Jacques Derrida sind schon viele Etikette angehängt worden: Überwinder der Metaphysik, Jet-Set-Philosoph, Grenzgänger zwischen den Verschiedenen Disziplinen. Von deutschen Fachphilosophen wurde er oft genug zum Grenzüberschreiter gestempelt, da er sich weit außerhalb des eigenen Terrains vorwagte. Bekannt sind beispielsweise seine literaturwissenschaftlichen, linguistischen, ethnologischen und politischen Untersuchungen.
Nun sind in diesem Jahr eine Reihe von Bücher erschienen, die aufs neue das weite Interessensspektrum des französischen Philosophen verdeutlichen: Die erste Publikation zielt auf Derridas ureigenste Motivation der Dekonstruktion. Der Berliner Merve-Verlag hat sich dieses Vortrags angenommen, den Derrida bereits 1986 an der kalifornischen Universität Irvine hielt. Der bizarre und nicht ganz ernst gemeinte Titel des Vortrags: "Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, New-Ismen, Post-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen". Die andere Veröffentlichung mit dem Titel "Dem Archiv verschrieben"geht zurück auf einen Vortrag, den Derrida 1994 auf einem Londoner Kongreß ,über Freuds Psychoanalyse gehalten hat. Herausgegeben wurde das Buch von dem Berliner Verlag Brinkmann & Bose. Die letzte Publikation trägt den nicht minder rätselhaften Titel "Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen." Der bei Fink erschienene Bildband bezieht sich auf eine Ausstellung im Louvre, die 1990 von Derrida betreut wurde. Doch beginnen wir mit dem Merve-Büchlein. Es hat den Vorteil, auf sechzig knapp bedruckten Seiten einen gut lesbaren und verständlichen Einblick in Derridas Theoriegerüst zu geben. Dies ist beileibe nicht bei jedem seiner Bücher der Fall, weshalb der Autor oft als schwierig und unzugänglich kritisiert wird. Besonders von deutschen Kathederphilosophen, die den notwendigen wissenschaftlichen Ernst bei dem Franzosen vermissen. Daß er dennoch argumentative Strenge und Esprit zu paaren versteht, beweist er mit seinem Vortrag in Irvine - einer Art Heimspiel im Ausland. Galten doch in den achtziger Jahren die amerikanischen - und allen voran - die kalifornischen Universitäten als die Speerspitze des sogenannten Dekonstruktivismus, zu dessen ungekrönten König Derrida höchstpersönlich erwählt wurde. Dekonstruktivismus - dieser magische Begriff fand in Amerika gerade unter Literatuwissenschaftlern und weit weniger unter Philosophen faszinierte Adepten. Was der Meister selbst unter diesem schillernden Begriff versteht - dies verdeutlichte er zu Beginn seines Vortrages ausgehend von einem Mißverständnis. Wie er dieses Mißverständnis zum Anlaß seiner Begriffsklärung, macht, ist schlichtweg bewundernswert. Derrida sprach nämlich auf einem Kongreß, der sich die "States of Theory" zum Thema nahm. Doch in einem Anflug von Zerstreutheit las er "The State of Theory" - also nicht der 'Stand der Theorie', sondem der 'Staat der Theorie', sprich Kalifornien. Anhand der Mehrdeutigkeit des englischen "states" und aufgrund des stets möglichen Mißverstehens entwickelt Derrida sein Verständnis von Dekonstruktion. Viel Streit, bis hin zu verbissenen Grabenkämpfen,.ist in den letzten Jahren über diesen Begriff ausgetragen worden. Aber was heißt Dekonstruktion? Man kann zunächst sagen, so führt Derrida aus, daß ein Text weder vom Autor noch vom Leser prinzipiell beherrschbar ist. Dies hängt nämlich damit zusammen, daß die Sinneffekte eines beliebigen Kontextes niemals vollständig präsent sein können. In einer früheren, gegen den angelsächsischen Sprachphilosophen John Searle gerichteten Streitschrift heißt es: Es bleiben immer tausend Möglichkeiten offen. Da es keine polizeiliche Regulierung der Sprache gibt, ist das Mißverstehen und das Andersverstehen niemals auszuschließen. In seinem Vortrag in Irvine folgert Derrida aus dieser Einsicht: die Totalisierung eines theoretischen Entwurfs kann es prinzipiell nicht geben. Denn jeder Entwurf - gleichgültig, ob es sich um Marxismus, Strukturalismus oder Psychoanalyse handelt - ist gegenüber anderen Einflüssen, anderen Einschreibungen offen.
