Freitag, 19. April 2024

Archiv

Neuer Hip-Hop von Pavlidis
"Die Welt hat ein Empathie-Problem"

Ben Pavlidis war und ist rappender Frontmann der munteren Berliner Reggaetruppe Ohrbooten. Im Duo mit Beatbastler Shaban zeigt er auf dem Album "Identitetris" nun seine sensiblere Seite. Wie das kam und wie auf dem Hauptbahnhof ein Text über Luxusprobleme entsteht, erklären die beiden im Corso-Gespräch.

Ben Pavlidis und Shaban im Corso-Gespräch mit Bernd Lechler | 05.11.2016
    Der Sänger Ben der Berliner Band "Ohrbooten" steht am 02.08.2008 in der Arena im Rahmen des popdeurope in Berlin auf der Bühne. Die Ohrbooten sind Paten des Projekts "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" an der Berliner Archenhold-Oberschule.
    Ben Pavlidis, Sänger der Berliner Band "Ohrbooten", in Berlin auf der Bühne. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Bernd Lechler: Ben Pavlidis und Shaban. Im Titelsong rappen Sie: "Das Spiel, das wir spielen, heißt Identitetris". Inwiefern beschreibt es ihr Lebensgefühl gerade? Bunte Klötzchen an die richtige Stelle bringen, wie im Computerspielklassiker?
    Ben Pavlidis: Also es beschreibt glaube ich prinzipiell mein Lebensgefühl auf jeden Fall. Insofern, dass immer wieder neue Klötze dazukommen und man die reinbaut, zum Beispiel, dass ich dann irgendwann mal Shaban kennengelernt hab vor dreieinhalb Jahren und dann man eine Platte macht. Und ich finde es auch extrem wichtig, dass man neue Klötze in sein Leben lässt und die in seinen Turm einbaut, auch wenn man Gefahr läuft, dass er einstürzt und man vielleicht sein ganzes Leben überdenken muss.
    "Mehr ins Herz gehen"
    Lechler: Wir leben ja auch in unruhigen Zeiten. Der erste Track heißt "Mutterschiff" - "alle Mann von Bord, wir verlassen das Mutterschiff". Da höre ich so ein bisschen die Angst und das Chaos, das man gerade so auf der Welt spürt, durch. Geht es darum oder kommt das ganz von woanders her?
    Pavlidis: Also witzigerweise ist der Text schon sehr alt, aber ich glaube, dieses Chaos auf der Erde und das alle denken, oh Gott, jetzt ist wirklich, also jetzt, Kalter Krieg hin und dann sind wir wieder weg und dann kommt wieder dies, ist so ein Grundthema, was die Menschheit mit sich trägt und ... kann schon sein, ich weiß gar nicht mehr, ehrlich gesagt, wann ich den Text geschrieben habe.
    Weil das war einer dieser Texte, die übrig waren von meiner anderen Band Ohrbooten, und wo ich zu Shaban meinte, lass doch mal ein Lied machen oder er meinte, lass doch mal ein Lied machen und ich so, ja hier und dann war das so der Track. Das war eigentlich unser erstes Lied "Mutterschiff". Aber es spielt definitiv auf diese Gesellschaft an und das ist natürlich immer Wachstum, Wachstum, Wachstum, Wachstum, ist halt irgendwie klar, dass das irgendwann zusammenklappt.
    Lechler: Und im Text heißt es dann, "fangt an zu Tanzen, fangt an zu Lieben, fangt an zu Träumen", ist das die Lösung?
    Pavlidis: "Fangt an zu tanzen wie ne Horde wilder Affen. Fangt an zu lieben oder wenigstens zu hassen, fangt an zu träumen, dafür wurden wir erschaffen". Ich glaube prinzipiell, wenn die Welt mehr ins Herz gehen würde, dann würde man nicht so darüber nachdenken, ob man jetzt noch Flüchtlinge aufnehmen soll oder nicht und wie man das schafft, dann ist erstmal, na klar nehmen wir die auf und wir schaffen das.
