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Neue Version von Schuberts Winterreise
Bernhard Lang - "The Cold Trip"

Bei Schuberts Winterreise kann es einem kalt ums Herz werden. Tiefe seelische Abgründe tun sich durch Musik und Text auf. Der Komponist Bernhard Lang übersetzt diesen Liederzyklus ins Heute, stilistisch vielfältig, mit englische Texten. Das Resultat: faszinierend und auf paradoxe Weise ergreifend.

Am Mikrofon: Barbara Eckle |
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    Das Fextal im Schweizer Kanton Graubünden ist vielleicht kein geeigneter Aufführungsort (Barbara Eckle)
    Bernhard Langs "The Cold Trip" - die kalte Reise - ist im Jahr 2015 entstanden, und liegt nun auf CD vor. Der Komponist hat das Schubert-Original in eine Sprache sowie in eine Klangwelt von heute verpflanzt. Sarah Maria Sun und Juliet Fraser stellen dabei die phänomenale Wandelbarkeit ihrer Stimmen unter Beweis.
    Musik: Bernhard Lang - "Good Nite" aus: "The Cold Trip"
    "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus" - allein bei diesen Worten hört man im Kopf schon die einprägsame Klavierbegleitung, mit der Franz Schuberts "Winterreise" beginnt. Sie ist der wohl bekannteste Liederzyklus und tief ins kollektive westliche Musikgedächtnis eingraviert. So tief, dass einzelne Zeilen, manchmal auch nur einzele Worte der Liedtexte die Erinnerung an diese traurig-verzweifelte und zum Schluss jenseitige Musik wachruft. Für Bernhard Lang war dieser Sonderstatus der "Winterreise" die entscheidende Voraussetzung für "The Cold Trip". Er überträgt das Original Lied für Lied in eine andere Sprache, Zeit und Ästhetik. Damit schafft er eine Art zeitgenössische Neuinterpretation.
    Vokabular der Kälte
    Um sie neu zu interpretieren, hat Lang sie auch neu instrumentiert. Im ersten Teil des Zyklus, den Sarah Maria Sun singt, begleitet sie das Aleph Gitarrenquartett. Juliet Fraser im zweiten Teil wird von Mark Knoop auf Klavier und Elektronik begleitet. Diese Zweiteilung hat durchaus System. Der erste Teil befasst sich nämlich intensiv mit dem winterlichen Außen: dem Schnee, dem Wind, der Kälte, dem Eis. Und akustische Gitarren mit ihrem harten Tonansatz entfalten ein ganzes Vokabular fühlbar klirrender Kälte, vor allem durch diverse erweiterte Spieltechniken. In "Frozen Tears" – original: "Gefror’ne Tränen" – entzieht Bernhard Lang dem Gitarrenklang Körper und Wärme, so dass das Bild von trockenem Eis entsteht noch bevor ein Wort gesungen ist.
    Musik: Bernhard Lang - "Frozen Tears" aus: "The Cold Trip"
    Verlorenen Linien auf der Spur
    "Some frozen tears / Cling to my face" - die romantisch-elaborierte Lyrik von Wilhelm Müller, die Schuberts "Winterreise" zugrunde liegt, übersetzt Bernhard Lang in ein einfaches, nüchternes Englisch von heute. Aus "Die Liebe liebt das Wandern" wird kurzerhand: "Love is a thing of changes" - und aus "auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht" wird "I passed by a grave yard". Manches überträgt der Komponist Wort für Wort, sodass es schon fast grotesk wirkt. Oft reduziert er den Text aber auch auf karge Kernaussagen. Zusammen mit seiner Musik, die eher an Popsongs als an Liedkunst erinnert, kann das ganz schön weit weg von Schuberts "Winterreise" wirken. Trotzdem erfasst er auf diese Weise die Stimmung jedes Liedes so messerscharf, dass man staunt, wie das mit einer so komplett anderen Klangsprache möglich ist. Das ist überhaupt das Faszinierendste an "The Cold Trip". Bernhard Lang schreibt im Booklet-Text der CD, er spüre die verlorenen Linien in den Liedern der "Winterreise" auf und berühre sie hier und da durch die Erinnerung. Eine Aussage, die man als Hörer tatsächlich in der Musik wiederfindet.
    Die verschiedenen Gesangsstile, die "The Cold Trip" erfordert, dürften die meisten klassisch ausgebildeten Sängerinnen an ihre Grenzen bringen. In Sekundenschnelle müssen sie zwischen Klassik- und Popstilen und diversen erweiterten Gesangstechniken springen können. Genau diese Flexibilität und Wandelbarkeit besitzen Sarah Maria Sun und Juliet Fraser, jede auf ihre eigene Art. Und "The Cold Trip" ist der Besetzung auf dieser CD wirklich auf den Leib geschreiben.
    Die verschiedenen Facetten von Traurigkeit, die sich in Schuberts "Winterreise" entfalten, färbt Bernhard Lang in grelle Farben ein. Die Resignation am Anfang von "River" (deutsch: "Auf dem Fluss") erfasst er zum Beispiel mit einer triphop-artigen Musik die an die Kult-Band Portishead mit der Sängerin Beth Gibbons erinnert.
    Musik: Bernhard Lang - "River" aus: "The Cold Trip"
    Angefangen hat das Lied mit sauber intonierten Tönen. Nach und nach beginnen sie sich aber immer mehr zu verschieben - und bevor man sich’s versieht, ist man an einem Ort angekommen, wo es gar keine richtigen Töne mehr gibt. Mit dieser mikrotonalen Verzerrung macht Bernhard Lang die innere Verstörung und Verunsicherung des Wanderers hörbar. Der feste Anker der Tonalität ist gelichtet und das Schiff treibt wild über den Ozean überwältigender Gefühle. In diesem Sinne ist "The Cold Trip" auch eine Art romantische Komposition.
