Archiv


Neue Väter braucht das Land

Der Publizist Christian Nürnberger begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sorgerecht für unverheiratete Väter, glaubt aber nicht, dass damit eine neue "Väterkultur" in Gang komme. Von einer ehrlichen Teilung zwischen Mann und Frau bei Kindererziehung und Haushalt sei man immer noch sehr weit entfernt.

Christian Nürnberger im Gespräch mit Mascha Drost |
    Mascha Drost: In Europa ist es längst Standard, dass auch bei unverheirateten Paaren beide Elternteile das gemeinsame Sorgerecht erhalten. Deutschland hat nun nachgezogen, angemahnt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Mütter können nun nicht mehr allein das alleinige Sorgerecht für sich beanspruchen. Im Blick hatte das Bundesverfassungsgericht natürlich auch die sogenannten neuen Väter, die sind ein relativ junges Phänomen. Vor 20 Jahren war die Situation noch eine völlig andere, und wer als Mann zu Hause blieb und die Kinder hütete, war ein Exotikum, wie etwa der Publizist Christian Nürnberger, der zu Hause Kind und Haushalt schmiss, damit seine Frau Karriere machen konnte. Damit sind Sie sozusagen einer der ersten dieser neuen Väter, und bevor wir auf die zu sprechen kommen die Frage: Ist das nun ein gutes Urteil, oder wird den Vätern da nicht zu viel zugestanden, zu viel Ehre gemacht? Denn es gibt ja immer noch die 500.000 Väter, die noch nicht einmal für ihre Kinder zahlen, geschweige denn da sein wollen.

    Christian Nürnberger: Ja, also prinzipiell halte ich das Urteil für gut. Ich denke, die Welt nach diesem Urteil ist ein kleines bisschen besser als vor diesem Urteil, und die Väter, die von diesem Recht keinen Gebrauch machen wollen, müssen ja nicht, also die Väter wird es weiterhin geben, die sich aller möglichen Pflichten entledigen und nicht mal zahlen und die sind dann davon ja eigentlich auch nicht tangiert. Die werden sich dann schwer einmischen, wenn es um eine Schulentscheidung geht oder so.

    Drost: Kann das Urteil vielleicht sogar zu einer neuen Väterkultur führen?

    Nürnberger: Das glaube ich auch wieder nicht, das wäre zu optimistisch. Väterkultur - ich weiß gar nicht, was das sein soll und was das ist. Nein, ich denke nicht. Im Familienrecht, es ist halt ein ganz kompliziertes Recht deshalb, weil jeder Einzelfall anders ist und weil es da bis ins Private und Intimste hineingeht und diesen intimen Individualismen kann ein Recht nie gerecht werden, ganz. Und darum kann man da auch keine Pauschalurteile abgeben.

    Drost: Der neue Vater, der immer beschworen wird - man sieht ihn ja auf der Straße, zumindest in einer Großstadt, er trägt das Baby vor dem Bauch und schiebt den Kinderwagen, sitzt auf dem Spielplatz. Aber hat man sich da nicht zu früh gefreut, ist das wirklich von Dauer oder nur die ersten zwei Monate Elternzeit, zu denen man sie ja verdonnert hat?

    Nürnberger: Ja, ich glaube, wir sind von einer ehrlichen Teilung zwischen Mann und Frau, was Kindererziehung und Haushalt betrifft, immer noch sehr weit entfernt. Das liegt zum einen an den Vätern, die die gar nicht so viel Wert darauf legen, die lieber ihrer Arbeit nachgehen, als sich zu Hause um die Windeln zu kümmern. Und das liegt zum anderen aber auch an den Arbeitgebern, die einfach die Struktur nicht schaffen, die eine Verbindung von Familie und Beruf einfach besser zulassen.

    Drost: Können Sie die Väter verstehen? Ich meine, Sie haben es ja genau andersrum gemacht.

    Nürnberger: Nein, ich kann das nicht verstehen. Ich finde, ihnen entgeht sehr viel. Sie werden wahrscheinlich dem Kind immer fremd bleiben, wenn sie sich zu Hause nicht blicken lassen und wenn sie nicht mitkriegen, wie das Kind sich entwickelt. Und das ist eine sehr beglückende Erfahrung, das mitzuerleben.

    Drost: Nun sind in der modernen Arbeitswelt ja auch immer mehr Eigenschaften wie Multitasking, wie Teamfähigkeit, Einfühlungsvermögen gefragt. Das ist eigentlich alles, was man im Umgang mit einem Kind dringend benötigt und sich zwangsläufig auch aneignen muss. Aber das wird ja auch eher Frauen als Männern zugeschrieben. Kann man als Vater nicht vielleicht auch besser Karriere machen eben mit diesen Eigenschaften, die man sich da erwirbt?

    Nürnberger: Ja, ich bin unbedingt dieser Meinung. Nur erkennen das eben die nicht, die dafür verantwortlich sind, solche Leute einzustellen. Es ist immer noch, also weit verbreitet ist immer noch der Reptilienhirnmensch, der also nur kennt: gewinnen oder verlieren, Hammer oder Amboss sein und den Konkurrenten niederringen und den chinesischen Konkurrenten im Blick haben und nicht nach links und nach rechts gucken. Und diese Männer, die entscheiden über Karrieren, und für die ist nun einmal einer, der sagt, ich mache jetzt mal ein Jahr Familienpause, der ist für die suspekt, denn der signalisiert: Ich kenne noch andere Werte als den Wert, meinem Unternehmen zu dienen. Und die fallen dann bei der nächsten Beförderung durchs Raster. Das wissen viele Männer und darum verzichten auch solche, die es vielleicht gern machen würden, verzichten dann lieber darauf.

    Drost: Die Gleichberechtigung von Mutter und Vater, die ja nun auch mit dem Urteil angegangen wird - was muss passieren, damit diese Realität wird, was muss noch passieren und wird sie überhaupt eines Tages Realität werden können, was meinen Sie?

    Nürnberger: Ich denke schon, dass sie Realität werden kann. Diese Reptilienhirnmänner, die sterben aus, und sie werden die Erfahrung machen, dass die Unternehmen, die da flexibler reagieren auf die Wünsche von Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dass die langfristig erfolgreicher sein werden auf dem Markt. Und dann werden sie nachziehen, wenn sie es endlich gelernt und kapiert haben.

    Drost: Und was für Hirne haben diese Männer dann?

    Nürnberger: Die haben neuzeitliche, zeitgemäße, neue Männerhirne.

    Drost: Christian Nürnberger, herzlichen Dank für das Gespräch!