse sind enorm schwierig und wir haben keine Zeit zu verlieren. Unsere Koalition will die dringendsten Probleme angehen. Wir wollen vor allem dafür sorgen, dass nicht noch mehr Menschen ihre Häuser verlieren. Wir müssen die Wirtschaft stabilisieren und Arbeitsplätze sichern und das Bankenwesen wiederaufbauen. Dabei wollen wir umsichtig und ehrlich handeln und das Vertrauen in die Demokratie wiederherstellen."

    Einfach wird das alles nicht, denn Sozialdemokraten und Links-Grüne sind sich längst nicht in allen Punkten einig. Im Gegensatz zu ihrem Koalitionspartner sind die Linksgrünen gegen einen EU-Beitritt Islands - die jetzige Minderheitsregierung, die gleichzeitig auch eine Übergangsregierung ist, wird deshalb vermutlich keinen Aufnahmeantrag stellen, erklärte der linksgrüne neue Finanz- und Fischereiminister Steingrimur Sigfusson.

    "Diese Regierung wird in dieser Frage keine Entscheidung treffen. In unserem Koalitionsvertrag haben wir stattdessen festgeschrieben, dass das Volk über einen EU-Beitritt diskutieren und dann in einem Referendum darüber abstimmen soll."

    Als Termin für ein solches landesweites Referendum wird der 25. April gehandelt - an diesem Tag sollen auch Neuwahlen stattfinden, für die so viele Isländer im Januar heftig demonstriert und gekämpft haben.

    Als Alternative zu einem EU-Beitritt hat Steingrimur Sigfusson vor einigen Tagen ein Bündnis mit Norwegen vorgeschlagen. Statt des Euros sollte Island die norwegische Krone als Währung einführen. Und sich die Fischereirechte im Nordatlantik mit Norwegen teilen - statt mit 27 EU-Ländern.

    Fischfang und Unabhängigkeit sind Teil der isländischen Identität - und Norwegen, das in diesen beiden Punkten ähnlich eingestellt ist, wie Island, würde von einem Bündnis der beiden Staaten auch profitieren, meint der isländische Fernsehjournalist Egill Helgason.

    "Wenn Island der EU beitritt, ist Norwegen das einzige Land, das Teil des EWR, des Europäischen Wirtschaftsraums ist, aber nicht EU-Mitglied ist. Norwegen wäre isoliert. Das könnte Norwegen also motivieren, uns zu erlauben, ihre Währung einzuführen. Ich weiß aber, dass einige Leute in Oslo diese Idee für lächerlich halten."

    Die Isländer selbst sind in der EU-Frage auch hin- und hergerissen. In der modernen und jungen Hauptstadt Reykjavik sind die meisten Bewohner für einen EU-Beitritt - doch das würde für Island wieder viele schwierige Diskussionen über den Walfang und vermutlich auch dessen Ende bedeuten. Und was am Walfang so schlimm sein soll, dass sich die ganze Welt darüber aufregt, das haben manche Isländer - wie übrigens auch manche Norweger - noch nie verstanden, erläutert Eva. Der Bestand der Wale habe sich erholt, außerdem würden sie dem Kabeljau das Futter wegfressen.

    "Ich glaube, wir könnten mit Walfleisch eine Menge Hunger in der Welt beseitigen. Ich möchte nicht auf mein Walsteak verzichten. Ich bin mit Walfleisch aufgewachsen."