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Neue Zürcher Zeitung
"Kernmodell Journalismus" statt e-Commerce

Das Traditionsblatt Neue Zürcher Zeitung bleibt seinen journalistischen Wurzeln treu. Während andere Medienhäuser auf Digitalisierung setzen, will die Zeitung ihre Auslandsberichterstattung stärken. Leser in Deutschland zu erreichen ist nur ein Ziel der neuen Strategie.

Von Thomas Wagner | 05.07.2017
    Blick auf auf die Fassade des Verlags Neue Zürcher Zeitung, an der Falkenstrasse in Zürich, am Freitag, 11. April 2003. (KEYSTONE/Eddy Risch) +++(c) dpa - Report+++ |
    Neue Zürcher Zeitung - das altehrwürdige Verlagsgebäude (dpa / Eddy Risch)
    Und ständig fährt die Straßenbahn vorbei: Zürich, Falkenstraße 11 - hier befindet sich das altehrwürdige Verlagsgebäude der "Neuen Zürcher Zeitung" aus dem Jahr 1909. Auffallend: Das Giebel-Relief, das mehrere junge Männer zeigt. Derjenige auf der linken Seite vertiefe sich in die Vergangenheit, heißt es auf einer Inschrift, der rechte aber Blicke in die Zukunft. Doch wie schaut die Zukunft bei der NZZ aus? Auf jeden Fall anders als bei anderen Medienhäusern, sagt Chefredakteur Eric Gujer:
    "Das, was ja die meisten anderen unter multimedialer Strategie verstehen, heißt ja: Wir haben noch einen e-Commerce-Shop für Hundefutter. Und wir machen noch irgendeine Inserate-Plattform für Immobilienanzeigen im Internet und solche Dinge. Und das wollen wir dezidiert nicht. Wir glauben daran, dass das Kernmodell Journalismus, gute Inhalte, auch heutzutage noch lohnen kann."
    Refinanzierung ist ein Problem
    Doch ist das "Kernmodell Journalismus" als solches tatsächlich zukunftsfähig? Kann es sich überhaupt noch rechnen? Immerhin setzen viele Medienunternehmen abseits der Publizistik zunehmend auf e-Commerce in ihren Online-Angeboten. Denn nur alleine mit Inhalten, selbst mit guten Inhalten, lasse sich mittlerweile kein Blumentopf mehr gewinnen, glaubt Professor Ottfried Jarren vom Institut für Publizistik-Wissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich:
    "Das Problem ist einfach nur das der Refinanzierung: Also wie kann ich das refinanzieren. Und sie sehen all überall, dass es immer schwieriger wird, das zu machen. Ich glaube, man erkennt, dass die Finanzierung von aufwändigen redaktionellen Strukturen zu einem Problem wird. Und wenn sie zugleich nicht die Möglichkeit haben, mit anderen Produkten Kunden zu erreichen, die bezahlen, dann wird das schwierig."
    Zahlbereitschaft für guten Journalismus ist nicht groß
    Vor allem die von der NZZ gepflegte Auslandsberichterstattung, ein Aushängeschild für den Qualitätsjournalismus des Blattes, sei langfristig alles andere als eine "cash cow":
    "Rein marktlich finanziert sich das eben nur begrenzt: Ein Bericht über Gambia oder eine bestimmte Region Asiens interessiert sicher Leute. Aber die Größe dieser Gruppe ist beschränkt. Und derjenigen, die bereit sind, dafür auch noch zu bezahlen, ist auch beschränkt. Man sieht im gesamten Journalismus, dass die Zahlbereitschaft nicht groß ist. Sie können sie auch nicht ausdehnen."
    Chefredakteur Eric Gujer ist indessen in diesem Punkt exakt gegenteiliger Meinung - und glaubt zu wissen, was in Zukunft Geld bringt. Zum Beispiel:
    "Hintergründe, gerade in unserer außenpolitischen Berichterstattung unser großes Korrespondentennetz. Informationen aus erster Hand - wer kann das heute noch bieten in einer solchen Fülle, wie wir das tun Hintergrund, Einordnung, Meinung - das sind die Dinge, für das eine Zahlungsbereitschaft besteht."
