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US-Band All Them Witches
Zwischen den Stühlen

All Them Witches haben ihre musikalischen Vorbilder im Blues, dem Psychedelic- und Hardrock der frühen 70er- und dem Desert Rock der 90er-Jahre. Eine Schublade gibt es für ihren Sound bislang nicht.

Von Anke Behlert | 15.11.2020
    Drei dunkel gekleidete Männer mit langen Haaren stehen auf einem schmalen Balkon. Der Mann in der Mitte trägt einen Fischerhut.
    Ben McLeod, Robby Staebler, Michael Parks (vlnr): All Them Witches sind mittlerweile ein Trio. (Joe Charlton)
    Musik: "All Them Witches"
    Viele Menschen denken gerne in Schubladen, auch was Musik betrifft. Das ist zum Teil verständlich, irgendwie will man das Gehörte ja einsortieren, in einen größeren Kontext stellen und dafür sind Szene- oder Genrezuordnungen hilfreich. Schubladen helfen bei All Them Witches aber nicht weiter: Die Band ist in Nashville zu Hause, macht aber keinen Country. Der Sound wird von schweren, verzerrten Gitarren dominiert und ihre Musik wird viel von Metalmagazinen besprochen – aber metaltypischen hohen Gesang oder kastagnettengleich klappernde Doublebassdrums sucht man in ihren Songs vergebens. Das Trio hat seine musikalischen Wurzeln eher im Blues, dem Psychedelic- und Hardrock der frühen 70er und dem Desert Rock der 90er-Jahre. Dazu reichert Bassist und Sänger Michael Parks Jr. seine kryptischen Texte in letzter Zeit vermehrt mit spirituellem Input an. Wie man es auch dreht und wendet, diese Band passt in keine Schublade.
    Musik: "Fishbelly 86 Onions"
    Drummer Robby Staebler, Sänger Michael Parks, Gitarrist Ben McLeod und der frühere Keyboarder Allan Van Cleave haben All Them Witches 2012 gegründet. Sie lebten damals zusammen in einem Haus und hatten neben ihren Jobs genug Zeit, gemeinsam Musik zu machen. Staebler war die treibende Kraft, er hatte vorher in Oregon gelebt. Auf der Suche nach Bandkollegen verschlug es ihn eher zufällig nach Nashville.
    "Ich kannte jemanden in Nashville, der meinte: zieh doch bei mir ein, ich habe Platz und suche außerdem noch einen Drummer. Ich habe also mein ganzes Equipment eingepackt und bin von Oregon nach Nashville gezogen. Nach drei Tagen hat mich der Typ rausgeschmissen, weil er ein völlig durchgeknallter Kokser war. Ich habe dann noch eine Weile in meinem Auto geschlafen, bis ich eine Wohnung gefunden hatte. Dann sind mir Ben und Parks über den Weg gelaufen und alles hat sich zum Guten gewendet."
    Debüt bei Elektrohasch Schallplatten
    Ihr erstes Album "Our Mother Electricity" erscheint auf dem Münchner Heavy-Psych-Label Elektrohasch Schallplatten. Und dort passen sie auch hin, die teils ausufernd jamlastigen und Southern Rock-beeinflussten Stücke des Debüts fügen sich gut zwischen Labelkollegen wie Lonely Kamel oder My Sleeping Karma.
    "Als wir mit den Aufnahmen fertig waren, hat unser Gitarrist Ben das Album an ein paar Label geschickt und sie waren die einzigen, die geantwortet haben. Wir haben einen Vertriebs-Deal mit ihnen gemacht und alle physischen Exemplare, die es gibt, kommen von ihnen. Das ist ein seltsames Album, wir kannten uns noch gar nicht richtig, als wir das gemacht haben. Am Anfang war es nur ich am Schlagzeug, später kam Ben dazu und wir haben zusammen Overdubs aufgenommen. Parks kam noch später dazu, als wir die Platte schon halb fertig hatten."
    Musik: "Bloodhounds"
    Das zweite Album "Lightning at the door" veröffentlichen All Them Witches 2013 in Eigenregie, ohne Ankündigung oder Promotion, eines Tages steht es einfach auf ihrer Bandcamp-Seite. Dank Mundpropaganda und sozialen Medien werden All Them Witches mit ihrem eigenartigen Mix aus psychedelischem Blues, harten Riffs und stilisiertem Soul bald zu einer Underground-Sensation. Begleitet von stoischem Bass, dunkel funkelndem Fender Rhodes-Piano und Mundharmonika-Einsprengseln taucht auf dem Album zum ersten Mal die Figur "Coyote Woman" auf, die Texter Parks immer mal wieder besucht.
    Musik: "The marriage of coyote woman"
    Mit "Lightning at the door" gelingt ihnen der Schritt vom gehypten lokalen Act zum nationalen Geheimtipp. Das dritte Album "Dying Surfer meets his maker" erscheint bei New West Records und ist für Drummer Robby Staebler immer noch eines ihrer besten.
    "Ich finde auf jedem unserer Alben gibt es gute Songs, aber "Dying Surfer" mag ich besonders. Das haben wir fast komplett aus dem Stand gemacht, nur für ein paar Songs hatte Parks vorher Demos aufgenommen. Ich weiß noch wie ich dachte: ob das wohl jemandem gefällt? Das ist irgendwie seltsam. Aber man geht mit jeder Platte durch den gleichen Prozess. Zuerst: Wow, das ist großartig! Dann: Oh, das ist großer Mist. Taugt das überhaupt was, wird es jemand mögen? Und dann: die Leute mögen es, toll!"
