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Neue Spezies
Zuckmückenart im Meer entdeckt

Im Meer sind Insekten selten. Die wenigen Arten, die im Salzwasser überleben, haben meist außergewöhnliche Anpassungen hervorgebracht. Eine solches Tier haben chinesische Wissenschaftler nun auf dem internationalen Kongress der Fliegenforscher in der namibischen Hauptstadt Windhoek vorgestellt.

Von Joachim Budde | 04.12.2018
    Zuckmücke
    Chinesische Forscher haben erstmals eine Zuckmückenart gefunden, die im Salzwasser lebt. (imago stock&people / Margarete Hucht)
    Zuerst dachte Xiaolong Lin, er habe es mit einer völlig neuen Insektengattung zu tun. Zu ungewöhnlich sahen die Zuckmücken aus, die er gefangen hatte:
    "Normale Mücken können fliegen. Aber die erwachsenen Männchen und Weibchen dieser Zuckmücken können nur noch auf dem Wasser gleiten."
    Zuckmücken gehören zu den Zweiflüglern, weil sie – wie etwa die Stubenfliegen – lediglich ein Flügelpaar besitzen statt zwei wie die meisten anderen Insekten. Zuckmücken stechen nicht und saugen kein Blut. Ihren Namen verdanken sie der Tatsache, dass die erwachsenen Tiere, wenn sie irgendwo herumsitzen, mit den Vorderbeinen zucken – wie Dirigenten.
    Die Vorderbeine der Männchen von Dicrotendipes sinicus – so haben die Forscher das Tier genannt – sind doppelt so lang wie ihr restlicher Körper, sagt der Entomologe vom College of Life Sciences an der Nankai University im chinesischen Tianjin:
    "Erst die genetischen Untersuchungen zeigten, dass es eine neue Art in einer bekannten Gattung ist. Das hat uns zu Beginn sehr verwirrt."
    Zuckmücken leben meist im Süßwasser
    Denn die neue Zuckmücke unterscheidet sich so stark von den nächsten Verwandten. Die leben alle im Süßwasser – so wie die meisten der weltweit über 5.000 Arten. Einige Gattungen haben jedoch extreme Lebensräume erobert – wie die Antarktis oder das Meer.
    Als sie das Verhalten der Tiere beobachteten, merkten die Wissenschaftler, dass die Zuckmücken gar nicht zu fliegen brauchen: Nachdem die Larven sich unter Wasser entwickelt und verpuppt haben, schlüpfen im Frühsommer die ausgewachsenen Zuckmücken – mit Vorliebe in der Morgendämmerung, wenn Taifun-Wetterlagen den Luftdruck absinken lassen. Sofort machen sich die Männchen auf die Suche nach Weibchen. Sie benutzen ihre Flügelreste wie Propeller, um sich über das Wasser zu schieben. Xiaolong Lin:
    "Die Männchen können sehr schnell über das Wasser gleiten. Die Weibchen warten regungslos, bis die Männchen sie finden. Dann greifen die Männchen die Weibchen mit ihren langen Vorderbeinen und halten sie bei der Befruchtung fest. Außerdem haben wir beobachtet, dass die Männchen ihre Vorderbeine gebrauchen, um Konkurrenten zu vermöbeln, die sich an ihre Weibchen heranmachen."
    Die Weibchen legen ihre Eier. Nach wenigen Stunden sterben die Tiere schon wieder.
    "Auf dem Wasser gleiten, ohne einzusinken."
    Xiaolong Lin vermutet, dass die neuen Zuckmücken vor 19 bis 29 Millionen Jahren aus dem Süßwasser ins Salzwasser übergesiedelt sind und ihren Körperbau an den neuen Lebensraum angepasst haben. Neben den augenfälligen Besonderheiten gehören dazu kleinste Härchen auf dem Körper der Tiere, sagt Lin:
    "Das sind Strukturen im Nanomaßstab, die dafür sorgen, dass der Körper der Insekten Wasser abweist. Daraus können wir viel lernen: Wie die Härchen funktionieren und warum sie so schnell auf dem Wasser gleiten, ohne einzusinken."
    Dass Xiaolong Lin und seine Kollegen die neue Zuckmückenart überhaupt gefunden haben, könnte daran liegen, dass sie in den Zuchtbecken für Krustentiere an der Pazifikküste ideale Voraussetzungen finden: Das Wasser ist warm, Nahrung ist im Überfluss vorhanden. Denn die Züchter werfen Massen von Vogeleiern in die Becken, um ihre Krebse und Shrimps zu versorgen. Das funktioniert so: In dem nährstoffreichen Wasser wachsen große Mengen Algen, und die wiederum sorgen dafür, dass sich die Zuckmücken stark vermehren. Deren Larven schließlich dienen als Futter für die Krustentiere.
    "Wir sind über das neue Meeres-Insekt begeistert. Denn es gibt Millionen Insektenarten, aber nur sehr wenige im Salzwasser. Denn Salzwasser macht Insektenlarven das Leben schwer. So eine seltene Art zu finden, ist für uns sehr interessant", so Lin.
    Außerhalb der Zuchtbecken haben Xiaolong Lin und seine Kollegen die Tiere bislang vergeblich gesucht. Es muss sie aber geben, denn die Fischer lassen die Becken in jedem Herbst ab, um sie zu reinigen. Erst im Frühjahr gelangen die Meeres-Zuckmücken wieder in die Becken, um sich dort rasant zu vermehren.