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Neue Wege

Verschiedene Menschengruppen haben Afrika schon früh verlassen. Aber beim Homo sapiens nahm man bisher an, dass er erst vor 60.000 Jahren den Nil herab zog und dann an der Küste des Mittelmeeres entlang zum Bosporus und nach Europa, oder über das Zweistromland nach Asien.

Von Cajo Kutzbach |
    Nun gibt es eine Veröffentlichung in der amerikanischen Wissenschaftszeitschrift Science, die ein neues Licht auf die Wanderungsbewegungen der frühen Menschen aus Afrika wirft.

    Die in Tübingen vorgestellten Funde und Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Menschheitsgeschichte anders verlaufen sein dürfte, als man bisher glaubte. Bisher ging man davon aus, dass die Menschen vor circa 2,5 Millionen Jahren den Gebrauch von Werkzeugen erlernten und vor etwa zwei Millionen Jahren begannen, sich mit Kleidung vor dem Wetter zu schützen. Das alles geschah in Afrika. Warum die Schimpansen - unserer nächsten tierischen Verwandten - in Afrika blieben, die Menschen aber Afrika verließen, ist unklar.

    Bisher nahm man an, dass sie vor allem den Nil herab zogen und dann über die Landbrücke, die heute der Sueskanal zerschneidet, nach Norden und Osten zogen, und dann weiter nach Asien und Europa.

    Professor Hans-Peter Uerpmann vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen vermutete schon lange, dass es auch andere Wege gab - etwa am südlichen Ende des Roten Meeres über die Straße von Bab al Mandeb auf die arabische Halbinsel. Er fand dort nämlich bereits 1995 Spuren steinzeitlicher Nomaden.

    "Archäologie ist immer Glückssache, weil man nie weiß, was unter dem Boden kommt, wenn man anfängt zu graben, aber es war natürlich schon eine gezielte Suche insofern, als wir einen Platz gesucht haben, wo man davon ausgehen konnte, dass sich Schichten überhaupt gebildet haben. Das ist nämlich das Entscheidende in Arabien, dass dort an den meisten Plätzen keine Schichtbildung stattfindet, da liegen zwei Millionen Jahre alte Funde an der heutigen Oberfläche. Und wenn das der Fall ist, kann man diese zwei Millionen Jahre nicht wirklich sicher bestimmen."

    Heute stellte Hans-Peter Uerpmann mit seinen Kollegen neue Funde vor, die seine Vermutung bestätigen. Im letzten Sommer fanden die Wissenschaftler in den Vereinigten Emiraten an der Ausgrabungsstätte nahe der Straße von Hormus am Jebel Faya so etwas, wie die "Werkstatt" von Menschen, die dort vor etwa 100.000 Jahren gearbeitet haben. Lumineszenzanalysen ergaben ein Alter von 100- bis 125.000 Jahren.

    "Also in der damaligen Zeit war die Werkzeugform, die Hauptwerkzeugform das, was wir allgemein als Faustkeil bezeichnen. Das ist gewissermaßen ein Messer und ein Meißel und eine Keule alles in einem. Also ein Stein, der eine Spitze hat und zwei Schneiden und der eine dicke Basis hat, sodass er auch ein schönes Gewicht hat, womit man also ein Tier zerlegen konnte, unter Umständen auch ein Tier töten konnte und womit man sich auch verteidigen konnte, also wirklich ein Allzweckgerät."

    Ob das Werkzeug nun benutzt wurde, um getötete Tiere zu zerkleinern, aus ihnen Kleidungstücke zu machen, oder für die Herstellung von Waffen, ist noch nicht sicher. Aber vermutlich benutzten die Menschen ihre wenigen Werkzeuge damals, wie heute ein Junge sein erstes Taschenmesser, eben für alle möglichen Zwecke.

    Der Vergleich mit Werkzeugen, wie man sie aus Funden in Afrika kennt, brachte eine weitere Überraschung, die ebenfalls auf diesen Wanderweg hinweist: Die primitiven Werkzeuge ähneln Werkzeugen, wie man sie in Ostafrika fand, nicht jedoch den technisch raffinierteren aus anderen Regionen.

