Rabbiner Reuven Yaacobov packt vorsichtig aus einer Plastiktüte mehrere Bögen Pergament aus. Wo sonst die Tora in der Erfurter Synagoge gelesen wird, liegt jetzt ein weißes Tischtuch. Mit Klebekrepp befestigt er den ersten Bogen Pergament darauf. Es ist hauchdünne Rinderhaut mit feinen, eingezeichneten Linien.
Reuven Yaacobov ist gebürtiger Usbeke und Rabbiner in Berlin. Zugleich ist er hier in Erfurt der Sofer - der Schreiber - der neuen Tora. An der Yeshiva - einem speziellen Ausbildungsort für jüdische Gelehrte - hat er das Handwerk gelernt. Zunächst in Moskau, später auch in Israel.
Reuven Yaacobov ist auch Mohel - das heißt, er darf Jungen rituell beschneiden, und er ist speziell ausgebildet, Tiere zu schächten: "Ich wollte in meiner Rabbinerausbildung alle Berufe lernen, deswegen habe ich das gelernt."
An diesem Tag in Erfurt schreibt er die ersten Zeilen der neuen Tora. "Dann sagt man das eine Gebet, dann fange ich an zu schreiben, Bet, Reish, Aleph, Shin, Jud, Tav. Also ich schreibe nicht das ganze Wort, sondern jeden Buchstaben einzeln", erklärt er. Wenig später wird er genau das - im Blitzlichtgewitter der Kameras - auch tun.
Geschenk und Symbol zugleich
In der ersten Reihe sitzen auf den Synagogenbänken auch der katholische Bischof von Erfurt und der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Beide Kirchen werden in zwei Jahren die Torarolle feierlich übergeben. Als Geschenk und als Symbol. Denn nicht immer war das Miteinander der Religionen ein friedliches, auch nicht in Thüringen.
Für den thüringischen Landesrabbiner Alexander Nachama ist es ein positives Signal:
"Weil jede Tora-Rolle eben auch ein Zeichen ist, dass es jüdisches Leben geben soll. Man schafft nicht eine Tora-Rolle an, wenn man denkt, da gibt es keine Zukunft. Sondern eine Tora-Rolle, die man über viele Jahre benutzen kann, ist eben ein Zeichen dafür, dass man jüdisches Leben in Thüringen haben möchte."
85 Seiten Pergament werden es am Ende sein, die der Sofer vorsichtig zu einer Rolle zusammen näht. Mehr als 300.000 Buchstaben wird er dann geschrieben haben.
Dazu Reuven Yaacobov: "Wenn ich die Tora schreibe - ich sehe keinen, ich höre keinen. Ich bin hundert prozentig drinne."
Benutzt wird - traditionell - eine Gänsefeder, vorne zugespitzt und nach oben angeritzt, damit die Tinte fließen kann. Eine Metallfeder ist verboten. Es dürfen nur natürliche Materialien verwendet werden.
"Die Tora ist unser Leben. Es ist Gottes Wort. Und wir bewahren das. Immer versuchen wir, das mit der schönsten Schrift zu schreiben und auf dem Pergament, damit es mehr Zeit wie möglich bleibt und die Erfahrung zeigt: Das bleibt ungefähr für 1.000 Jahre."
Reuven Yaacobov wird in den kommenden beiden Jahren oft in Thüringen sein und die Tora schreiben. Und er macht das nicht allein. Er lädt Interessierte ein, ihm gewissermaßen zu assistieren und ihm beim Schreiben ihre Hand auf seinen Arm zu legen.
Für ihn ist es die 31. Tora-Rolle, aber die erste, die von Kirchen finanziert und dann an eine Jüdische Gemeinde verschenkt wird. In Thüringen will man damit an 900 Jahre christlich-jüdische Geschichte erinnern.
"Und das macht die ganze Zeremonie besonders. Damals lebten auch die Juden und Christen zusammen. Und jetzt kommen die Zeiten wieder. Und es ist schön. Lass uns miteinander leben. Lass uns miteinander in Frieden leben und miteinander eine neue Zukunft bauen."