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Neues Album von Christiane Rösinger
"Ich bin doch nicht Bono"

Ein Lied über ihre Arbeit als Deutschlehrerin für Flüchtlinge findet sich auf Christiane Rösingers neuem Album nicht. "Bei so Themen wie Krieg und Vertreibung, da muss man sehr aufpassen", sagte sie im DLF. Stattdessen ließ sie sich für ihre CD "Lieder ohne Leiden" von Heinrich Heine inspirieren.

Christiane Rösinger im Corso-Gespräch mit Bernd Lechler | 18.02.2017
    Die deutsche Sängerin und Journalistin Christiane Rösinger.
    Die deutsche Sängerin und Journalistin Christiane Rösinger. (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    Bernd Lechler: "Gesanglos war ich und beklommen/ So lange Zeit - nun dicht ich wieder!/ Wie Tränen, die uns plötzlich kommen/ So kommen plötzlich auch die Lieder." Mit diesen Zeilen beginnt der erste Song auf "Lieder ohne Leiden", dem neuen Album von Christiane Rösinger: Einst bei den Lassie Singers, dann bei der Band Britta, dann solo, Songwriterin, Schriftstellerin, Ikone des deutschen Indie-Rock; 54 Jahre alt, gebürtig aus dem Badischen, längst aber Kreuzberger Institution mit trockenem Humor und Hang zur Melancholie und berüchtigt illusionslosem Blick auf die Liebe. Das neue Album erscheint nächsten Freitag, es ist das erste seit sechs Jahren - und beim Corso-Gespräch in ihrer recht studentisch eingerichteten Wohnung mussten wir natürlich zuerst die zitierten Zeilen klären, denn die sind eigentlich - von Heinrich Heine.
    Christiane Rösinger: Ich wollte einfach Lieder schreiben, die, wie immer, was bedeuten. Und dann hatte ich das Gefühl, es sind jetzt aber auch alle Themen abgearbeitet. Man kann natürlich über ein unglückliches Liebeserlebnis, man kann zehn Lieder über schlimme fünf Minuten schreiben, aber das hatte ich ja auf der letzten Platte schon. Und ich hatte jetzt Gentrifrikation besungen, das Lob der stumpfen Arbeit, auch ein bisschen Liebesleid, älter werden, Feminismus. Und dann irgendwie war alles erzählt und es fehlte noch ein Lied. Manchmal blättere ich so zur Inspiration im Heine Buch der Lieder und dann fiel mir das auf und da dachte ich, das könnte ja von mir sein und dann hab ich es einfach genommen.
    Lechler: Worin besteht denn die Seelenverwandtschaft?
    Rösinger: Heinrich Heine hat so eine Art, sich in das eigene Leid reinzusteigern. Also vor allem in seinen Liebesgedichten, es ist immer sehr übertrieben und 'mein dunkles Herz, es liebt dich und es bricht und es bricht und zuckt und verblutet', ja, und dann gibt es aber immer so eine ironische Wendung am Schluss. Er sieht das Lächerliche und sagt auch, aus den großen Schmerzen mache ich die kleinen Lieder. Da erkenne ich mich wieder, in dieser Ironie, die bei ihm aber auch immer Gesellschaftskritik ist. Also ich glaube, er war auch ein großer Melancholiker, also es gibt einige Bezugspunkte.
    "Leiden auf hohem Niveau"
    Lechler: Melancholie ist ein gutes Stichwort. Denn es sind ja keine "Lieder ohne Leiden" geworden, wie der Albumtitel sagt. Stattdessen singen sie 'weil ich melancholisch bin, nehme ich das alles schwer und weil ich musikalisch bin, gibt es ein paar Lieder her'. Und das ist dann aber auch wieder zweischneidig: Lob der stumpfen Arbeit haben Sie schon angesprochen, das ist so die Sehnsucht nach einem normalen Job, wo man sich nicht dauernd was ausdenken muss. Ich kenne das auch, andererseits würde wahrscheinlich jede Supermarktkassiererin sagen, das ist Leiden auf hohem Niveau.
    Rösinger: Das stimmt auch. Ich hatte mir immer vorgestellt, so Leute wie ich bräuchten so ein Jobcocktail: Ein bisschen schreiben, ein bisschen auftreten und dann aber ein, zwei Mal die Woche einfach was Handfestes. Und es hat so lange gedauert, bis ich sowas gefunden habe, weil ich natürlich, nach dem Studium und so habe ich mich immer auf die Musik konzentriert. Habe aber nie so wirklich viel mit verdient, hätte immer noch einen Nebenjob gebraucht und irgendwann mal war es zu spät, dann wird man noch nicht mal mehr als Sekretärin genommen. Und durch die sogenannte Flüchtlingskrise habe ich mir überlegt, wenn jetzt alle Deutsch lernen wollen, ich werde jetzt Deutsch unterrichten. Ich habe ja Germanistik studiert und habe eine Zusatzausbildung gemacht.