    "Für die Klassifizierung der Fundstücke war es natürlich auch wichtig, oder besonders wichtig, dass man die Technologie erschließen konnte, die zur Herstellung dieser Werkzeuge verwendet worden ist. Und diese Technologie, die lässt eben zu diese Funde mit Ostafrika zu verbinden."

    Aber wie kamen sie von Ostafrika auf die arabische Halbinsel?

    Die Klimaforschung hat in den letzten 10, 15 Jahren begonnen zu untersuchen, welche Tiere und Pflanzen in welchen Regionen lebten, aber auch wie sich die Meeresspiegel veränderten. So kann man die Lebensbedingungen unserer Vorfahren immer genauer rekonstruieren.

    Die arabische Halbinsel war damals wesentlich feuchter und grüner und hatte auch mehr Quellen und Flüsse, sodass Nomaden mit ihren Tieren dort noch vor 7000 Jahren leben konnten. Und weil es dort nach dieser Zeit durch einen Klimawandel immer heiß und trocken blieb, sind die Gegenstände, die dort, etwa in Gräbern, gefunden werden, meist gut erhalten.

    Niedrigere Meeresspiegel könnten nicht nur eine Besiedlung Europas auch über die Straße von Gibraltar erlaubt haben, sondern eben auch eine über das Horn von Afrika auf die arabische Halbinsel und von dort aus weiter nach Asien.

    "Nun nicht genau zu dem Zeitpunkt, wo das Klima günstig war, sondern einen Tick davor, also ein Tick von 5000 Jahren, denn der tiefe Meeresspiegel hängt von kühlem Klima ab. Wenn viel Wasser im Eis gebunden ist, dann sinkt der Meeresspiegel. Und so hoch wie heute war er in der meisten Zeit der Erdgeschichte nicht. Also heute haben wir einen relativ hohen Meeresspiegel. Und heute wäre es schwierig für #primitiv ausgestattete Urmenschen die Straße von Bab el Mandab zu überqueren.

    Aber damals am Ende der vorletzten Eiszeit, da war der Meeresspiegel bei minus 130 Metern und da schrumpft der Bab el Mandab auf eine Breite von 5 km, oder manche sprechen sogar von einem Kilometer an bestimmten Stellen, sodass also man wohl hinüberschauen konnte, und sehen konnte, dass auf der anderen Seite das Leben möglich ist und wo es für Menschen, die in beengteren Verhältnissen gelebt haben in Afrika sicher verlockend schien Neuland zu betreten."

    Diese Funde bedeuten, dass bereits vor 100.000 bis 125.000 Jahren moderne Menschen auf der arabischen Halbinsel lebten, während man bisher annahm, dass Menschen wie wir Afrika erst vor etwa 60.000 Jahren verlassen hätten, in dem sie dem Ufer des Mittelmeeres folgten und dann vor 30- bis 40.000 Jahren die Donau herauf nach Deutschland kamen.

    Dass Menschen Afrika bereits früher verließen und möglicherweise nicht nur am Mittelmeer entlang, scheint durch neuere Forschungsergebnisse zumindest gut möglich. An versteinerten winzigen Meereslebewesen lässt sich ablesen, wo der Meeresspiegel einst stand. So bot sich zumindest gelegentlich eine gute Möglichkeit, mit Booten auf die damals grüne fruchtbare arabische Halbinsel zu gelangen.

    Neue Erkenntnisse werfen in der Regel auch neue Fragen auf. Etwa, warum die Menschen Afrika schon so früh verließen, wie sie lebten, und wovon. Hans-Peter Uerpmann:

    "Das ist natürlich auch in diesem Fall so. Insbesondere für die Genetiker, die sich mit der menschlichen Evolution befassen, ist das eine ganz neue Dimension, denn das zeigt, dass der moderne Mensch sehr viel früher nach Eurasien gelangt ist und sehr viel mehr Zeit für die Entwicklung in diesem Gebiet hatte."

    Muss man nun die Menschheitsgeschichte umschreiben? Ja und nein. Es sieht jetzt so aus, als ob moderne Menschengruppen Afrika schon früher verließen und den Weg auf die arabische Halbinsel fanden. Offen bleibt, was die Menschen damals aus Afrika vertrieb. Da Klimaveränderungen und damit Änderungen des Nahrungsangebotes zu verschiedenen Menschentypen geführt hatten, könnten sie auch die Ursache für die Besiedlung der restlichen Welt gewesen sein.