Freitag, 19. April 2024

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Neue Serie "The Attaché"
Beziehungsdrama in Zeiten des Terrors

Vor dem Hintergrund der islamistischen Terroranschläge im November 2015 erzählt der israelisch-marokkanische Filmemacher Eli Ben-David die autobiographisch inspirierte Geschichte seines Ankommens in Paris. Er stellt fest, dass Europa kaum friedlicher ist als Israel.

von Julian Ignatowitsch | 12.03.2021
Szene aus der Serie "The Attaché"
Szene aus der Serie "The Attaché" (©Abot Hameiri)
Am Tag als Serien-Protagonist Avshalom nach Paris kommt, erlebt die Stadt eine ihre dunkelsten Stunden: Schüsse an der Rue de Charonne, der Rue Alibert, am Boulevard Voltaire und im Bataclan-Theater: Menschen rennen schreiend durch die Straßen und die Polizei fährt mit Sirenengeheul vor. Mittendrin der Neuankömmling aus Israel, der mit seiner Familie eigentlich ein neues Leben in Frankreich beginnen möchte:
"Wo wollen Sie hin?"
"Stopp, nicht bewegen! Zeigen Sie mir ihren Ausweis!"
"I don’t understand French…"
"Stopp, nicht bewegen!"
"I don’t understand you…"
"Nicht bewegen! Heben Sie ihr T-Shirt hoch."
Selbst auf der Flucht vor den Schüssen wird Avshalom in diesem Durcheinander zum Tatverdächtigen: Die Pariser Polizei hält ihn, den arabisch stämmigen Juden, an, kontrolliert ihn und verhaftet ihn in Folge eines Missverständnisses.

Nach einer wahren Geschichte

Vor dem Hintergrund der islamistischen Terroranschläge im November 2015 in Paris, die auch eine antisemitische Motivation hatten, ist die Verhaftung Avshaloms umso grotesker. Regisseur und Hauptdarsteller Eli Ben-David hat die Serie "The Attaché" autobiografisch nach einer wahren Geschichte geschrieben.
Eli Ben-David: "Was dem Protagonisten passiert, ist so ähnlich mir selbst passiert. Ich kam als jüdisch-arabischer Israeli nach Europa und verstand plötzlich die Probleme meines Heimatlandes," sagt er im Video-Interview.
Nach der ersten Horrornacht muss Ben-Davids Alter Ego Avshalom nicht nur feststellen, dass Europa kaum friedlicher ist als sein Heimatland, sondern er erfährt auch große Anpassungsschwierigkeiten. Die Sprache, die Arbeit, die Familie, wegen der er überhaupt nach Paris zieht: "Eigentlich ist die Serie eine Liebesgeschichte, es geht um Feminismus und meine Frau. Als sie zu mir sagte, wir müssen nach Paris ziehen, wusste ich, dass ich ihr folgen muss. Auch wenn es hart wird, sehr hart." Denn der Attaché ist sie, nicht er: Annabelle, Avshaloms Frau, die einen Job in der israelischen Botschaft in Paris gefunden hat. So erzählt die Serie nicht nur von gesellschaftlicher Integration und Diskriminierung, sondern noch viel mehr vom Wandel einer Beziehung, von einem neuen Familienleben.

"Das klingt ja wie deutsch rückwärts…"

Spricht hebräisch
"Was hast du gerade gesagt?"
"Warum hast du mich nicht angerufen."
"Das klingt ja wie deutsch rückwärts…"
Sie tut das auf gefühlvoll-tragisch-komische Weise in drei Sprachen mit original hebräischen und arabischen Dialogen, die in der deutschen Fassung untertitelt sind.
"Ach verdammt, willst du mir schon wieder den Abend versauen?!"
Avshaloms Problem: Plötzlich steht sie im Mittelpunkt und nicht mehr er, der in Israel ein erfolgreicher Musiker war und jetzt arbeitslos ist. Er ringt gleichermaßen mit seiner kulturellen Identität wie mit seiner Rolle als Mann und Vater. Eine Erfahrung, die auch Serienmacher Ben-David gemacht hat: "Einmal sagte mir mein Sohn, Papi, bitte versuch nicht französisch vor meinen Freunden zu sprechen, weil du wirkst blöd. Ein andermal saß ich mit meiner Frau und ihren Freunden beim Essen und konnte kein Wort sagen. Ich versuchte meine Probleme, die Sprache, in den Griff zu kriegen, und gleichzeitig sah ich, wie gut es meiner Frau ging, wie sie wuchs und zu mir sagte: ‚Fang mich, wenn du kannst.‘"
"The Attaché" ist eine Geschichte vom modernen Mann in Zeiten der Emanzipation, sie ist vielleicht so wie diese "neuen" Männer sind (oder sein sollen): ein bisschen paranoid, manchmal etwas larmoyant, aber auch stolz, kämpferisch und einfühlsam. Eine Prise Selbstüberschätzung ist natürlich auch dabei, von der übrigens auch der echte Eli Ben-David erzählen kann, füllt er in der Serie doch die Rolle des Regisseurs, Drehbuchautors und Hauptdarstellers selbst aus: "Macht das nicht nach! Schauspielern, Anweisungen geben, schreiben, noch dazu die eigene Geschichte… Aber ganz ehrlich: Meine Frau hat mir gesagt, ich solle das alles machen. Das ist ihr Fehler! Ich werde so etwas nicht nochmal machen (lacht)."

Ironisch-liebevoller Blick

Die Serie kombiniert eine melancholische Leichtigkeit, die man aus dem französischen Kino kennt, mit der neurotischen Selbstironie, wie sie bekannte amerikanisch-jüdische Regisseure etwa Woody Allen oder die Coen-Brüder auf die Leinwand bringen. Manches kratzt nah am Klischee, wird aber ironisch gebrochen, mit einem liebevoll-verständisvollen Blick für die menschlichen Schwächen und Alltagsprobleme.
Letztlich ist "The Attaché" weit weniger (identitäts-)politisch als die ersten beiden Folgen vermuten lassen, es entwickelt sich eine Liebesgeschichte mit Tiefgang und Witz, die in jedem Fall empfehlenswert ist.