    Das klingt jetzt ein bisschen hippiemäßig und so über den Daumen geschert, da gibt es dann natürlich auch andere Probleme. Aber ich glaube prinzipiell hat die Welt schon ein emphatisches Problem, so viele, gerade die viel mit Macht und Geld zu tun haben.
    "Die wahren Probleme"
    Lechler: Ich mochte den Track vier sehr gerne, der ist ein bisschen flapsiger, da geht es um Mückenstiche und Betriebskostennachzahlungen und ich meine, ich wollte joggen gehen und jetzt regnet es aber und soll ich das jetzt bio kaufen oder lieber sparen? Und der Track heißt "Die wahren Probleme". Welche Haltung steckt da hinter?
    Pavlidis: Ich hatte einmal so einen lustigen Moment: Ich musste mit meinem anderen Kumpel Matze, der auch auf der Platte mitmacht, von Ohrbooten, zu einem Konzert und der Zug kam zu spät. Und wir sind irgendwie von einem Gleis hoch, vom Hauptbahnhof wieder runter, wieder hoch, wieder runter. Und ich war vollkommen genervt, und dann, da saß dann eine Flüchtlingsfamilie einfach so auf dem Boden mit Kindern und dann dachte ich, ach Gott, ist doch okay. Cool, ich kann den Zug verpassen, dankeschön.
    Lechler: Ansonsten geht es um die Gedanken, auch mit denen man nachts wachliegt und um Feindbilder, um Verantwortung und manchmal auch eine Ratlosigkeit. Und meist nicht mit so viel Spaß am Quatsch, wie das bei den Ohrbooten viel der Fall ist. Also war das auch ein Grund, was anderes zu machen, dass Ihre ernste Seite mal nach vorne sollte?
    Pavlidis: Definitiv. Also es waren halt auch echt Texte übrig einfach, die bei Ohrbooten, wo man immer sagte, passt irgendwie nicht oder irgendwie auch musikalisch kam ich mit ein paar Beats an bei Ohrbooten, die waren immer so: hmm. Und bei Shaban war es halt immer so, oh geiler Beat, lass mal machen, lass einfach machen. Definitiv war das auch so ein bisschen das Ziel dieser Aufgabe, so ein bisschen davon zu entkoppeln und halt Texte zu nehmen, die nicht so ein Augenzwinkern haben.
    Lechler: Und das jetzt also mit Shaban? Ebenfalls Hip-Hop erfahren als Teil von Shaban featuring Käptn Peng. Wie haben Sie zusammengefunden? Wie kam das Tetris-Klötzchen vor dreieinhalb, vier Jahren ins Spiel?
    Shaban: Wir haben uns ganz klischeemäßig im Backstage von der Fusion kennengelernt. Ich wusste natürlich schon lange, lange von den Ohrbooten. Wir haben da schön gesessen in der Sonne und haben glaube irgendwas gegessen. Und dann haben wir irgendwann beschlossen, uns mal zu treffen und mal zu Jammen, wie es so schön heißt. Und das war extrem schnell, extrem fruchtbar.
    "Man muss nicht hinterher sein"
    Lechler: Wieso passt ihr gut zusammen?
    Shaban: Weil, ich mag es beim arbeiten, wenn es vorangeht. Und da hab ich auf jeden Fall in Ben jemanden gefunden, der das auch mitmacht, also der einfach dran ist, der liefert, wo man nicht hinterher sein muss, "willst du nicht mal, guck mal, ich hab hier einen Beat geschrieben, magst du nicht mal einen Text schreiben? Was ist denn jetzt mit dem Text?" und so, sondern wo einfach ständig Input kommt sozusagen.
    Lechler: Was man ja unbedingt erwähnen muss, wenn man die Musik beschreibt, ist diese Cümbüş, eine Art türkisches Banjo, das der erwähnte Matze Jechlitschka von den Ohrbooten in fast jedem Song spielt. Und das rückt das ganze Album gleich so Richtung Orient oder mindestens Mittelmeer. War das von Anfang an so als Dreh, als Spezialität geplant?