    Abwandern in unwirkliche Dimensionen
    Nachdem sich Bernhard Lang im ersten Teil mit den vier Gitarren ganz in die Welt extremer Temperaturen von unerbittlichem Eis und heißen Tränen gesteigert hat, geht er im zweiten Teil in eine geistigere Sphäre über. Dafür kehrt er zunächst zum Original-Begleitinstrument Klavier zurück. Der Pianist Mark Knoop erweitert sein Spiel aber durch präparierte Klavier-Samples, die er gleichzeitig vom Laptop abspielt. So vermischen sich echte und künstliche Klavierklänge, was das Ganze in eine irreale Dimension hineinführt. Man hat tatsächlich das Gefühl, man befinde sich im Kopf des Wanderers, der langsam den Boden der Realität unter den Füßen verliert. Alles ist extremer und unkontrollierbarer geworden. Doch egal wie artifiziell die Klänge sind, die Bernhard Lang hier einführt – Schuberts "Winterreise" bleibt darunter immer erkennbar. Auch wo nur Andeutungen und keine direkten Zitate hörbar sind, scheint das Original unter allem mitzulaufen.
    Spätestens beim Thema Kommunikationsmedien wird klar, dass sich "The Cold Trip" im 21. Jahrhundert abspielt. "Post" übersetzt Bernhard Lang knapp und korrekt mit "Mail". Dass aber nicht der Briefumschlag, der mit der Postkutsche ankommt, gemeint ist, sondern ein virtuelles Phänomen auf dem Bildschirm des Rechners, geht aus der Musik und den knappen Worten des Lieds hervor. Bernhard Lang lässt keinen Zweifel daran, dass eine leere Inbox ein um nichts weniger desolates und enttäuschtes Gefühl hervorrufen kann.
    Musik: Bernhard Lang - "Mail" aus: The Cold Trip
    Bernhard Langs Liederzyklus "The Cold Trip" ist Teil eines noch viel größeren Zyklus, den der 1957 in Linz geborene Komponist seit Jahren laufend erweitert. Die Stücke dieses Zyklus nennt er "Monadologien" und das Prinzip besteht darin, dass er aus bestimmten Werken der Musikgeschichte Metakompoistionen, also eine Art Überschreibungen, macht. Dabei geht er immer mit seiner charakteristischen Loop-Technik vor, bei der er kleine motivische Zellen auswählt und dann loopartig wiederholt. "The Cold Trip" ist die 32. dieser Monadologien.
    Gespaltene Stimme
    Je weiter Bernhard Lang nun in den zweiten Teil der "Winterreise" vordringt, desto öfter bewegt er sich vom reinen Gesang weg. Immer wieder verfällt Juliet Fraser in eine geräuschhafte Stimme oder nimmt Ton und Sprechduktus einer Art Horrorfilmgestalt an. Ihre Stimme spaltet sich so blitzschnell und raffiniert in zwei Identitäten auf, als würde sie plötzlich ohne ihr Zutun davon befallen - ein Zeichen des sich heranschleichenden, todbringenden Wahns. Im Lied "The Crow" (deutsch: "Die Krähe") wird das zum ersten Mal deutlich.
    Musik: Bernhard Lang - The Crow aus "The Cold Trip"
    Bernhard Lang treibt diese musikalische Schizophrenie noch auf die Spitze, und zwar in "Will o’Wisp" – im Original bekannt als "Täuschung". Es ist das Lied, in dem sich der Wanderer aus Verzweiflung von einem tanzenden Licht ein warmes Haus vortäuschen lässt. Über die originale Klavierbegleitung legen sich wild tanzende Arpeggien, denen die Stimme hinterspringt mit den luziden Worten "I chase illusions" – deutsch: ich jage Illusionen hinterher. Nach einem abrupten Bruch setzt eine vollkommen gegensätzliche Musik ein, die nach javanischen Gamelan-Gongs klingt - so als würde der Wanderer trotz aller Einsicht der Illusion endgültig verfallen. Mit diesen poppig-bunten Kontrasten spricht Berhard Lang gewissermaßen laut aus, das Schubert subtil impliziert. Dieselbe Tragik in unterschiedlichen Sprachen.
    Musik: Bernhard Lang - "Will o'Wisp" aus: "The Cold Trip"
    Der Gamelanklang läutet in "The Cold Trip" den Anfang des Endes ein. Auch in Schuberts "Winterreise" ist die Musik von dem Lied "Der Wegweiser" an jenseitig und weggetreten. In Langs Version davon legt sich dieser etherische Gamelanklang als sanftes Ostinato unter die Stimme, die aus Lebensmüdigkeit am Ende jeder Phrase kraftlos absinkt. Eine expressive Überzeichnung, die Lang - ein Komponist ohne Genre- und Stilscheuklappen - aus der Unterhaltungsmusik abgeschaut und in seine Sprache aufgenommen hat.
    Musik: Bernhard Lang - "Deviant" aus: "The Cold Trip"
    Abbruch mitten im Loop – einen deutlicheren Vorboten des Todes könnte man sich in Bernhard Langs Idiom kaum vorstellen. Was Schubert auf seine Weise tat, übersetzt Lang in seine eigenen Mittel, seine Sprache und seine Zeit - konsequent durch den ganzen Zyklus hindurch. Das Resultat ist einzigartig, faszinierend und auf paradoxe Weise ergreifend. Eine echte Winterreise!
    Bernhard Lang – "THE COLD TRIP"
    Sarah Maria Sun, Stimme
    Aleph Guitar Quartet
    Juliet Fraser, Stimme
    Mark Knoop, Piano & Laptop
    CD KAIROS (LC 10488) 0015018KAI