Samstag, 20. April 2024

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Neues AC/DC-Album "Power up"
Vertrautes ohne typischen Versatz

Die australischen Hardrocker von AC/DC haben sich überraschend in alter Besetzung zusammengerauft und mit „Power Up“ noch einmal ein neues Album veröffentlicht. Es ist das Erste nach dem Tod von Riff-Architekt Malcolm Young. Bruder Angus konnte posthum allerdings auf dessen Ideen zurückgreifen.

Von Fabian Elsäßer | 06.12.2020
Zwei ältere Herren stehen energiegeladen auf einer Bühne. Der linke singt energisch in ein Mikrofon, das er in der Hand hält, der rechte spielt auf einer schwarzen E-Gitarre, die er beinahe vertikal in die Luft hält.
Sänger Brian Johnson (links) und Gitarrist Angus Young auf der Bühne. (picture alliance / dpa / epa / anp / Robert Vos)
Musik "Code Red"
Das ist nicht einfach ein weiteres AC/DC-Album, auch wenn es ziemlich genauso klingt. Das ist Trauerarbeit mit Rock'n'Roll-Gitarre. Und es ist ein lautstarker Abschiedsgruß aus dem Jenseits. Man liest die Urheberangaben und reibt sich die Augen: "All Songs written by Angus AND Malcolm Young". Ebenjener Malcolm Young, der 2017 gestorben ist.
Musik "Code Red"
Angus Young war zwar mit seinem überdrehten Bühnenauftritt in kurzen Hosen und Schuljungenuniform immer das optische Aushängeschild der Band. Ebenso eindrücklich waren seine Soli, die einen ganzen Musterkatalog für Gitarren-Stilmittel füllen könnten, solange man nicht nach beidhändigem Tapping sucht. Aber: Diese unendlich griffigen, präzisen Riffs, die ACDC-Songs erst zu dem gemacht haben, was sie sind: Monumente des Rock – die kamen aus Malcolms Fingern. Er und sein kleiner Bruder müssen so viele davon auf Halde gelegt haben, dass es nicht nur für das vorhergehende Album "Rock or bust" gereicht hat, sondern auch noch für dieses hier, über den Tod hinaus.
Musik "Rejection"
Das macht "Power up" zum Vermächtnis und zugleich zum Nachruf, denn es war nun Angus` Aufgabe, aus diesen Ideen, Riffs und Lied-Fragmenten richtige Songs zu machen. In Interviews schildert er das als schmerzhaften, aber auch liebevollen Abschiedsprozess: Diese Songs hätten einfach rausgemusst! Gleichzeitig ist dieses Album – mit Ausnahme von Malcolm - ein Wiedersehen mit dieser wetterfesten AC/DC- Stammbesetzung, die seit dem "Back in Black"-Album als die einzig wahre gilt. Brian Johnson hat seinen Hörschaden mit geheimnisumrankter Technik in den Griff bekommen, deren Details er verschweigt. Nur so viel: Der Schädelknochen dient dabei als Verstärker, es könnte also so etwas wie ein Cochlea-Implantat sein. Phil Rudd hat seinen Hausarrest abgesessen, dem Vernehmen nach Therapiestunden genommen, sodass er etwaige Gewaltfantasien wieder ausschließlich an Fellen, Becken und Stöcken auslebt. Dadurch fühlt sich auch Bassist Cliff Williams offenbar wieder heimisch im Starkstrom-Kraftwerk. Und Gitarrist Stevie Young ist ja nicht nur Neffe, er hat schon in den 80er-Jahren ausgeholfen, als Onkel Malcolm wegen Alkoholproblemen unpässlich war. Wie aber klingt das nun? Vertraut. So wunderbar vertraut. Erstmal.
Musik "Demon Fire"
Da ist dieser komplett geerdete und lässig zurückgelehnte Phil Rudd-Groove, der AC/DC-Musik so massenkompatibel und ja, auch tanzbar macht. Da ist es wieder, dieses kaum kopierbare komprimierte Kreisch-Knurren von Brian Johnson. Und dann sind da auch Riffs und Refrains.
Musik "Shot in the dark"
Einige von ihnen, wie in den Songs "Systems down" oder "Shot in the dark", halten mühelos dem Vergleich mit Band-Klassikern stand. Bei anderen sind die Ideen so spindeldürr wie diese anorektischen Statuetten des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti.
Musik "Through the mists of time"
Weshalb Produzent Brendan O'Brien sie auf umso größere Betonsockel stellt. Soll heißen: Das Schlagzeug wirkt so präsent wie auf kaum einen AC/DC-Album zuvor, der Gesang ist weit nach vorne gemischt und ebenfalls auffällig oft mit Background-Chören der restlichen Band angereichert, während sich der Bass irgendwo in der Mitte des akustischen Raums verliert. Er fällt nicht besonders auf, bildet aber das solide Fundament für die Rhythmusgitarren – deren knallhartes australisches Eichen-Mitten-Brett ohne ihn zu dünnem Laubsägenholz verkümmern würde. Dennoch klingen diese Gitarren für AC/DC-Verhältnisse seltsam zart, immer mit so einem leichten Glöckchen-Klang versehen. Man kann sich wahlweise einen feierlichen oder auch zaghaften, gar kindlich-ängstlichen Gestus hineindenken, jetzt, da der große Bruder fort ist. Ersatzmann Stevie Young klingt dabei fast wie der Schlagschatten von Angus, doch aus dem Schatten seines Onkels Malcolm, der übrigens fast gleich alt war, traut er sich kaum. Damit fehlt dieser minimale Versatz der Gitarren, der früher für aufreizende Spannung sorgte.
Musik "Money Shot"
Aber "Power Up" ist nun einmal Resteverwertung: Es wird Gründe dafür geben, dass die Bausteine dieses womöglich letzten AC/DC-Albums vor vielen Jahren liegen geblieben sind, man damals nicht sofort etwas anzufangen wusste damit. Manche Ideen sollten offenbar reifen, andere wohl doch eher ad acta gelegt werden.
Musik "Money Shot"
Es wäre jetzt mal sehr spannend zu hören, wie Angus und Stevie Young selbst gemeinsam im Riff-Baukasten stöberten, ohne das Erbe von Malcolm. Wenn sie das überhaupt wollen. "Power Up" ist ein Album, das Schwächen zeigt. Das sie sogar offen zugibt. Es deswegen schlecht zu finden, wäre dennoch schlicht: pietätlos.