Donnerstag, 18. April 2024

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Neuer FIFA-Ethik-Code
"Es hat meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt"

Seit 2004 handelt die Fifa nach ihrem eigenen Ethikkodex. Dieser wurde jetzt überarbeitet. Korruptionsbekämpfung werde schwieriger, sagt der ehemalige FIFA-Kontrolleur Miguel Maduro. Die Veränderung sei ein Zeichen dafür, "wie sehr sich die FIFA der externen Kontrolle entzieht".

Miguel Maduro im Gespräch mit Matthias Friebe | 18.08.2018
    FIFA-Zentrale in Zürich
    Die FIFA streicht das Wort "Korruption" einfach aus ihrem Ethikkodex. (imago sportfotodienst)
    Matthias Friebe: Wie überrascht waren Sie, als Sie den neuen FIFA-Ethik-Code gesehen haben?
    Miguel Maduro: Nun, ich muss sagen, dass ich nicht völlig überrascht bin. Ich sage schon seit einiger Zeit, dass die internen Kräfte, die sich der Reform der FIFA widersetzen, stärker sind als das Gefühl, dem Druck der öffentlichen Meinung und der Medien Rechenschaft ablegen zu müssen. Aber trotzdem hätte ich nicht erwartet, dass die FIFA nach den Korruptionsskandalen und Verdächtigungen, die immer noch ihre Arbeit umgeben, jetzt diese Veränderungen des Ethik Codes macht. Anstatt die Mechanismen zur Korruptionsbekämpfung zu verstärken, wird es jetzt schwieriger gemacht, die Korruption zu bekämpfen. Sogar ich, der sehr skeptisch gegenüber der Reformfähigkeit der FIFA ist, konnte mir das nicht vorstellen. Aber es zeigt, wie sehr sich die FIFA der externen Kontrolle und dem Druck der öffentlichen Meinung, der Medien und der Fußballfans entzieht.
    Friebe: Um es auf den Punkt zu bringen: Dieser neue Ethikkodex ist also kein Fortschritt. Es ist, wenn ich richtig verstanden habe, definitiv ein Schritt zurück in die Geschichte der FIFA…
    Maduro: Ja. Sicherlich, was den Kampf gegen die Korruption angeht. Sie führen Fristen für die Aufdeckung und Verfolgung von Korruptions- und Bestechungsfällen ein, sie eliminieren das Wort Korruption. Bis jetzt gab es keine zeitliche Begrenzung, um einen Fall aufzudecken. Aber jetzt haben sie Fristen eingeführt, die es bisher nicht gab. Trotz Jahrzehnten der Korruption und Bestechung, gibt es jetzt eine Zehn-Jahres-Frist. Es ist ein interessanter Zufall oder auch nicht, dass die meisten Vorgänge rund um die Vergabe der Weltmeisterschaften nach Katar und Russland mehr oder weniger genau zehn Jahre her sind.
    Verleumdungsklausel als Abschreckung für Whistleblower
    Friebe: Aber, Herr Maduro, ist das nicht eine vernünftige Anpassung? Wir kennen diese Fristen auch aus dem Straf- und Zivilrecht.
    Maduro: Ja, diese Fristen gibt es in vielen Ländern und in vielen Strafrechtssystemen, aber es ist dennoch erstaunlich, dass dies die erste Sorge der FIFA ist. Und zwar, nachdem sie ja mehrere Fälle von Korruption hatten. Normalerweise haben wir in vielen Systemen gesehen, dass sie Fristen verlängern oder gar für einige Zeit aussetzen, wenn sie feststellen, dass das System bei der Verhinderung von Korruption nicht ausreichend wirksam war. Hier ist es genau das Gegenteil. Man führt Fristen ein, die es vorher nicht gab. Das ist bemerkenswert. Aber mehr noch: Noch gravierender ist meiner Meinung nach die Einführung einer Verleumdungsklausel. Diese sehr offen gehaltene Klausel dürfte viele Whistleblower abschrecken. Denn jede Äußerung eines Whistleblowers, der beispielsweise etwas anprangert, dass auf Korruption in der Welt des Fußballs hindeutet, kann sehr leicht als Verleumdung der FIFA oder von Personen, die beispielsweise mit der Organisation der Weltmeisterschaft in Verbindung stehen, konstruiert werden. Eine sehr starke Abschreckung für Whistleblower, weil es jetzt im Übrigen die Einführung einer automatischen Geldstrafe zur Folge hat. Und zwar für jeden, der seine Geheimhaltungspflicht verletzt, die er hat, während er für die FIFA arbeitet. Außerdem verstößt diese Geheimhaltungspflicht meines Erachtens möglicherweise gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wenn nämlich ein öffentliches Interesse besteht. Die Tatsache, dass es jetzt eine automatische Geldstrafe gibt, ist auch eine zusätzliche Abschreckung für jeden FIFA-Funktionär oder jeden, der für die FIFA arbeitet, um Korruptionsfälle aufzudecken.