    Shaban: Gar nicht. Also wirklich, so überhaupt gar nicht. Also wie gesagt, der erste Track, der entstand, war ja "Mutterschiff", der hat ja auch sehr präsent jetzt dieses Cümbüş drin. Aber der war mal komplett ohne, das wurde alles von Synthies gespielt sozusagen. Dann sind wir auf Matze und diese Cümbüş gekommen, und dann hat es so gut funktioniert, dass man das plötzlich einfach für sieben Tracks hatte.
    Pavlidis: Ich war nicht dabei, bei der Session. Ich weiß gar nicht mehr warum. War ich in Indien? Ne. Auf jeden Fall wolltet ihr einen Song aufnehmen und am Ende hast du gesagt, ja, wir haben jetzt hier jeden Song fast mal was gemacht.
    Pure Berliner Musik
    Lechler: Das heißt, das sollte jetzt nicht Weltmusik sein von Anfang an? Wobei es fast ja schon ein Statement ist, wenn jemand mit griechischen Wurzeln ein türkisches Instrument in den Vordergrund stellt. Oder ist es ganz, spielt es eigentlich überhaupt keine Rolle? Sollte man das gar nicht irgendwie verorten wollen?
    Pavlidis: Also ich bin total Berliner. Ich bin mit Türken und allen aufgewachsen, das war nie ein Problem. Ich hatte nie irgendeinen Film mit Türken wegen jetzt irgendwelchen politischen Dingen zwischen Griechenland und der Türkei. Und das Matze jetzt, das ist alles wirklich, also, Null Planung, kein Statement, das ist einfach so passiert.
    Lechler: Was ja fehlt in Ihren Texten, ist so jeglicher Swag, so alles Geprotze und Geprunke und wie Sie alle anderen Rapper plattmachen und so. Je ein Versuch gewesen, mal einen Diss oder ein bisschen mehr Dicke Hose einzubauen?
    Pavlidis: Klar hat man manchmal so Textideen, gerade beim Freestylen so kommt das ein bisschen raus. Aber das ist für den Moment, das ist Improvisation und da macht man mal einen Spruch und da sagt man auch mal irgendwie ein paar Kraftausdrücke und es reimt sich dann und ist witzig. Aber auf Platte? Keine Ahnung, ich war nie der Typ, der das so gebraucht hat. Wobei ich es auch witzig finde bei anderen, also ich bin jetzt keiner, der das immer ablehnt.
    Lechler: Also Sie würden sich jetzt nicht distanzieren wollen vor den Gangsters? Da kann man sich auch für begeistern?
    Pavlidis: Ja, ich bin mit Gangsta-Rap aufgewachsen. Den Hip-Hop, den ich als erstes gehört habe waren Gangster - in Anführungsstrichen -, aber auf jeden Fall alles aus Amerika und die Texte.
    Shaban: Schlimme, ganz schlimme Texte, ja.
    Eltern als Orientierungspunkte
    Lechler: Also bei Käptn Peng geht es auch ein bisschen sensibler zu? Wie ist das denn so von den Einflüssen? Bei Ihnen zum Beispiel, Shaban. Haben Sie da auch von Ihren Schauspielereltern, Michael Gwisdek und Corinna Harfouch, sowas mitbekommen? Haben die künstlerischen Anspruch und Eigenständigkeit, haben die das gepredigt? Oder verkörpert auf jeden Fall als Vorbilder?
    Shaban: Also gepredigt, nein. Verkörpert, ja, sag ich mal. Aber es war jetzt auch nie der Anspruch von unseren Eltern, dass wir jetzt auch Künstler werden oder irgendwie sowas. Und die sind, würde ich mal sagen, gute Beispiele, an denen man sich gut orientieren kann, weil ich finde, dass die viele Sachen sehr schön gemacht haben.