    Außenpolitische Berichterstattung ist gefragt
    Geld verdienen vor allem mit Inhalten - oder Geld verdienen mit e-Commerce, bei dem die Inhalte allenfalls schmückendes Beiwerk sind? Am Beispiel der "Neuen Zürcher Zeitung" wird ein genereller Diskurs über die Zukunftsstrategie der Medienhäuser deutlich - Ausgang offen. Eric Gujer glaubt, dass gerade die akzentuierte außenpolitische Berichterstattung seines Blattes auf immer größeres Interesse auf seine Leser stoße. Brexit, Trump, die Flüchtlingswelle – außenpolitische Turbulenzen spielten zunehmend ganz unmittelbar in das Lebensumfeld des einzelnen hinein. Und das lasse sich bereits jetzt ablesen.
    "Also 2016 haben wir zum ersten Mal mehr zahlende Kunden gehabt als im Vorjahr, nachdem wir eine lange Zeit sinkende Zahlen gehabt haben. Da haben wir mehr zahlende Kunden als im Vorjahr. Diese Art Journalismus zahlt sich aus."
    Medienforscher Otfried Jarren von der Universität Zürich hegt daran so seine Zweifel: Mit einer, nach Verlagsangaben, Auflage von knapp über 115.000 Exemplaren und gerade mal rund 21.000 verkauften E-Papers pro Tag seien die Einnahmen durch den Verkauf des publizistischen Produktes eher überschaubar. Selbst wenn der einzelne Leser ein Extra-Online-Scherflein beitrage, um an gute Inhalte zu gelangen - ein gut ausgebautes Korrespondentennetz lasse sich damit noch lange nicht finanzieren. Denn Haupteinnahmequelle einer klassischen Zeitung wie der NZZ sei nach wie vor die Werbung. Allerdings:
    "Die Werbung, die sie hat, verliert sie beständig. Sie hat immer weniger Werbung, auch Wirtschaftswerbung, die noch relativ stark bei ihr war. Sie hat praktisch keinen Immobilienteil oder einen ganz geringen. Und sie hat kaum noch einen personalen Teil. Sie muss sich je irgendwie refinanzieren. Und sie unterhält - und das macht die Finanzierung eben schwierig - ein ehr aufwändiges, differenziertes Korrespondentennetz."
    Chefredakteur setzt auf publizistische Qualität und Inhalte
    Langfristig komme daher auch die NZZ nicht an E-Commerce-Angeboten vorbei, so wie die meisten Medienhäuser auch.
    "Verlage haben immer Transaktionsgeschäfte gemacht. Der Journalismus war sozusagen notwendig, um eine gewisse kritische Masse zu erreichen, um das Publikum zu bekommen, und dann die Anzeige besser abzusetzen zu können. Und das Geschäft ist vorbei. Transaktionen werden unmittelbar auf Plattformen getätigt."
    NZZ-Chefredakteur Eric Gujer setzt gleichwohl auf publizistische Qualität und Inhalte. Das schließe ja nicht aus, auch neue Märkte zu bearbeiten, beispielsweise im benachbarten Deutschland. Und die Situation dort kennt Gujer, der lange als Korrespondent in Berlin gearbeitet hat, wie seine Westentasche. Immerhin:
    E-Paper nur für Deutschland
    "Digital ist immer ein Drittel des Verkehrs, des Traffics, den wir haben – der kommt im Minimum aus Deutschland. Und diese Nutzer, diese Leser schätzen an uns eben nicht die reine Information. Die bekommen sie auch woanders. Sondern dass wir mit einem anderen Blick auf die Politik grade in Deutschland drauf gucken, dass wir eine liberal-konservative Einstellung haben, dass wir eben kein deutsches Medium sind und manche Aufgeregtheit bei den deutschen Kollegen eben so nicht mitmachen - das ist etwas, was gerade deutsche Leser bei uns schätzen. Mehr deutsche Politik, zu diesem Zweck haben wir auch unser Büro in Berlin personell verstärkt."
    Und aus diesem Grund gibt die NZZ seit neuestem auch einen Newsletter speziell mit Inhalten aus Deutschland heraus, ein eigenes e-Paper für Deutschland soll folgen. Ob das Traditionsblatt damit langfristig so viele Einnahmen erzielt, dass es auch weiterhin auf e-Commerce verzichten kann, bleibt allerdings abzuwarten.