Aber wie kann eine literaturwissenschaftliche Methode dieser Instabilität des Textes gerecht werden? Derridas klare Antwort: überhaupt nicht. Es ist nämlich eine Sache, wie sich Texte selbst destabilisieren, wie sie sich dekonstruieren. Und es ist eine andere Sache wie sich Interpretationen über Texte stülpen. Auch der Dekonstruktivismus versteht sich als eine Theorie, auch er kommt nicht ohne ein Regelgerüst aus. Es mag viele überraschen, mit welch kritischer Distanz Derrida diesen Dekonstruktivismus beschreibt:
"Neben dem ersten,dem destabilisierenden Entwurf gibt es noch den stabilisierenden, etablierenden oder auch statuierenden Entwurf. Dies bedeutet: auf der Seite, wo man im allgemeinen die 'Dekonstruktion' anzusiedeln versucht, bringen die 'Dekonstruktivisten' und die 'Dekonstruktivismen' einen Effekt der Wiederaneignung, der Zähmung und Normalisierung des Schreibens hervor, um eine neue 'Theorie' zu rekonstituieren - den 'Dekonstruktivismus' mit seiner Methode und seinen Regeln."
Für Derrida-Kenner nicht unerwartet geht es auch in dem Buch "Dem Archiv verschrieben um die Dekonstruktion. Der deutsche Titel kommt etwas salopp daher, während der Originaltitel "Mal d'Archive" - also: "das Böse des Archivs" - bereits einen Hinweis auf den Vorgang der Dekonstruktion gibt. Das dekonstruktive Verfahren liest nämlich die Begriffe mit ihren tradierten Bedeutungen gegen den Strich. Weil wir zunächst an die ordnende und konservierende Funktion des Archivs denken, fragen wir uns zwangsläufig: "Was ist wohl das Böse des Archivs?" Nun, Derrida bezieht sich natürlich auf das System des Unbewußten. In seiner Psychoanalyse hat Freud das Unterbewußtsein als ein psychisches Archiv aufgefaßt,das von den Formen des Bewußtseins, der Erinnerung und der Innerlichkeit radikal unterschieden ist. Für Derrida liegt die unbezweifelbare Leistung Freuds darin, die Wirkungsmächtigkeit dieses psychischen Apparats, dieses Archivs aufgedeckt zu haben Eine der großen Einsichten der Psychoanalyse bestand darin, daß der unbewußt wirkende Wiederholungszwang in vielen unseren Handlungen unser Selbst einschränkt und letztlich auf den Todestrieb hinausläuft. Soweit stimmt Derrida zu. Doch er kritisiert, daß Freud seine Erkenntnis relativiert. Daß er das Böse des Archivs verkennt.
"Das Modell des psychischen Apparates verkörpert dasjenige, was in der Gestalt des Dekonstruktionstriebs dem Selbsterhaltungstrieb zu widersprechen scheint. Es verkörpert dasjenige, was wir den 'Trieb des Archivs' nennen können. Und diesen Trieb können wir auch, bedenken wir diesen inneren Widerspruch, als das 'Böse des Archivs' bezeichnen". Aus diesem Grund können wir sagen: Alle Thesen Freuds sind gespalten und widersprüchlich. Das gleiche gilt für die Begriffe, angefangen mit dem des Archivs. Derat verhält es sich mit jedem Begriff- er verschiebt sich unaufhörlich, weil er niemals mit sich identisch ist".
