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Neue Studie zu Achtsamkeit
Die Nebenwirkungen der inneren Ruhe

Für ein psychologisches Experiment wurden Menschen, die Fleisch essen, mit Tierleid konfrontiert. Diejenigen, die vorher Achtsamkeitsübungen gemacht haben, zeigten seltener ein schlechtes Gewissen als die Vergleichsgruppe. Heißt das, Meditation reduziert Mitleid? So einfach ist es dann doch nicht.

Von Mechthild Klein |
Grunschüler meditieren im Lotussitz auf den Schulbänken
Leistungsmaschinen ohne Gewissen? Neue Studien warnen vor wertefreien Achtsamkeitsübungen (imago stock&people)
Der Sozialpsychologe Simon Schindler von der Universität Kassel hat vor kurzem eine neue Studie zur Achtsamkeit vorgestellt. Mehr als 700 Personen hatten in fünf Versuchen daran teilgenommen. Der Wissenschaftler wollte erforschen, wie sich Achtsamkeitsmeditation auf Gefühle wie Schuld und ein schlechtes Gewissen auswirkt und zwar bei gesunden Menschen.
"Achtsamkeit ist ein tolles Instrument, um Stress zu reduzieren und eine Entspannung herbei zuführen. Da ist die Befundlage eigentlich ganz gut."
Schindler selbst praktiziert eine Achtsamkeitsmeditation. Nämlich Zen - das stille Sitzen, in dem man sich auf den Atem konzentriert. Von der positiven Wirkung der Meditation ist er überzeugt. Bei der Achtsamkeitsmethode geht es darum, dass man Gefühle, Gedanken oder Geräusche zwar wahr nimmt, aber nicht als gut oder schlecht bewertet.
Simon Schindler: "Und dann geht’s darum die Gedanken und Gefühle wahrzunehmen wieder loszulassen und typischerweise geschieht das Ganze bei einer Atemübung. Das heißt, alles was passiert, alle Vorgänge, werden erst mal wahrgenommen, nicht bewertet."
Achtsamkeit als Impulskontrolle
In der Achtsamkeit wird eingeübt, sich nicht sofort von seinem Emotionen mitreißen zu lassen. Es ist eine Impulskontrolle.
"Das heißt, man kann lernen nicht automatisch Opfer von seinen Emotionen zu sein. Wie zum Beispiel, wenn ich jetzt Hass empfinde oder Wut empfinde gegenüber dem Freund. Dann kann ich sagen: Okay, ich nehme das Gefühl erst mal wahr und dann erfolgt keine unmittelbare Reaktion, die auch Schaden anrichten würde."
In den Versuchen forcierten die Psychologen, bei den Teilnehmern Schuldgefühle zu erzeugen. So konfrontierten sie etwa Fleischesser mit Tierleid und der Herstellung von Fleisch und welche ökologisch gravierenden Folgen der Fleischkonsum habe. Danach prüften sie deren schlechtes Gewissen und die Absicht, den Fleischverzehr zu reduzieren.
Simon Schindler erzählt: "Und die Ergebnisse waren wie folgt: dass die Leute, die eine Achtsamkeitsübung gemacht haben, dass das schlechte Gewissen nicht so ausgeprägt war und entsprechend die Absicht nicht so stark war, den Fleischkonsum zu reduzieren, verglichen mit den Leuten, die eine Kontrollübung gemacht haben. Das heißt, Achtsamkeit hat hier dazu geführt, das schlechte Gewissen zu reduzieren."
Die Versuche legen nahe, dass Achtsamkeit nicht nur störende Gefühle herunter dimmen kann, sondern auch das Mitgefühl oder die Bereitschaft, eine Situation zu ändern. Zwar sei es positiv, dass man mit der Methode seine Emotionen besser regulieren könne. Aber manche Emotionen seien eben auch hilfreich, weil sie moralisches Verhalten förderten, sagt Schindler.
Stilleübungen in der Schule
"Und hier ist Achtsamkeit - so unsere Idee - kann hinderlich sein. Wir sagen aber nicht per se: 'Achtsamkeit führt zu antisozialem Verhalten'. Aber es kommt auf die Situation an, da sind wir dran weitere Studien zu machen und die Idee ein bisschen auszubauen. Einfach um dafür zu sensibilisieren, was sind mögliche Nebenwirkungen von Achtsamkeit. Weil die positiven Wirkungen, die sind zweifellos da."
