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Neuer Naturpark im Norden Brandenburgs

Deutschland hat einen neuen überaus attraktiven Naturpark - mit so vielen Klarwasserseen, zehn insgesamt, sowie Fisch- und Seeadlern wie nirgendwo sonst. Brandenburgs Umweltminister Wolfgang Birthler(SPD) und Axel Vogel, Direktor der Landesanstalt für Großschutzgebiete, haben den Naturpark jetzt der Presse kurz vor der offiziellen Eröffnung vorgestellt.

von Klaus Hart | 13.06.2001
    Er ist der elfte des Bundeslandes, heißt Stechlin-Ruppiner Land, liegt sechzig Kilometer von Berlin entfernt, grenzt direkt an Mecklenburg-Vorpommern und ist mit dem Nationalpark Müritz verbunden. Weitere Großschutzgebiete sind in Brandenburg nun nicht mehr vorgesehen. Indessen - NABU-Vizepräsident Michael Succow und auch das Bundesamt für Naturschutz wollten in der Region angesichts der einmaligen Naturausstattung einen Nationalpark, wegen der weit strengeren Schutzbestimmungen - auch renommierte Naturschutzexperten Brandenburgs sind deshalb sehr unzufrieden, befürchten Negatives für die Umwelt.

    Der Brandenburger Michael Succow, Träger des Alternativen Nobelpreises, ist Initiator des ostdeutschen Nationalparkprogramms - in den Wirren der Wende gelang es ihm als Vize-Umweltminister, noch auf der allerletzten Sitzung des DDR-Ministerrates fünf solcher Schutzgebiete beschließen zu lassen. Nur, wie Succow gerne einräumt, passierte ein Lapsus, ausgerechnet die ihm so am Herzen liegende Stechlin-Region, von der schon Theodor Fontane so schwärmte, war als Nationalpark vorgesehen, wurde aber schlichtweg vergessen. Axel Vogel aus Bayern, Direktor der brandenburgischen Landesanstalt für Großschutzgebiete, kommt vor Ort angesichts der Naturschönheiten regelrecht ins Schwärmen.

    Seen mit Sichttiefen von 15, 20 Metern - der Stechlinsee ist ja über sechzig Meter tief - sie haben hier wunderbare riesig große unzerschnittene Wälder, die sie in Baden-Württemberg oder Hessen überhaupt nicht mehr finden heutzutage. Sie haben hier ohne Probleme die Möglichkeit, Fischadler zu sehen, wie sie nach Fischen jagen - sie können Seeadler sehen - sie haben praktisch eine Garantie dafür. Wo können Sie das in Deutschland - das ist schon einmalig. Es sind hier Fischotter flächendeckend zu finden - was Sie im Westen praktisch kaum noch finden - sie haben hier als Wappentier die Schellente - eine kleine, weiß-schwarze höhlenbrütende Ente, die ehemalige Spechthöhlen besiedelt - die können zum Beispiel in Süddeutschland fast nicht existieren, weil sie auf Klarwassergebiete angewiesen sind.

    Viele Arten auf der Roten Liste, vom Aussterben bedroht. Deshalb setzte das Bundesamt für Naturschutz 1997 in Professor Succows Sinne noch einmal nach, belegte an Hand einer ausführlichen Studie, dass die Stechlin-Region zu den letzten naturnahen Landschaften Brandenburgs zählt, große zweihundertjährige Buchenwälder hat. Deshalb, so heißt es, sei dem Gebiet einzig der Status eines Nationalparks in einer Größe von zehntausend Hektar angemessen. Die CDU-SPD-Koalition in Potsdam wollte es jedoch anders. Der neue Naturpark ist nun zwar rund 80 000 Hektar groß, macht aber gerade in den sensibelsten Biotopen auch am Stechlinsee vielfältige wirtschaftliche Nutzung möglich. Umwelt- und Landwirtschaftsminister Wolfgang Birthler vor der Presse:

    Die Mindestanforderung Nationalpark heißt 50 Prozent Totalreservate - ich denke, das ist nicht passend für diese Gegend, grade Tourismusentwicklung, viele Gemeinden - da ist dieser Status schon der Richtige. Ich glaube, dass für die modellhafte Entwicklung, auch die Bündelung von Fördermitteln - wir werden auch EU-Life-Mittel hier im Naturpark einsetzen - dieser Status der Richtige ist.

    Minister Birthler wollte nicht ausschließen, dass am Stechlinsee ein Gewerbegebiet entsteht - wie auch von Lokalpolitikern gewünscht - genau dort, wo derzeit das frühere DDR-Atomkraftwerk Rheinsberg abgebaut wird.

    Das muss dann die Wirtschaftsentwicklung zeigen - wenn da etwas kommt, muss man locker und kompetent damit umgehen.

    Trotz der Proteste von NABU und Grüner Liga wurden im Mai dort Castorbehälter abtransportiert - wegen der vielfältigen Störungen, besonders durch Polizei und Bundesgrenzschutz, gingen Bruten vom Aussterben bedrohter Fischadler und Wanderfalken verloren - die Umweltverbände sprechen von vorsätzlicher Verletzung des Bundesnaturschutzgesetzes, über ein Ermittlungsverfahren gegen Bundesumweltminister Jürgen Trittin wird beraten. Für Minister Birthler ist die Frage der Gesetzesverletzung indessen Abwägungssache.

    Bei einer so schwierigen Kiste wie Castortransporte kann man sich nicht nur auf Naturschutz beziehen - da muss man auch Abstriche beim Naturschutz hinnehmen.

    Der Minister räumt ein, dass der durchs Naturschutzgebiet am Stechlinsee geplante breite asphaltierte Radwanderweg dann auch von Autofahrern genutzt wird. Weil Großschutzgebietsdirektor Axel Vogel die Positionen des Ministers voll unterstützt, sind die Umweltverbände und Artenschützer jetzt sehr besorgt. Paul Sömmer, einer der renommiertesten Adler- und Wanderfalkenexperten Deutschlands, Leiter der staatlichen Naturschutzstation Woblitz im neuen Naturpark, formulierte es gegenüber dem Deutschlandfunk drastisch - die Naturschutzziele dürften jetzt hinten herunterfallen.