    Drei Männer stehen in einer Wüste. Sie halten sich an den Händen und blicken in die Kamera.
    Ben McLeod, Robby Staebler, Michael Parks (vlnr) (Robby Staebler)
    Die Songs haben sie in einer Hütte irgendwo in ländlichen Tennessee eingespielt und zwar: live. Also gemeinsam in einem Rutsch. Das Ergebnis ist ein staubtrocken groovender Blues/Psychedelic-Orkan mit verzerrten Riffs, berauscht wabernden Gitarren und auch einer epischen Americana-Ode mit Geigen.
    Musik: "Open passageways"
    Musik: "Don't bring me coffee"
    Vom Quartett zum Trio
    Der Song "Don't bring me coffee" vom Album "Sleeping through the war", dem letzten auf dem Keyboarder Allan Van Cleave mitspielt. Nach einigem Hin und Her entschieden All Them Witches, als Trio weiterzumachen.
    "Wir haben uns zuerst ein bisschen schwer getan damit. Nachdem Allan die Band verlassen hatte, waren wir uns eigentlich einig, dass wir zu dritt weitermachen wollen. Aber dann habe ich Panik bekommen, eine Tour mit Mastodon und Primus stand an und ich dachte: Shit, wie sollen wir ohne Keyboard unsere Songs spielen? Und danach kam schon die nächste Platte mit unserem Freund Jonathan Draper als Keyboarder. Aber dann haben wir einige Shows zu dritt gespielt und fanden es super. Und damit war klar: Wir nehmen das nächste Album als Trio auf."
    Das nächste Album ist das aktuelle: "Nothing as the ideal" entstand in den Londoner Abbey Road Studios, in denen sich die Musiker vom vintage Equipment haben inspirieren lassen. Und sicherlich hat die geschichtsträchtige Aura des legendären Ortes ihr Übriges getan. Immerhin sind dort nahezu alle Aufnahmen der Beatles und Pink Floyd entstanden und auch Cliff Richard, Duran Duran oder Oasis haben in den Abbey Road Studios Songs aufgenommen. Auf "Nothing as the ideal" vereinen All them Witches die entgegengesetzten Pole ihrer Musik - brachialen Rock und geheimnisvolles Storytelling - zu einem nuancierten und stimmigen Ganzen. Produziert hat Mikey Allred, der schon "Dying surfer meets his maker" einen düsteren Anstrich verpasst hat. Im Stück "41" treffen bedrohliche Fuzzgitarren auf Postrockwände.
    Musik: "41"
    Das fehlende Keyboard fällt kaum ins Gewicht, den freigewordenen Raum füllen die Musiker zum Beispiel mit dämonisch anmutenden Sprachsamples und Soundeffekten.
    "Letztes Jahr habe ich ein paar alte Kassettenrekorder für Kinder gekauft. Dazu gehörten kleine Pappkarten mit einem Stück Kassettenband drauf, die Kinder konnten sich damit selbst aufnehmen und die Aufnahmen auch anhören. Auf den Karten waren also viele verschiedene Kinderstimmen, die irgendwelche Worte gesagt haben. Parks und ich haben Stunden damit verbracht, die Stimmen zu verfremden und seltsame Loops daraus zu bauen."
    Und einige dieser Loops sind auf dem Album gelandet, unter anderem in dem Song "See you next fall", der aus einer Pilz-beflügelten Jamsession entstanden ist.
    Musik: "See you next fall"
    Die Musik auf "Nothing as the ideal" ist fokussiert und auf den Punkt, aber gleichzeitig ausschweifend und intuitiv – ein akustischer Trip auf dem sich All Them Witches von ihrer besten Seite zeigen. Der Albumtitel ist von buddhistischen Lehren inspiriert, glaubt Drummer Staebler.
    "Parks hat sich den Titel ausgedacht, er schreibt ja die meisten Texte. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es um Zen-Buddhismus geht, den Zustand der Leere ohne Gedanken – also nothing as the ideal. Vielleicht hat es in seinem Kopf auch irgendwas mit dem Entstehungsprozess der Platte zu tun. Aber das weiß ich nicht genau."
    Schlagzeuger, Maler, Videoregisseur
    Schlagzeuger Robby Staebler ist auch für das charakteristische Artwork zuständig, er malt, entwirft die T-Shirt-Designs und dreht auch die Videos.
    "Ich bin sehr stolz darauf, dass ich die Möglichkeit habe, mit meiner Kunst auch die visuellen Aspekte der Band zu gestalten. Dadurch haben wir einen wiedererkennbaren Look, der auch ein bisschen edgy ist. Außerdem kann ich meine eigenen Fähigkeiten erweitern und verbessern. Ich finde es gut, darüber Kontrolle zu haben, aber das hat nichts mit Ego zu tun, sondern das ist einfach eine kreative Seite in mir, für die ich auch einen Kanal brauche."
    Staebler ist der Typ Mensch, der nur schwer stillsitzen kann. Er muss immer irgendetwas machen, sei es nun Musik oder Kunst oder eine ehemalige Kirche zu einem Aufnahmestudio umbauen. Und da sie im Moment aus den bekannten Gründen nicht auf Tour gehen können, arbeitet er zusammen mit den anderen beiden vermutlich schon am nächsten All Them Witches-Album, denn:
    "There's always something to do."
    Musik: "Am I going up?"