Das letzte Buch mag für einige Derrida-Leser überraschend sein. Geht es hier doch um eine bemerkenswerte Ausstellung von Zeichnungen, die der Louvre 1990 von Derrida zusammenstellen ließ. Der Philosoph stellte aus dem riesigen Fundus des Museums eine Präsentation zusammen gab ihr den Titel "Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen." Sieben Jahre nach der Ausstellung ist nun bei Fink der deutschsprachige Katalog erschienen. Derrida hat also diesmal das gewohnte Terrain der Theorie verlassen und sich der Kunst gewidmet. Doch derartige Grenzüberschreitungen, derartige 'Randgänge der Philosophie' - so der Tilel einer älteren Publikation - gehören zum Selbstverständnis des Autors. Für französische Philosophen sind sie keineswegs außergewöhnlich - man denke nur an Gilles Deleuzes Buch über den Maler Francis Bacon und an sein monumentales filmtheoretisches Werk. Um es unmißverständlich zu sagen: An Deleuzes formalästhetische Strenge, an seine genauen Bildanalysen kommen Derridas Kommentare nicht heran. Derridas Stärke ist nicht die Untersuchung der bildnerischen Forrnen, sondem die Reflexion über das Wesen der Kunst. Und dies bedeutet für ihn: am Beginn der Kunst steht der Abbruch mit der unmittelbaren Wahrnehmung. Ohne diesen Abbruch, ohne diese "Ruine" - wie Derrida schreibt - könnte keine Kunst entstehen. Kunst, in welcher Gestalt auch immer, wird niemals die direkte Form von Sinnlichkeit und Präsenz wiederherstellen. Demnach muß sie als etwas gedacht werden, was sich an die Stelle der Wirklichkeit setzt: als "technische Prothese".
Derrida-Kenner merken sofort, wo der Hase langläuft: die Betrachtung der Kunst reiht sich ein in die seit langem bekannte Kritik der Präsenzmetaphysik. Wie dies genauer zu verstehen ist, zeigt Derrida anhand zweier Zeichnungen, die den Titel tragen "Dibutade oder der Ursprung der Zeichnung. Auf beiden Darstellungen sieht man die Korintherin Dibutade, wie sie das Porträt des Geliebten zeichnet. Doch sie vermag dies nur, indem sie sich von ihm abwendet und die Umrisse seines Schattens auf einer Mauer nachzeichnet. Für Derrida zielt dieser Akt auf das Wesen der Kunst: Denn ihr Ursprung ist mit der Abwesenheit und der Unsichtbarkeit des Modells erkauft.
Nun sind in diesem Jahr eine Reihe von Bücher erschienen, die aufs neue das weite Interessensspektrum des französischen Philosophen verdeutlichen: Die erste Publikation zielt auf Derridas ureigenste Motivation der Dekonstruktion. Der Berliner Merve-Verlag hat sich dieses Vortrags angenommen, den Derrida bereits 1986 an der kalifornischen Universität Irvine hielt. Der bizarre und nicht ganz ernst gemeinte Titel des Vortrags: "Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, New-Ismen, Post-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen". Die andere Veröffentlichung mit dem Titel "Dem Archiv verschrieben"geht zurück auf einen Vortrag, den Derrida 1994 auf einem Londoner Kongreß ,über Freuds Psychoanalyse gehalten hat. Herausgegeben wurde das Buch von dem Berliner Verlag Brinkmann & Bose. Die letzte Publikation trägt den nicht minder rätselhaften Titel "Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen." Der bei Fink erschienene Bildband bezieht sich auf eine Ausstellung im Louvre, die 1990 von Derrida betreut wurde. Doch beginnen wir mit dem Merve-Büchlein. Es hat den Vorteil, auf sechzig knapp bedruckten Seiten einen gut lesbaren und verständlichen Einblick in Derridas