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Neue Struktur, neue Vorsitzende

Die SPD bekommt voraussichtlich den Vorsitz des neuen Bundestags-Sportausschusses. Mit Dagmar Freitag wird die langjährige Sportsprecherin dieses Amt ausüben. Der Ausschuss wurde von 16 auf 18 Abgeordnete erweitert.

Von Jens Weinreich |
    Die Besetzung des neuen Bundestags-Sportausschusses steht im Prinzip, wenngleich formal noch einige Entscheidungen ausstehen. Der Ausschussvorsitz geht nach Verhandlungen unter den Fraktionschefs an die SPD – und damit an die langjährige Sportsprecherin Dagmar Freitag.

    Zunächst die Zahlen: Der Ausschuss wurde von 16 auf 18 Abgeordnete erweitert. CDU/CSU stellen sieben Abgeordnete, die FDP drei – damit ist die Mehrheit gegen SPD (vier), Linke (zwei) und Grüne (zwei) gesichert. Die SPD hat zwei Sitze verloren, alle anderen Fraktionen einen gewonnen.

    Die neue Chefin Dagmar Freitag ist 56 Jahre alt, Lehrerin von Beruf und stammt aus Iserlohn. Sie gehört seit 1994 dem Bundestag an, war seit 1998 sportpolitische Sprecherin der SPD, dieses Amt gibt sie nun an Martin Gerster ab. Sie gehörte zum sogenannten Kompetenzteam des gewesenen Kanzlerkandidaten Steinmeier – insofern überrascht ihr Comeback.

    Frau Freitag hatte sich mit dem scheidenden Ausschussvorsitzenden Peter Danckert in wichtigen Fragen zerstritten. Danckert, der gern Sportminister geworden wäre, wechselt in den Haushaltsausschuss. Freitag bleibt dem auswärtigen Ausschuss treu, ist aber aufgrund der Fraktionsarithmetik plötzlich sehr im Sportausschuss gebunden.

    CDU-Sportsprecher Klaus Riegert erklärt, warum sein Favorit und Parteifreund Eberhard Gienger nicht Sportchef geworden ist.

    "Ich hätte gern den Vorsitzenden Eberhard Gienger gehabt. Das ging nicht, wenn man so will, aus ganz lapidaren Gründen. Wir kriegen neun Ausschussvorsitzplätze, davon stehen zwei der CSU zu, das heißt, die CDU bekommt sieben – und wir Baden-Württemberger haben mit Recht, mit Geschäftsordnung, mit Europa schon drei gezogen. Und deshalb hatte der Eberhard Gienger schlichtweg das Pech, dass er aus Baden-Württemberg kommt. Wenn er aus Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein kommen würde, hätte er den Ausschussplatz wahrscheinlich sogar bekommen."

    Statt des DOSB-Vizepräsidenten Gienger also die DLV-Vizepräsidentin Freitag. In einer Woche will sie auf dem Verbandstag des Deutschen Leichtathletik-Verbandes in Berlin erneut für das Amt kandidieren, das sie seit 2001 hat. Vier Tage später wird sie offiziell Sportausschuss-Chefin.

    Interessenskonflikte in dieser Doppelfunktion sieht sie nicht. Auch CDU-Sportsprecher Riegert hat damit kein Problem, ebenso wenig die Linke-Sportsprecherin Katrin Kunert.

    Der neue FDP-Sportsprecher Joachim Günther dagegen ließ Fragen des Deutschlandfunks unbeantwortet.

    Grünen-Sportsprecher Winfried Hermann rät Frau Freitag, gar nicht erst wieder für den DLV zu kandidieren, sondern sich auf den Ausschussvorsitz und die gebotene Unabhängigkeit zu konzentrieren:

    "Ich erwarte jedenfalls von einer Ausschussvorsitzenden genügend Distanz auch zu den Sportorganisationen selber. Denn schließlich haben wir die Aufgabe zu kontrollieren, was der Staat macht, wir haben zu kontrollieren, was die Sportorganisationen mit dem Geld der öffentlichen Hand machen. Und da ist kritische Distanz auf jeden Fall gut und da ist es nicht so gut, wenn man selbst Teil des Verbandssystems ist."

