Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Neuer Anlauf zum Schutz der Artenvielfalt

Wälder, Moore, magere Wiesen oder Flussauen: Manche Tiere und Pflanzen sind auf ganz bestimmte Lebensräume angewiesen. Es besteht Handlungsbedarf und EU-Umweltkommissar Janez Potocnik will deshalb heute Nachmittag neue Strategien zum Erhalt der Artenvielfalt vorstellen.

Volker Finthammer im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 03.05.2011
    Susanne Kuhlmann: Intakte Landschaften locken nicht nur Touristen an, sondern auch viele Tier- und Pflanzenarten. Arten, die in Städten oder landwirtschaftlichen Regionen kaum Platz zum Überleben haben. Und weil das nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa ein Problem ist, stellt EU-Umweltkommissar Janez Potocnik heute Nachmittag die neue EU-Strategie zur Artenvielfalt vor. Wälder, Moore, magere Wiesen oder Flussauen, manche Tiere und Pflanzen sind auf ganz bestimmte Lebensräume angewiesen.

    Volker Finthammer in Brüssel, es ist ja nicht der erste Plan dieser Art, sondern es gab vor einigen Jahren schon mal einen Anlauf für mehr Artenvielfalt.

    Volker Finthammer: In der Tat, Susanne Kuhlmann. 2006 gab es bereits einen Aktionsplan für die Erhaltung der Artenvielfalt. Aber die Bilanz, die man jetzt ziehen musste, fiel eher bescheiden aus. Die EU-Kommission musste zugeben, dass nur bei 17 Prozent der Schutzgebiete und der darin enthaltenen Arten von einem guten Zustand gesprochen werden kann, und die Kehrseite liegt in der Erkenntnis, dass gut ein Viertel aller Arten durch menschliches Tun in Europa vom Aussterben bedroht sind. Das heißt nicht nur, dass einzelne Arten verschwinden, was viele ja überhaupt nicht stören würde, sondern dass da ganze Kreisläufe durcheinander geraten. Wenn beispielsweise die Bestäubung der Blüten durch Bienenvölker oder andere Insektenarten nicht mehr gewährleistet ist, dann läuft das ja auf erhebliche volkswirtschaftliche Schäden hinaus, und für die gesamte EU rechnet man da beispielsweise mit möglichen Kosten von bis zu 15 Milliarden Euro pro Jahr, wenn diese natürlichen Reproduktionsketten nicht mehr einwandfrei funktionieren würden.

    Kuhlmann: Warum hat sich der Umweltkommissar denn nun entschlossen, so eine neue Strategie zu entwickeln?

    Finthammer: Schlicht aus dem Grund, weil die alte eben nicht hinreichend war. Sie hat vor allem dem Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie zu wenig standhalten können, und Naturschutzbemühungen haben immer wieder den Kürzeren ziehen müssen, wenn es um ökonomische Interessen ging. Das geschieht ja nicht vor Ort in Brüssel, das geschieht vor Ort in den konkreten Entscheidungen. Der NABU in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise berichtet in diesen Tagen etwa, dass Feuchtwiesen, die an ein Schutzgebiet für den Schreiadler heranreichen, in diesem Frühjahr umgebrochen wurden, weil für den Landwirt eben die Produktion von Mais für Bioethanol interessant geworden ist. Da geht also aus wirtschaftlichen Interessen ein Stück Grünland für den Anbau von Monokulturen zurück und ein Nahrungsbiotop geht verloren. Für jeden einzelnen Fall mag es da sicherlich gute Gründe geben, aber das geschieht ja nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern überall in Europa werden diese Konflikte ausgetragen, wobei der Schutz der natürlichen Lebensräume in den meisten Fällen eben das Nachsehen hat, und dem will die EU mit dieser neuen Strategie stärker entgegentreten.

    Kuhlmann: Dass Ökonomie und Ökologie in vielen Fällen auf Konfrontationskurs sind, das ist ja nichts Neues und war vor ein paar Jahren ja auch schon bekannt. Was soll jetzt geschehen, damit die neue Strategie mehr Erfolg hat als die alte?

    Finthammer: Da bleibt die neue Strategie sogar so ein bisschen schwammig. Es soll jetzt nicht mehr viele einzelne Maßnahmen geben, sondern so eine Art Rahmen gesteckt werden, der den Mitgliedsländern dann zur Verfügung gestellt wird und den sie erfüllen sollen, und unter diesen Rahmen fallen im Wesentlichen sechs Punkte. Zum einen soll ja die bestehende Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie so umgesetzt werden, dass sich der Anteil der gelungenen Projekte, die ihre Aufgabe also wirklich erfüllen und alle Arten schützen, bis zum Jahr 2020 verdoppelt. Das heißt, es sollen keine neuen zusätzlichen Flächen dazu kommen, sondern ein besserer Schutz und Umgang mit den bestehenden Flächen garantiert werden. Insgesamt sollen in der EU ja 18 Prozent der Landfläche diesen Schutzstatus erhalten, und deren Umsetzung soll deutlich verbessert werden. Das betrifft natürlich vor allen Dingen die Landwirtschaft, sie muss sich im Umfeld dieser Schutzgebiete an strengere Regelungen halten, aber auch darüber hinaus ist die Landwirtschaft gefordert. So soll der Anteil von Grasland und Feldern mit extensiver Bewirtschaftung nach Möglichkeit wieder steigen, aber das kann ja nur über Ausgleichszahlungen durch die gemeinsame Agrarpolitik funktionieren. Das ist auch der Punkt, wo Umweltverbände den Vorstoß des Umweltkommissars kritisieren, weil sie sagen, das ist zwar ein schöner Vorschlag, aber der funktioniert nur, wenn er in andere Gesetzgebungsverfahren beispielsweise die Agrarpolitik oder die gemeinsame Agrarpolitik der EU integriert wird.

    Kuhlmann: Der EU-Umweltkommissar stellt heute eine neue Strategie zur Biodiversität vor. Vielen Dank Volker Finthammer nach Brüssel.