    Das mache ich zwar erst seit zwei Jahren, aber ich muss schon sagen, ich finde es schon toll. Ich finde es auch toll, zu wissen, morgen unterrichte ich wieder von halb 9 bis eins und hinterher habe ich so und so viel Euro verdient. Das ist ein tolles Gefühl, was ich vorher noch nicht so kannte. Gleichzeitig weiß ich, wenn ich das nur machen würde, das wär auch nichts für mich. Es ist eigentlich eine sehr anstrengende Arbeit. Und, was habe ich gemacht? Ich habe angefangen, das ehrenamtlich zu machen und habe natürlich sofort ein Buch drüber geschrieben. Also es steckt auch so drin, dass ich eigentlich alles, was ich mache, irgendwie umsetzen muss.
    Lechler: Ich hätte jetzt natürlich noch angesprochen, das Buch kommt im März: " Zukunft machen wir später: Meine Deutschstunden mit Geflüchteten". Was war denn der erste Impuls? Denn Sie haben es ja nicht angefangen, um jetzt eine regelmäßige Arbeit zu haben.
    Rösinger: Es war beides. Und ich dachte einfach, ich muss irgendwas machen, ich will nicht im Alter verarmen, wie so viele andere Songwriter, Künstler. Und gleichzeitig kam dieses Flüchtlingsthema. Und so bin ich dann zu einer Initiative nach Kreuzberg gekommen und ich war da am Anfang gleich so begeistert, wobei ich mich - wie Heinrich Heine -in alles total reinsteigere, ja habe Beruf gefunden. Es macht mir mehr Spaß, als auf der Bühne zu stehen. Ich will mit dem ganzen Musikgeschäft nichts mehr zu tun haben, was sich dann auch relativiert hat. Aber ich mache es immer noch sehr gerne.
    "Sprachunterricht hat etwas sehr heiteres"
    Lechler: Was sind die schönen Erfahrungen? Was ist frustrierend?
    Rösinger: Also frustrierend ist die deutsche Grammatik, die man selber nicht richtig kapiert, obwohl man 18 Semester Germanistik studiert hat. Es ist toll, mit den Leuten umzugehen. Es ist toll, wenn man auf einmal so viele Leute aus anderen Ländern kennt. Ich hatte auch meine Bedenken: Flüchtlinge, gebrochene Menschen, bestimmt alle traumatisiert. Und Sprachunterricht hat auch was sehr heiteres, was sehr lustiges, weil jeder macht Fehler und es ist peinlich und es wird gelacht. Und dann sieht man sich jeden Tag und lernt sich kennen und dann wird das auf einmal so eine Familie, dieser Deutschkurs. Und das finde ich wirklich toll.
    Lechler: Seit Sie das angefangen haben, ist von Willkommenskultur nicht mehr so viel die Rede, die Grenzen sind wieder 'dichter' und dieses "Wir schaffen das" von Angela Merkel ist etwas eingeschränkt. Was war Ihre Lehre bei Ihrem Engagement? War es eine Überforderung?
    Rösinger: Es hat ganz viele Aspekte. Ja, es ist eine Überforderung. Man will helfen und man denkt, es ist für die Leute auch ganz wichtig und dann muss man sehen, der Deutschkurs ist nicht das wichtigste für sie, ja. Es ist zwar wichtig, wenn sie hier bleiben, dass sie Deutsch lernen, aber die haben so viele Sorgen, die sind zu 20 Leuten in einem Zimmer, die haben Angst vor Abschiebung, die haben Heimweh, alles ist fremd. Und so ein Deutschkurs funktioniert vielleicht nur, wenn alles andere schon ein bisschen sicher ist. Ja, "Wir schaffen das", dieser Satz, also ich glaube wir haben genug Ressourcen und ich glaube, wir können genug Leute aufnehmen, das glaube ich schon. Diese 'Krise' ist eine Krise der Verwaltung. Das sehe ich, das wurde nicht so gut geschafft, dass die Verwaltung mit alldem zurechtkommt.
    Indie mit Sixties-Touch
    Lechler: Interessant finde ich ja, dass Sie das jetzt zu so einem großen Teil Ihres Lebens gemacht haben, dass das aber in die Lieder gar nicht abgefärbt hat, oder? Sie haben kein Flüchtlingslied geschrieben?
    Rösinger: Nein, also ich bin ja nicht Sting oder Bono oder so. Was soll man da, nein. Also es ist sowieso schwierig, bei so Themen wie Krieg und Vertreibung und Flüchtlingsschicksal, da muss man sehr aufpassen. Und ich hab auch schon fast ein schlechtes Gewissen, weil ich diese Deutschstunden, weil ich das schon so ausgeschlachtet habe für mein Buch. Ich mache dann so ein bisschen eine Rechnung mit mir selber auf. Ich habe da auch ein Jahr gearbeitet ohne Geld und ich kümmere mich immer noch. Aber jetzt so ein Lied, Sarah kommt aus Afghanistan, ja das wäre halt lächerlich, das kann man nicht machen.