    Miguel Maduro (2013)Luís Miguel Poiares Pessoa Maduro ist ein portugiesischer Jurist und Politiker. Maduro war von 2003 bis 2009 Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof. Später war er Leiter des Programms für Global Governance und Professor der Rechte am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. 2011 war er Berater des Präsidentschaftskandidaten Aníbal Cavaco Silva. Im 1. Kabinett Passos Coelho war er vom 13. Abril 2013 bis 30. Oktober 2015 dem Ministerpräsidenten beigeordneter Minister und Minister für Parlamentsangelegenheiten und Regionalentwicklung.
    Miguel Maduro, bis 2017 Chef der Governance Kommission bei der FIFA. (picture alliance / dpa / LUSA / Tiago Petinga)
    Friebe: Also, was kann ich machen, wenn ich die FIFA kritisieren will?
    Maduro: Nun, wenn Sie jemand sind, der unter den Ethikkodex der FIFA fällt, würde ich sagen, dass Sie von der FIFA aus verleumderischen Gründen angeklagt werden, und das beinhaltet jetzt auch eine Geldstrafe. Und das schreckt natürlich ab. Die FIFA hat eine Tradition, die meines Erachtens falsch ist, die es Menschen, die für die FIFA gearbeitet haben, schwer macht, über das Unrecht, das sie in der Welt des Fußballs sehen, zu sprechen. So hat die FIFA beispielsweise den ehemaligen Präsidenten der Ethik-Kommission, Herrn Borbely, daran gehindert, auf Antrag des britischen Parlaments vor dem britischen Parlament auszusagen. Also, wenn eine Organisation das tut und wenn eine Organisation dann die Verleumdungsklauseln einführt und finanzielle Sanktionen für Verstöße ehemaliger oder gegenwärtiger Mitarbeiter gegen ihre Geheimhaltungspflicht einführt, dann wird sie nicht transparenter. Diese Organisation macht es den Menschen nicht leichter, über Fälle von Korruption in ihrem Inneren zu sprechen. Diese Organisation versucht, genau das einzuschränken. Das ist, denke ich, offensichtlich keine gute Sache.
    Friebe: Kritisieren Sie die FIFA so harsch, Herr Maduro, weil sie enttäuscht sind, selber nicht mehr für die FIFA zu arbeiten?
    Maduro: Nein. Ich bin sicherlich enttäuscht, genau wie meine Kollegen Professor Joseph Weiler, Navi Pillay, die ehemalige Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen, und Ron Popper. Wir alle, die wir gegangen sind, sind enttäuscht darüber, dass uns bei unserem Amtsantritt als Mitglieder des Governance-Komitees versprochen wurde, dass es der neuen FIFA mit der Einführung strenger Kriterien für die Integrität der Demokratie der guten Regierungsführung ernst ist. Und als wir versuchten, das dann zu implementieren, ließen sie es uns im Grunde nicht zu. In dieser Hinsicht bin ich also enttäuscht.
    Fußballverbände haben das Gefühl, so weitermachen zu können
    Friebe: Was haben Sie gelernt von der Veröffentlichung des neuen Ethik-Codes?
    Maduro: Es hat meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, und ich bin in dieser Hinsicht sehr pessimistisch, was die Reformfähigkeit der Fußballwelt und insbesondere der FIFA angeht. Denn es ist wirklich schwer zu verstehen, dass es trotz der Vorgeschichte an tiefgreifender Korruption dein erstes Bestreben ist, die Bekämpfung der Korruption zu erschweren. Das zeigt, dass die Fußballverbände das Gefühl haben, dass sie so weitermachen können, wie sie es immer getan haben. Weil sie glauben, dass es kein ernsthaftes öffentliches Aufsichtsinstrument gibt.