    "Geschichten ausdenken, Geschichten erzählen"
    Lechler: Und Sie, Ben? Sie waren ein schlechter Deutschschüler, habe ich gelesen und haben da in jungen Jahren erstmal sehr viel negatives Feedback wohl gekriegt. Wie haben dann trotzdem den Mut gefunden, Sprache zu Ihrem Ausdrucksmittel, zu Ihrem Werkzeug zu machen?
    Pavlidis: Also es ist eine lange Geschichte. Also ich bin Legastheniker, ich habe schon immer, bis zum Ende meiner Schullaufbahn, Abzug auf meine, auf alle Arbeiten bekommen und irgendwann war ich halt nur Fuck Off, ich schreib wie ich will, lasst mich alle in Ruhe und so. Und hatte auch das Glück, dass meine Mutter da entspannt mit war. Und ich war halt immer schon gut in Aufsätzen, Geschichten ausdenken, Geschichten erzählen und so und habe ziemlich früh angefangen zu schreiben, meine Tagebücher, meine Gedichte. Und irgendwann kam das so zusammen.
    Straßenmusik als wichtiger Bestandteil
    Lechler: Und musikalisch war es dann die ersten Jahre ganz viel Straßenmusik, was Sie auch auszeichnet oder unterscheidet von vielen anderen. Und das muss ja nicht nur eine gute Schule gewesen sein - man muss die Leute zum stehenbleiben kriegen -, sondern auch viel Spaß gemacht haben. Also ihr habt dann auch mit den Ohrbooten immer wieder mal auf der Straße aufgebaut. Was ist das, was einen nicht loslässt da dran?
    Pavlidis: Wir haben auch dieses Jahr schöne Straßenshows gespielt. Also am Anfang war es einfach Kohle. Matze und ich waren um die 20, hatten drei Songs, sind losgegangen und hatten jeder 100 Mark nach zwei Stunden und waren so: was denn jetzt? Das müssen wir ja jetzt irgendwie, also, einen Job suchen kannst du danach komplett vergessen, 50 Mark Stundenlohn, mit 20, wird schwierig. Und dadurch kam dann das eine zum anderen.
    Wir haben die Cafés abgeklappert, du brauchst dann irgendwann schon ein bisschen mehr als drei Songs, wenn du jeden Tag oder gefühlt jedes Wochenende irgendwie durch den Bergmann-Kiez und so ziehst, dann hat man sich ein Repertoire aufgebaut, ein bisschen was für die älteren Leute, und so wurde das wie so ein Job irgendwie, den wir auch ein paar Jahre gemacht haben. Und am Ende, irgendwann wirst du halt gebucht, auf Hochzeiten, Geburtstagen. Dann haste eine fixe Gage plötzlich und sowas. Und du spielst halt. Wir haben halt gespielt, gespielt, gespielt. Wir waren jedes Wochenende immer 8 bis 9 Stunden unterwegs pro Tag.
    Du spielst immer wieder die gleichen Songs, es ist halt eine super Schule, du musst die Leute immer kriegen. Wenn du sie nicht kriegst gibt es keine Kohle, das heißt, du bist immer auf Sendung, guckst immer in die Augen. Und ja, natürlich war das auch eine super Zeit, als Anfang 20-Jähriger mit den ganzen Kellnerinnen, die geben einem dann mal einen Drink aus und so.
    "Ich bin im Winter traditionell weg"
    Lechler: Und jetzt erscheint nächste Woche das Pavlidis-Album. Was steht dann an? Konzerte?
    Shaban: Dann gibt es erstmal ein oder zwei Konzerte. Und dann fährt Ben erstmal weg für ein viertel Jahr.
    Pavlidis: Genau. Ich bin im Winter traditionell weg aus diesem Land, weil es mir zu kalt ist. Bin ich auch sehr stolz drauf, dass ich das so geschafft habe. Weil es ist ja irgendwie frustrierend, wenn man als Künstler dann auch in diesem Joch steckt. Und dann, wenn ich wieder komme, Ende März, dann werden wir spielen. Aber wo und wie, wissen wir noch nicht. Jetzt gibt es erstmal ein Konzert in Berlin, im Monarch, am zweiten Dezember.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.