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Neues aus der Clubkultur
Techno zur Peak Time

Was geht in Sachen Techno und House und Electro? Einiges! Ukrainische Extrem-Fighterinnen veröffentlichen nicht ganz so extreme Musik und ein DJ remixt Billie Eilish und versucht dadurch selbst zum Star zu werden. Einblicke in die Clubkultur, wie man sie nicht überall bekommt!

Von Martin Böttcher | 29.02.2020
Eine Schallplatte auf einem Plattenspieler.
"Vinyl Only" DJs gibt es zwar noch immer, das Auflegen mit digitalen Musikformaten wird jedoch immer omnipräsenter (Unsplash.com/Lee Campbell)
Clubkultur, das ist schon eher was Urbanes, oder? Gehen wir also in die Techno-Hauptstadt Deutschlands, ach, was sag ich, der Welt, nach Berlin! Da setzte sich dieser Tage ein Trend fort: die Clubmusik, die Musikerinnen und Musiker, die der seelenlosen Maschinenmusik verfallen sind, suchen Anschluss an die Hochkultur! Technoproduzent und DJ Stefan Goldmann etwa hat sich und dann seine Kolleginnen und Kollegen auf die hochheilige Berliner Philharmonie losgelassen - im Zuge des erstmals veranstalteten "Strom"-Festivals.
Ordentlicher Wumms
Das hatte schon ordentlicher Wumms, was zum Beispiel das Techno-Poster-Girl Nina Kraviz auf die edlen Holzpanele der Philharmonie prasseln ließ.
Die in Berlin lebende englische Produzentin Emika versuchte woanders ihr Electro-Glück – im Berliner Planetarium. Elektronische Neoklassik unterm Sternenhimmel, wenn man so will, um ihr neues Album "Klavirni Temna" vorzustellen.
"Diese Welt vom Planetarium, das ist so speziell! Also, alle können sitzen und bisschen zurücklehnen, es ist dunkel, es ist ein bisschen schnuckelig. Diese Technologie, was die drin haben, ist so teuer, so hochwertig, das gibt es nirgendwo auf der Erde. Die kommen nicht bei YouTube oder so, das ist ne super Erfahrung, was man da drin hatte!"
Schweifen wir mal kurz ab. Beziehungsweise gehen zurück zum Wesentlichen. Gerade hatte ich Post im elektronischen Briefkasten: "Matuss, die ehemalige ukrainische Käfig-Kämpferin, hieß es da, DJ und Mitbesitzerin eines Vinyl-Only-Plattenlabels bringt neue Musik heraus. Hast du Interesse?" Ehemalige ukrainische Käfigkämpferin? Natürlich habe ich Interesse! Und Sie doch jetzt sicher auch, oder? Also:
Hm, irgendwie hatte ich mir das ... käfigkämpferischer vorgestellt! Ob hier was verwechselt wurde? Nee, Matuss. "Seizure No 13" EP. Anfall Nummer 13. Nun gut.
Die Begeisterung hielt sich in Grenzen
In was für Genre-Schubladen solche Musik wohl gesteckt wird? Könnte man zum Beispiel bei Beatport nachsehen. Beatport ist für viele DJs, die nicht "Vinyl Only" auflegen, sondern mit mp3- und wav-Audiodateien ihr Publikum unterhalten, Anlaufstelle Nummer Eins. Bei Beatport verkaufen sie alles, von Afro House bis hin zu Trap. Am meisten aber verkaufen sie "Techno". Und weil Techno nicht gleich Techno ist, habe sie bei Beatport gerade die Genre-Kategorien erweitert. Zu Tech House, Leftfield Techno, Melodic Techno kommen jetzt auch noch "Techno / Peak Time / Driving / Hard" und "Techno / Raw / Deep / Hypnotic". Die Aufregung bei den DJs, so viel kann ich verraten, hielt sich in Grenzen, die Begeisterung allerdings auch.
Anderes Thema und nur noch mal zur Erinnerung: Techno ist ja tatsächlich Underground-Musik. Das Business dahinter mag gewaltig sein, manche DJs haben schon lange ausgesorgt, aber Mainstream ist das alles nicht. Trotzdem tummeln sich in der elektronischen Tanzmusik auch Menschen, die vom Mainstream träumen. Frank Sonic ist so ein Mensch. Der Rheinländer ist seit Jahrzehnten als DJ unterwegs und er hat vor kurzem einen Remix veröffentlicht, der so naheliegend wie unverschämt ist: Frank Sonic hat sich einfach den derzeit größten Popstar überhaupt rausgesucht und seine Beats drübergelegt: Billie Eilish. Das klingt dann so:
Subtiler, genialer, wahnwitziger
Ist das gut oder schlecht? Ist das vielleicht auch ein bisschen einfach? Und hätte Andrew Weatherall, der gerade gestorbene englische DJ und Produzent, Erfinder des Madchester-Sounds, das nicht ganz anders, nämlich subtiler, genialer, wahnwitziger, intelligenter gemacht? Natürlich. Aber Weatherall ist ja nun tot und wird schmerzlich von der Clubszene vermisst. Vor allem von den Älteren wie mir, die jetzt wirklich mal einsehen müssen, dass auch die Rave-Generation a) nicht unsterblich ist und b) auch nicht immer jung bleiben wird.
Ganz ehrlich: mit so deprimierenden Einsichten sollte ich nicht aus dieser Kolumne entlassen werden. Und Sie auch nicht! Deshalb noch was zum Mitreden: Der DJ, der im letzten Jahr am häufigsten auf Festivals aufgelegt hat, heißt Lost Frequencies. 49 Gigs in 21 Ländern auf drei Kontinenten! Lost Frequencies. Ein Belgier. Interessant. Ich kannte den gar nicht.