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Neues Album von Gemma Ray
Pop-Noir-Blüten dank Panikattacke

Klassischer Geheimtipp und ein Multitalent: Die britische Musikerin Gemma Ray veröffentlicht schon ihr achtes Album. Der große Erfolg blieb bisher aus. Dennoch taucht ihre Musik immer wieder auf in Serien, Filmen und Dokumentationen. Die neue Platte ist eine persönliche Hommage an die Beach Boys.

Von Jenni Zylka | 16.02.2019
    Gemma Ray 2019
    Gemma Ray begleitet sich selbst nicht nur an sämtlichen Saiteninstrumenten, sondern ist sich auch ihr eigener Backgroundchor (Alessandra Leimer)
    Dass dieses Lied ausgerechnet aus einer Panikattacke heraus entstanden ist, die Gemma Ray einst im Taxi ereilte, hört man ihm, jedenfalls rein musikalisch, nicht an: "Blossom Crawls" - das Eingangsstück auf dem achten Album der Musikerin, "Psychogeology" - ist ein vorsichtig hoffnungsvolles, mit duftigem Retro-Feeling ausgestattetes Songerlebnis.
    Multitalent Gemma Ray begleitet sich selbst nicht nur an sämtlichen Saiteninstrumenten, sondern ist sich auch ihr eigener Backgroundchor. Vielleicht hat die 39-Jährige ihre Dämonen auf ihrer neuen Platte einfach mutig und mit multiplen Stimmen weggesungen.
    Schreiben auf der Durchreise
    "Psychogeology bedeutet für mich, sich beim Reisen auch von innen zu erkunden. Und dabei all diese verschiedenen Landschaften zu erleben, die man aus dem Flugzeug oder bei einer Autofahrt durch die Alpen sieht. Als ich das Album fast fertig hatte, merkte ich, dass meine Songs das Thema 'Schreiben auf der Durchreise' mit dem persönlichen Entwickeln, der inneren Reise verbinden. Gefühle und Landschaften können sich eben gegenseitig spiegeln."
    Ja, dreaming is easy – aber so versponnen und träumerisch-leicht Gemmas Sound auch daherkommt, so verschachtelt sind die Songs. "Psychogeology" ist eine musikalische Wundertüte – oberflächlich betrachtet meint man, sich mit Gemma Rays Girl popartigen Backgroundchören, ihren zarten Harmonien, ihrer Vorliebe für altmodische Gitarrensounds entspannen zu können. Doch unter dieser Schicht psychedelischem Pop Noirs liegen kluge, moderne und feinnervige Beschreibungen von persönlichen und professionellen Zuständen. Die von der Schöpferin genau analysiert wurde: "Wenn ich merke, dass es um Gefühle geht, die allgemein verständlich sind, die genereller als meine eigenen Erfahrungen sind, dann ist das okay für mich, sie zu zeigen."
    Hommage an die Beach Boys
    Die Wahlberlinerin, die auch ihre neue Platte wieder in den legendären Candy Bomber Studios im ehemaligen Flughafen Berlin Tempelhof aufnahm, war bereits als Opening Act mit der Jon Spencer Blues Explosion auf Tour. Sie kollaborierte mit den Sparks und Alan Vega und legte die cineastische Atmosphäre ihrer breit gefächerten Songs nie ganz ab – immer wieder taucht Gemmas Musik in Serien, Filmen und Dokumentationen auf. Das orchestrale Element, das sich auch auf Psychogeology mit synthetischen Streicher- und Bläserarrangements sanft seinen Weg bahnt, ist für Gemma eine altbekannte Leidenschaft. Und eine kleine Hommage – an die Beach Boys.
    "Ich hatte immer das Unmögliche im Kopf – 'Pet Sounds'. Ich liebe, wie diese Platte ... ach, jeder liebt diese Platte. Ich liebe diese nie zu deutlichen Klassikhinweise, die man dabei bekommt. Doch ich hatte eben nie das Geld, um richtig durchzudrehen. Ich mag es, wenn die gesamte Streichersektion eines großen Orchesters das Gleiche spielt, so etwas wollte ich, und dabei bleibt auch mehr Platz für den Mix."
    Seit Jahren arbeitet Gemma Ray mit ihrem musikalischen und Lebenspartner Andy Zammit zusammen, auf dessen Label Bronzerat ihre Musik erscheint und der bei ihren Songs Schlagzeug spielt – nicht zu wenig, nicht zu viel, aber doch mit genau dem richtigen Gefühl. Und einem liebevoll-realistischen Blick auf die Musik.
    Keine eindeutige Schublade
    Andy Zammit: "Ich glaube mein Lieblingslied ist 'In Colour', weil es einfach Gemma ist. 'In Colour' klingt hundertprozentig nach Dir, ohne irgendwelche äußeren Einflüsse. Aber es gibt immer dieses Problem mit Gemma, sie ist zu klassisch für 'Modern Pop', zu sehr Pop für die Indie-Polizei oder die Alternative-Polizei, sie hat zu viel Soul. Ich weiß auch nicht, was meinst Du? Hilfe!"
    Musik nicht einordnen, in keine Schublade stopfen zu können, ist eindeutig ein Qualitätsmerkmal. Gemma Rays Songs auf "Psychogeology" sind trotz einer spürbar kollektiven Sehnsucht weit weg vom Mainstream. Und das soll auch so bleiben. Gemma Ray bildet ihre ganz eigene, sehr atmosphärische Nische. In der man gern und möglichst lange verweilt.