    Friebe: Aber warum sollte sich die FIFA denn ändern?
    Maduro: Sie sollten sich ändern, denn Fußball hat eine außerordentliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung. Es gibt einen Bericht der Europäischen Kommission, in dem heißt, dass alle wirtschaftlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Welt des Fußballs rund 3 Prozent des Brutto-Inlands-Produkts der EU ausmachen. Wie kann ein solcher Bereich von solcher wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung ohne eine ernsthafte Form der Regulierung und ohne die Einhaltung der Grundsätze der verantwortungsvollen Unternehmensführung existieren? Das ist nicht akzeptabel. Meiner Meinung nach haben diese Änderungen des Ethik-Codes bestätigt, dass, wenn die Welt des Fußballs nicht in der Lage ist, sich selbst zu reformieren, die Behörden eine Art ernsthafte Kontrolle ausüben sollten.
    Friebe: Aber werden Sie das machen?
    Maduro: Ich denke, das ist zweifelhaft. Deshalb bin ich sehr pessimistisch. Ich denke, entweder sind Politiker nicht am Fußball interessiert und schätzen deshalb die Bedeutung des Fußballs in der Gesellschaft und der Wirtschaft im Allgemeinen nicht. Oder, wenn sie am Fußball interessiert sind, scheint es mir, dass sie mehr daran interessiert sind, in den VIP-Logen Spiele anzusehen, als die Notwendigkeit ernst zu nehmen, eine Mindestform guter Regulierung für die Welt des Fußballs zu schaffen. Ich meine nicht, dass die Behörden die Führung des Fußballs übernehmen sollten. Überhaupt nicht. Ich denke, dass Fußball und andere Sportarten in der Lage sein sollten, sich selbst zu regulieren. Aber diese Selbstregulierung muss einer minimalen öffentlichen Kontrolle im Hinblick auf eine gute Unternehmensführung unterliegen: dass die Wahlen auf demokratische, faire und freie Weise stattfinden, dass die Organe, die für die Anwendung von Disziplinarvorschriften und die Bekämpfung der Korruption zuständig sind, beispielsweise eine echte Unabhängigkeit haben. Es gibt eine Reihe von Prinzipien, die sie einhalten sollten, und wir brauchen eine Form der öffentlichen Aufsicht, um das durchzusetzen.
    Kein Interesse an öffentlicher Kontrolle
    Friebe: Was bedeutet das für die Zukunft der FIFA? Das System FIFA funktioniert gut, es gab eine große Party in Russland, ein großes Turnier, viele Einnahmen, es war eine tolle Zeit für die FIFA…
    Maduro: Meine Vorhersage ist, dass sich leider nicht viel ändern wird. Wenn man es an dem Reichtum misst, der geschaffen wird – und im Fußball wird viel Geld verdient – der wird nur an eine kleine Gruppe von Menschen verteilt. Und weil ich kein ernsthaftes Interesse sehe, eine angemessene Form der öffentlichen Kontrolle einzuführen, glaube ich nicht, dass sich etwas ändert. Denken Sie daran, wie sehr ein kleines Kartell die Welt des Fußballs beherrscht. 40 Jahre lang war Herr Havalange Präsident der FIFA, danach haben Sie einen weiteren, der damals erst 17 Jahre lang Generalsekretär war. Und dieser Herr Blatter wurde erst nach Aktionen der amerikanischen Justizbehörden entlassen von der FIFA-eigenen Ethikkommission gefeuert. Sonst wäre er geblieben, weil er trotz der ganzen schon bekannten Verdachtsmomente und Korruptionsfälle wiedergewählt wurde. Solange die FIFA und der Fußball das Geld produzieren, um die Interessen dieses politischen Kartells zu befriedigen, hat sie kein Interesse daran, sich zu ändern.
    Und weil ich auf Seiten der Behörden leider kein Gefühl der Dringlichkeit sehe, wenn es um die Einführung einer ernsthaften öffentlichen Aufsicht geht, wird sich nichts ändern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.