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Neues Album von Die Regierung
Songwriter werden, um etwas zu verarbeiten

Drei Traumata hat Tilman Rossmy, Sänger der Band Die Regierung, auf dem neuen Album musikalisch verarbeitet: Eine kindliche Unglücksphase, eine Trennung, einen Psychiatrie-Aufenthalt. Dennoch sind die vielfach biographischen Songs über Liebe, Leben und Dämonen von melancholischer Heiterkeit geprägt.

Von Anja Buchmann | 23.03.2019
Tilman Rossmy und Die Regierung
Ein Psychatrie-Aufenthalt war für Tilmann Rossmy der Grund Songwriter zu werden (Christoph Voy / Staatsakt)
"Mir geht das immer auf den Geist, wenn wieder jemand ankommt und sagt: Ich wusste, dass ich das nicht tun sollte, aber ich habe es trotzdem gemacht. Das kann er seinem Friseur erzählen."
"Ich weiß ganz genau was gut für mich ist. Und ich weiß ganz genau, dass ich es immer wieder vergess" singt Tilman Rossmy mit seiner gewohnt nuschelnd-nöhligen Stimme. Eine Binsenweisheit, die er in diversen Therapiesituationen immer wieder gehört hat. Und über die er eigentlich gar keinen Song schreiben wollte. Hat er aber. Denn: Themen, die man ablehnt kommen dann doch zu einem zurück. Außerdem hat er sich überlegt, warum manches erst zu bestimmten Zeitpunkten im Leben geschieht.
"Jetzt bin ich ja Softwareentwickler und verdiene ganz gutes Geld. Und dann war ich ja eigentlich stolz darauf, dass das Leben der Meinung ist, dass ich damit umgehen kann. Ich wusste, dass es früher, als ich noch kein Geld verdient habe, dass ich das schlecht eingesetzt hätte."
Die Psychiatrie als Wegbereiter
Tilman Rossmy, aufgewachsen in Essen, Anfang der 90er mit Bands wie "Kolossale Jugend" oder "Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs" in Hamburg abgehangen, seit zehn Jahren in Bern, wo er fürs Schweizer Radio und Fernsehen arbeitet, als Sofwareentwickler. Das ist sein Beruf, die Musik sei seine Berufung. Und der ist er immer treu geblieben, auch wenn "Die Regierung" vor dem letzten Album lange pausiert hat und heute neben Rossmy nur noch Bassist Robert Lipinsky von der Originalbesetzung dabei ist. Musik hatte für Rossmy von Beginn an eine besondere Bedeutung, was mit einer sehr schlechten Phase inklusive "Stimmen hören" und einem Psychiatrie-Aufenthalt zu tun hat.
"Diese Psychiatrie-Sache, das ist überhaupt der Grund für mich, warum ich Songwriter geworden bin, weil ich musste das irgendwie verarbeiten. Und ich habe gemerkt, reden ist vollkommen ungeeignet, weil die Leute immer so erfrieren und sich von einem abwenden. Da habe ich schon eine ganze Menge Songs drüber gemacht, über das was mit mir passiert ist, aber ich habe es glaube ich noch nie so explizit angesprochen."
"Geschichte", ein Stück über eine dunkle Zeit von Tilman Rossmy: Ruhig erzählt, begleitet von dezenten Gitarren-, Bass- und Keyboard-Harmonien, über einem entspannt rollenden Schlagzeug-Beat. Eines der Traumata, die der Musiker auf seinem Album musikalisch bearbeitet – ein weiteres bezieht sich auf die Trennung von einer Lebensgefährtin kurz vor der Geburt ihrer ersten Tochter.
Gedanken als Futter für Dämonen
Tilman Rossmy ist inzwischen 60 und glänzt auf "Was" wie schon auf dem letzten Album mit scheinbar unprätentiösen, nebenbei erzählten Beobachtungen über sein Leben, verpackt in großenteils midtempo-Songs zwischen ruhigem Rock, Rhythm'n'Blues und leichten Krautrock-Erinnerungen. So singt er etwa von Dämonen und Gedanken - und erklärt, dass er dieses Bild von "Gedanken als Futter für Dämonen" mit einer Szene aus dem Film "Matrix" verbindet, die ihn an sich selbst erinnere.
"Und zwar ist da dieser Typ, der lernt, dass das alles was er isst, also sein Steak, nur eine Illusion ist und der sich aber entscheidet, das dann weiter zu essen. So ging mir das auch so ein bisschen mit Fußball oder überhaupt mit Entertainment. Du weißt, was dahinter steckt. Aber du machst es trotzdem irgendwie weiter."
In diesem Fall macht er es nicht weiter – Tilman Rossmy, der große Rot-Weiss Essen-Fan, hat sich tatsächlich eine Fußball-Abstinenz verordnet. Keine Abhängigkeit mehr vom Dämon "Entertainment". Und er sei dadurch ruhiger und gelassener geworden, sagt er.
"Man wird immer mehr so wie man ist. Das ist das Ziel, so sein wie du bist, dich nicht zu verändern, sondern so zu werden wie du bist. Das ist mein Ziel."