    Lechler: Dann reden wir doch statt den Texten auch mal von der Musik. Die ist so ein bisschen opulenter, würde ich sagen, als beim letzten Album. Es ist schon so eine Indie-Zauseligkeit noch dabei, die zu Ihnen auch irgendwie gehört, aber auch so ein bisschen orchestrale Sechziger und Saxofone. Was war der Plan?
    Rösinger: Ich hatte inhaltlich genug von der Schwere. Ja, jetzt muss mal Schluss sein, jetzt muss mal so ein bisschen Heiterkeit reinkommen. Andreas Spechtel, der mir bei der Musik hilft und der auch alles arrangiert, der hatte die Idee, so ein bisschen Sixties-Touch, Sixties-Swing reinzubringen, weil das ja auch mit meiner Geschichte mit Lassie Singers und so weiter zu tun hat.
    Gute Zusammenarbeit ist wichtig
    Lechler: Mit Andreas Spechtel hatten Sie auch das letzte Album schon gemacht. Wieso ist der so ein gut passender Partner?
    Rösinger: Er ist jung und talentiert. Nein, es ist ein Glücksfall würde ich mal sagen. Und es ist ja ganz selten, dass man jemanden findet, mit dem man gut zusammenarbeiten kann. Es kommt wirklich nicht so oft vor. Musikalisch, am Instrument dilettantisch bin ich selber. Deswegen war es für mich wichtig, jemanden zu haben, der mich versteht, der sehr geschmackvoll ist und der auch sehr handwerklich sehr gut und sehr musikalisch ist. Und der Andreas, der hat auf der Platte alles selber gespielt - Schlagzeug, Gitarre, Klavier. Und er hat einen sehr guten Geschmack, ohne in dieses zu gefällige abzurutschen, das finde ich sehr gut.
    Lechler: Dass er jung ist, also fast eine Generation jünger ist als Sie könnte man sagen, wie schlägt sich das nieder?
    Rösinger: Ich glaube, es ist genauso, wie wenn man eine andere Arbeit hat. Also wenn man Kollegen hat und was arbeitet, dann denkt man doch nicht ständig daran, dass die 20 Jahre jünger sind. Außerdem ist es gut, weil die jungen Leute noch besser tragen können. Wenn ich jetzt lauter Leute in meinem Alter hätte, die hätten dann schon Rücken, können nichts mehr trinken, müssen früh ins Bett. Das geht nicht, es müssen auch ein paar junge dabei sein.
    "Stolz ist auch schon da"
    Lechler: In der Popmusik ist es ja auch verboten, älter zu werden. Wobei von Ihnen da niemand erwartet oder verlangt, dass Sie abtreten. Ich weiß noch, beim letzten Album waren Sie gleich auf dem Titel vom Missy Magazine, so als Vorbild und Leitfigur auch für eine junge Generation engagierter und emanzipierter Frauen. Und in Artikeln über Sie fällt gerne mal so ein Wort wie Institution. Was für ein Gefühl gibt Ihnen das, auch Vorbild zu sein? Haben Sie Stolz auf was geleistetes?
    Rösinger: Also Stolz ist schon auch da. Weil eigentlich habe ich das, was ich gemacht habe, also auch bei Lassie Singers und auch bei den anderen Bands und so, immer als was gesehen, was ich halt unbedingt machen wollte und ich wollte halt immer Sängerin werden schon seit ich vier bin. Ich habe das auch immer so als Möglichkeit gesehen, nicht so normal arbeiten gehen zu müssen. Also es war aber auch so, dass immer andere, meistens Männer, dann schon mehr Erfolg hatten, mehr finanziellen Erfolg. Also ich war zwar auf dem Titel der Missy, aber ich habe es nie auf den Titel von Männer-Musikmagazinen geschafft, ja also in 25 Jahren nicht.
    Aber es gab wirklich unglaublich viele Frauen, die auf mich zugekommen sind und mir gesagt haben, dass sie wie ich, in irgendeinem Kaff gesessen sind und gedacht haben, ich komme hier nie raus und ich bin anders als die anderen und ich gehöre hier nicht hin, also dass es ihnen so einen Mut gemacht hat. Und das finde ich schon toll, muss ich ehrlich sagen. Weil eigentlich, ich glaube ja so an Lieder und an Songs und mehr kann man ja eigentlich gar nicht erreichen mit so einem Song. Und da bin ich schon glücklich, dass ich das hatte und andererseits sehe ich mich selber natürlich, wie alle anderen Leute auch oder wie viele Musiker, schon eher so als problematisch an. Also man ist halt selber immer voller Zweifel. Und das läuft so ein bisschen dem entgegen, dass ich jetzt ein Vorbild sein soll. Aber wenn ich eins sein soll, so werde ich es versuchen, eins zu sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.