Theoriegerüst zu geben. Dies ist beileibe nicht bei jedem seiner Bücher der Fall, weshalb der Autor oft als schwierig und unzugänglich kritisiert wird. Besonders von deutschen Kathederphilosophen, die den notwendigen wissenschaftlichen Ernst bei dem Franzosen vermissen. Daß er dennoch argumentative Strenge und Esprit zu paaren versteht, beweist er mit seinem Vortrag in Irvine - einer Art Heimspiel im Ausland. Galten doch in den achtziger Jahren die amerikanischen - und allen voran - die kalifornischen Universitäten als die Speerspitze des sogenannten Dekonstruktivismus, zu dessen ungekrönten König Derrida höchstpersönlich erwählt wurde. Dekonstruktivismus - dieser magische Begriff fand in Amerika gerade unter Literatuwissenschaftlern und weit weniger unter Philosophen faszinierte Adepten. Was der Meister selbst unter diesem schillernden Begriff versteht - dies verdeutlichte er zu Beginn seines Vortrages ausgehend von einem Mißverständnis. Wie er dieses Mißverständnis zum Anlaß seiner Begriffsklärung, macht, ist schlichtweg bewundernswert. Derrida sprach nämlich auf einem Kongreß, der sich die "States of Theory" zum Thema nahm. Doch in einem Anflug von Zerstreutheit las er "The State of Theory" - also nicht der 'Stand der Theorie', sondem der 'Staat der Theorie', sprich Kalifornien. Anhand der Mehrdeutigkeit des englischen "states" und aufgrund des stets möglichen Mißverstehens entwickelt Derrida sein Verständnis von Dekonstruktion. Viel Streit, bis hin zu verbissenen Grabenkämpfen,.ist in den letzten Jahren über diesen Begriff ausgetragen worden. Aber was heißt Dekonstruktion? Man kann zunächst sagen, so führt Derrida aus, daß ein Text weder vom Autor noch vom Leser prinzipiell beherrschbar ist. Dies hängt nämlich damit zusammen, daß die Sinneffekte eines beliebigen Kontextes niemals vollständig präsent sein können. In einer früheren, gegen den angelsächsischen Sprachphilosophen John Searle gerichteten Streitschrift heißt es: Es bleiben immer tausend Möglichkeiten offen. Da es keine polizeiliche Regulierung der Sprache gibt, ist das Mißverstehen und das Andersverstehen niemals auszuschließen. In seinem Vortrag in Irvine folgert Derrida aus dieser Einsicht: die Totalisierung eines theoretischen Entwurfs kann es prinzipiell nicht geben. Denn jeder Entwurf - gleichgültig, ob es sich um Marxismus, Strukturalismus oder Psychoanalyse handelt - ist gegenüber anderen Einflüssen, anderen Einschreibungen offen.
Aber wie kann eine literaturwissenschaftliche Methode dieser Instabilität des Textes gerecht werden? Derridas klare Antwort: überhaupt nicht. Es ist nämlich eine Sache, wie sich Texte selbst destabilisieren, wie sie sich dekonstruieren. Und es ist eine andere Sache wie sich Interpretationen über Texte stülpen. Auch der Dekonstruktivismus versteht sich als eine Theorie, auch er kommt nicht ohne ein Regelgerüst aus. Es mag viele überraschen, mit welch kritischer Distanz Derrida diesen Dekonstruktivismus beschreibt:
"Neben dem ersten,dem destabilisierenden Entwurf gibt es noch den stabilisierenden, etablierenden oder auch statuierenden Entwurf. Dies bedeutet: auf der Seite, wo man im allgemeinen die 'Dekonstruktion' anzusiedeln versucht, bringen die 'Dekonstruktivisten' und die 'Dekonstruktivismen' einen Effekt der Wiederaneignung, der Zähmung und Normalisierung des Schreibens hervor, um eine neue 'Theorie' zu rekonstituieren - den 'Dekonstruktivismus' mit seiner Methode und seinen Regeln."