Die Methoden der Achtsamkeit werden nicht nur im klinischen Bereich bei Depressionen eingesetzt sowie in der Wirtschaft im Management. Sondern auch in der Schule. Dort sitzen die Schüler nicht wie in Meditation auf einem Kissen und konzentrieren sich auf den Atem, sondern sie folgen kurzen Körper- und Stilleübungen, die die Lehrer und Lehrerinnen anleiten. Mit großen Erfolgen, sagt Josef Keuffer. Er ist Direktor des Instituts für Lehrer-Bildung und Schulentwicklung an der Universität Hamburg.
"Mein Eindruck ist, dass mit den Methoden der Achtsamkeit eine stärkere Fokussierung erreicht werden kann. Dass man dort mit den Methoden die Möglichkeit hat zwischen Reiz und Reaktion einen kleinen Zeitraum zu legen, damit man nicht in ein Hamsterrad gerät. Das ist Ziel und Zweck dieser Übung. Dass dort das Gewissen herabgesetzt wird, dieser These kann ich nicht folgen."
"Wertebasierte Vermittlung"
Auch Keuffer kennt die buddhistische Geschichte der Achtsamkeitstechniken: dass in Japan die Methode früher genutzt wurde, um besser kämpfen zu können. In China gab es sogar Kampf-Mönche, die Shaolin, die als Krieger eingesetzt wurden.
"Tja, wenn man eine Methode missbrauchen will, geht das immer", ist Keuffer überzeugt. "Das ist in der Methode so nicht angelegt. Wir wissen auch, dass im amerikanischen Militär Methoden der Achtsamkeit genutzt werden. Das alles spricht nicht gegen die Methode. Es spricht nur dafür, dass man den Einsatz der Methode gut betreiben soll und dass man natürlich Achtsamkeit wertebasiert, auch in Schulen vermittelt. Natürlich auch Werte wie Empathie, Mitgefühl auch entsprechend mit vermittelt. Das lässt sich sehr gut miteinander verbinden."
Josef Keuffer sagt, dass die Methoden der Achtsamkeit den Schülern helfen, eine Präsenz einzuüben, um besser gemeinsam lernen zu können. Damit Schüler überhaupt in die Lage versetzt würden, dem Unterricht folgen zu können.
"Wir wissen über Digitalisierungsprozesse, dass der Fokus nicht immer so gegeben ist, sondern dass man über das Spiel mit dem Handy, über das sogenannte Daddeln auch so abgelenkt wird, dass man auch längeren Vorträgen nicht mehr gut folgen kann. Und diese Methode bietet eine Gelegenheit an der Stelle, ein fokussiertes Lernen wieder zu ermöglichen. Wir haben in Hamburg gute Erfahrungen gemacht in Lerngruppen, die mit diesen Methoden arbeiten."
Weniger Angst vor Klausuren
Stressresistenz sei dabei unbedingt erwünscht, sagt Keuffer. Und er berichtet von einer Frankfurter Schule, in der freitags immer Achtsamkeit geübt werde. An diesem Tag wollten die Lehrer immer gerne Klassenarbeiten schreiben, weil die Schüler aufmerksamer seien. Die Übungen seien sehr kurz, in der Grundschule nur fünf Minuten.
"Es gibt auch Versuche, die wir in Bielefeld in der Oberstufe durchgeführt haben, vor Klausuren. Wo wir Cortisol-Spiegel gemessen haben. Das heißt den Angstspiegel im Blut. Man konnte feststellen, dass mit bestimmten Methoden, diese Spiegel reduziert werden konnten. Und dann ist es tatsächlich lernförderlich, wenn man mit weniger Angst an die Aufgaben herangehen kann. Dann kann das leistungsförderlich sein."
Dass Achtsamkeitsmethoden nicht von ethischen Überlegungen lösgelöst werden sollten, hat sich unter Pädagogen bereits herumgesprochen. Josef Keuffer kennt diese Bedenken.
"Ethisches Handeln gehört zu den Werten, die wir schulisch auch vermitteln. Das heißt, wie verhält man sich in der Schule, in der Gesellschaft, da gibt es Regeln, die sind auch ethisch gebunden. Ethik ist nicht nur ein privilegiertes Vorrecht einer Religion, sondern gehört auch in den normalen gesellschaftlichen Vollzug hinein. Ethik ist wichtig."
In Hamburg gibt es bislang nur eine Hand voll Lehrer, die Methoden der Achtsamkeit einsetzen, immer in Rücksprache mit den Schulleitungen und Eltern. Bevor die Lehrer die Achtsamkeitsmethoden als Lernhilfe einsetzen, müssten sie selbst die Methode schon länger üben. Inwiefern auch kurze Achtsamkeitsübungen das Gewissen verändern, das müssen wohl erst weitere Studien belegen.