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Neuer Schwung für die Gentherapie

Medizin. - Anfang der neunziger Jahre schwang immer auch Euphorie mit, sobald von der Gentherapie die Rede war. Krebs, Erbleiden, Alzheimer, Aids. Kaum eine Krankheit, gegen die nicht eine Gentherapie entwickelt wurde. Zehn Jahre später sollten die ersten Therapien marktreif sein, hieß es damals. Einige sprachen gar von einer medizinischen Revolution. Aber es kam anders. Nach einem Todesfall, zwei leukämiekranken Kindern und vielen erfolglosen Versuchen stand die Gentherapie vor dem Aus. Nur langsam kehrt die Hoffnung zurück. Die Gentherapeuten setzen auf verbesserte Verfahren. Insbesondere auf neue Vektoren, die so genannten Gentaxis oder Genfähren. Eine Konferenz am Paul-Ehrlich-Institut in Langen bei Frankfurt gibt den Stand der Forschung wieder.

Von Michael Lange |
    Das Hauptwerkzeug eines Gentherapeuten ist der Vektor. So heißt das Transportmittel, mit dem er die heilenden Gene genau dorthin bringt, wo sie helfen sollen - in die Zellen des Patienten. Gerne werden diese Vektoren auch Genfähren genannt - oder Gentaxis. Diese Begriffe verschleiern jedoch die Herkunft der meisten Vektoren. Es handelt sich nämlich um Viren, im Hauptberuf eigentlich: Krankheitserreger. Entscheidend ist der richtige Umgang mit ihnen - und die richtige Auswahl, so der Gentherapie-Experte Inder Verma vom Salk-Institut in La Jolla, Kalifornien.

    Wir suchen nach einer Methode, mit der wir sehr effizient Gene in möglichst viele Zellen einschleusen können. Am besten, ohne irgendwelche unerwünschten Folgen. Es gibt zwar schon eine Menge Vektoren auf dem Weg in die Praxis; aber nun kommen zusätzlich neue, verbesserte Vektoren hinzu.

    Einer dieser Kandidaten hat besonders gute Eigenschaften. Seine Effizienz als Gentransporter beeindruckte die Experten beim Gentherapeutentreffen in Langen. Inder Verma selbst nennt diesen Kandidaten: eine glückliche Wahl. Und - kaum zu glauben - er meint damit den Aids-Erreger HIV. Einen so genannten Lentivirus als Vektor, der sich selbst vermehrt. Verma:

    Wir haben Lentiviren zu Gentransportern weiter entwickelt. Zu ihnen gehört auch HIV. Das Virus führt zu Aids, weil es geschickt in die Zelle eindringt und selbst zu einem Teil der Zelle wird. Sein Ziel ist es , die Zelle zu töten. Das Virus zerstört das Immunsystem und verursacht schließlich Aids. Wir wollen ein verändertes HI-Virus verwenden, das genau so gut in die Zellen hinein kommt, allerdings ohne dabei eine Krankheit auszulösen.

    Alle krankmachenden Gene haben die US-Forscher aus dem HI-Virus entfernt. Was übrig bleibt, ist nicht mehr als ein Gerüst, das sich mit neuen Inhalten füllen lässt. Dennoch existiert natürlich die Gefahr, dass - irgendwo versteckt - schlechte Eigenschaften des Aids-Erregers übrig geblieben sein könnten, beziehungsweise, dass das amputierte Virus, seine krankmachenden Fähigkeiten wieder erlangt. Verma:

    Ich sage nicht, die Wahrscheinlichkeit ist gleich Null. Aber sie ist sicherlich sehr gering.

    Das Restrisiko ist vertretbar, so Inder Verma. Zum einen, weil zur Gentherapie die Blutstammen entnommen werden. Die Infektion also außerhalb des Körpers stattfindet - zum anderen, weil ein anderes Risiko mit Hilfe der Lentiviren gesenkt werde. Durch die hohe Trefferquote der neuen Vektoren müssen weniger Zellen genetisch verändert werden. Und das vermindere das Risiko der Krebsentstehung. Klinische Studien können also beginnen, meint auch Klaus Cichutek. Beim Paul-Ehrlich-Institut in Langen ist er zuständig für die Zulassung und Überprüfung von Gentherapien:

    Es gibt bisher eine einzige Studie in den USA, an HIV-Infizierten. Da wird übrigens paradoxerweise dieser amputierte HI-Virus, der Vektor also, genommen, um den Patienten HIV-hemmende Gene zu übertragen.

    Bisher läuft die Studie einwandfrei. Den bislang behandelten drei Patienten geht es gut. Lentiviren als Vektoren eignen sich besonders für die Gentherapie von Blutstammzellen, aber auch für Nervenzellen. Parkinson und Alzheimer stehen deshalb schon auf der Wunschliste der Gentherapeuten.

    Wir werden sehen, ob sich diese Art der Genfähren auch weiterhin durchsetzen bei anderen Krankheiten,

    ... sagt Klaus Cichutek. Jetzt heißt es: Abwarten. Beim Paul-Ehrlich-Institut ist man jedenfalls vorbereitet, sollten die amputierten HI-Viren demnächst auch in Deutschland zum Einsatz kommen.