Für Derrida-Kenner nicht unerwartet geht es auch in dem Buch "Dem Archiv verschrieben um die Dekonstruktion. Der deutsche Titel kommt etwas salopp daher, während der Originaltitel "Mal d'Archive" - also: "das Böse des Archivs" - bereits einen Hinweis auf den Vorgang der Dekonstruktion gibt. Das dekonstruktive Verfahren liest nämlich die Begriffe mit ihren tradierten Bedeutungen gegen den Strich. Weil wir zunächst an die ordnende und konservierende Funktion des Archivs denken, fragen wir uns zwangsläufig: "Was ist wohl das Böse des Archivs?" Nun, Derrida bezieht sich natürlich auf das System des Unbewußten. In seiner Psychoanalyse hat Freud das Unterbewußtsein als ein psychisches Archiv aufgefaßt,das von den Formen des Bewußtseins, der Erinnerung und der Innerlichkeit radikal unterschieden ist. Für Derrida liegt die unbezweifelbare Leistung Freuds darin, die Wirkungsmächtigkeit dieses psychischen Apparats, dieses Archivs aufgedeckt zu haben Eine der großen Einsichten der Psychoanalyse bestand darin, daß der unbewußt wirkende Wiederholungszwang in vielen unseren Handlungen unser Selbst einschränkt und letztlich auf den Todestrieb hinausläuft. Soweit stimmt Derrida zu. Doch er kritisiert, daß Freud seine Erkenntnis relativiert. Daß er das Böse des Archivs verkennt.
"Das Modell des psychischen Apparates verkörpert dasjenige, was in der Gestalt des Dekonstruktionstriebs dem Selbsterhaltungstrieb zu widersprechen scheint. Es verkörpert dasjenige, was wir den 'Trieb des Archivs' nennen können. Und diesen Trieb können wir auch, bedenken wir diesen inneren Widerspruch, als das 'Böse des Archivs' bezeichnen". Aus diesem Grund können wir sagen: Alle Thesen Freuds sind gespalten und widersprüchlich. Das gleiche gilt für die Begriffe, angefangen mit dem des Archivs. Derat verhält es sich mit jedem Begriff- er verschiebt sich unaufhörlich, weil er niemals mit sich identisch ist".
Das letzte Buch mag für einige Derrida-Leser überraschend sein. Geht es hier doch um eine bemerkenswerte Ausstellung von Zeichnungen, die der Louvre 1990 von Derrida zusammenstellen ließ. Der Philosoph stellte aus dem riesigen Fundus des Museums eine Präsentation zusammen gab ihr den Titel "Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen." Sieben Jahre nach der Ausstellung ist nun bei Fink der deutschsprachige Katalog erschienen. Derrida hat also diesmal das gewohnte Terrain der Theorie verlassen und sich der Kunst gewidmet. Doch derartige Grenzüberschreitungen, derartige 'Randgänge der Philosophie' - so der Tilel einer älteren Publikation - gehören zum Selbstverständnis des Autors. Für französische Philosophen sind sie keineswegs außergewöhnlich - man denke nur an Gilles Deleuzes Buch über den Maler Francis Bacon und an sein monumentales filmtheoretisches Werk. Um es unmißverständlich zu sagen: An Deleuzes formalästhetische Strenge, an seine genauen Bildanalysen kommen Derridas Kommentare nicht heran. Derridas Stärke ist nicht die Untersuchung der bildnerischen Forrnen, sondem die Reflexion über das Wesen der Kunst. Und dies bedeutet für ihn: am Beginn der Kunst steht der Abbruch mit der unmittelbaren Wahrnehmung. Ohne diesen Abbruch, ohne diese "Ruine" - wie Derrida schreibt - könnte keine Kunst entstehen. Kunst, in welcher Gestalt auch immer, wird niemals die direkte Form von Sinnlichkeit und Präsenz wiederherstellen. Demnach muß sie als etwas gedacht werden, was sich an die Stelle der Wirklichkeit setzt: als "technische Prothese".
Derrida-Kenner merken sofort, wo der Hase langläuft: die Betrachtung der Kunst reiht sich ein in die seit langem bekannte Kritik der Präsenzmetaphysik. Wie dies genauer zu verstehen ist, zeigt Derrida anhand zweier Zeichnungen, die den Titel tragen "Dibutade oder der Ursprung der Zeichnung. Auf beiden Darstellungen sieht man die Korintherin Dibutade, wie sie das Porträt des Geliebten zeichnet. Doch sie vermag dies nur, indem sie sich von ihm abwendet und die Umrisse seines Schattens auf einer Mauer nachzeichnet. Für Derrida zielt dieser Akt auf das Wesen der Kunst: Denn ihr Ursprung ist mit der Abwesenheit und der Unsichtbarkeit des Modells erkauft.