    In der Familie des Sports, zu der sich viele Parlamentarier zählen, gehört Lobbyismus allerdings zum Tagesgeschäft. Der Berliner Sportphilosoph Gunter Gebauer hat schon vor Monaten kritisiert:

    "Nun gibt es sehr viele Lobbyisten im Bundestag. Aber ich habe sehr selten gesehen, dass so offen über Lobbyarbeit gesprochen wird. Das ist eine Nähe zum organisierten Sport, die man in dieser Offenheit und dieser Freude des Bekenntnisses und dieser Bereitschaft, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, in anderen Ausschüssen eigentlich nicht erlebt."

    Frau Freitag erklärte kürzlich gegenüber der FAZ, die "Männer vor mir haben ihre Ehrenämter auch nie aufgegeben". Indes ist die Frage des Lobbyismus und möglicher Interessenkonflikte keine Frage des Geschlechts, sondern eine des Prinzips.

    Als Lobbyistin der Leichtathletik-WM 2009 hat Frau Freitag ihre Rolle gespielt. Eigenständige sportpolitische Akzente aber vermisste man bislang von ihr.

    In der von Januar bis August 2009 erbittert diskutierten Frage der Beschäftigung von Dopingtrainern mit Steuermitteln zählte sie zu jenen, die das Thema am liebsten in aller Stille abgehandelt hätten. Das war im Interesse des DLV, des BMI und der Regierungskoalition. Als es vor einem darum ging wegen anhaltender Versäumnisse in der Dopingbekämpfung Steuermittel etwa für den Bund Deutscher Radfahrer zu sperren, sah auch Freitag keinen Grund für Konsequenzen.

    In der vorerst letzten Sportdebatte des Bundestages Anfang Juli sagte sie dagegen:

    "Wir ziehen Bilanz am Ende einer Legislaturperiode und das ist natürlich Anlass genug, einen kurzen Blick zurückzuwerfen. Und da fällt zwangsläufig der Blick auf die große offene Flanke, nämlich eine wirklich Erfolg versprechende Dopingbekämpfung und deren Auswirkungen in ihrer verheerenden Form auf den gesamten Sport. Meine Fraktion wäre in der Dopingbekämpfung gerne weiter gegangen. Wir sind in der Frage am Koalitionspartner und an großen Teilen des organisierten Sports gescheitert."

    Als Ausschusschefin der Opposition kann sie daran nichts ändern, selbst wenn sie es tatsächlich wollte.

    Die Führung des Deutschen Olympischen Sportbundes hat zwar den Kandidaten Gienger nicht durchgebracht, ist dennoch zufrieden, sich nicht mehr mit Danckert streiten zu müssen. DOSB-Chef Thomas Bach (FDP) erklärte, man "respektiere die Autonomie der Fraktionen" und erwarte, dass die Autonomie des Sports ebenso akzeptiert werde.

    Der Fehler in dieser anmaßenden Aussage besteht schon darin, dass der Sport kaum autonom sein kann, weil er ohne die Alimentierung durch Steuermittel nicht existieren könnte.

    Eindeutig hat sich Dagmar Freitag zur Frage geäußert, ob die Sitzungen des Sportausschusses weiter öffentlich stattfinden sollten. Sie ist dafür – und erhält überraschend Unterstützung von ihrem ehemaligen Koalitionspartner von der CDU. Klaus Riegert:

    "Meine Meinung ist, dass es nicht gehen wird, dass wir die Nicht-Öffentlichkeit herstellen. Das heißt, ich bin der Meinung, dass wir weiterhin öffentlich tagen sollten. Wenn es Fragen gibt, wo Gesprächspartner Dinge nicht öffentlich benennen können, gibt's ja die Möglichkeit, dann nicht-öffentlich zu tagen. Aber der Grundsatz sollte bleiben, dass wir öffentlich tagen."