Samstag, 20. April 2024

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Zum Tod von Andrew Weatherall
Ein DJ als Geschichtenerzähler

Andrew Weatherhall war eine der prägenden Figuren des britischen Pop der letzten Jahrzehnte. Gestern ist er im Alter von 56 Jahren in London gestorben. Der Produzent, Remixer, DJ agierte im Hintergrund des Pop-Geschehens und beeinflusste eine ganze Generation von Musikern.

Jenz Balzer im Gespräch mit Ulrich Biermann | 18.02.2020
DJ Andrew Weatherall vor dunklem Hintergrund am Mischpult mit Kopfhörern um den Hals. Er hält sich den einenKopfhörer an sein linkes Ohr.
Andrew Weatherall, Produzent, Remixer und DJ starb am Montag Morgen (imago images / Matrix)
"Andrew Weatherall war eine der prägenden Figuren des britischen Pop der letzten Jahrzehnte", sagte Musikkritiker Jens Balzer. Der Titel "Loaded" von Primal Scream sei das Ende des Gitarrenrock gewesen, aber auch ein neuer Anfang dafür. Primal Scream seien gerne auf Partys gegangen, hätten bunte Pillen geschluckt und hätten Andy Weatherall, der ein aufstrebender, junger Rave-DJ gewesen war, um den Remix eines ihrer älteren Songs gebeten: "I’m Losing More Than I’ll Ever Have." Am Anfang seien sie entsetzt gewesen. Jens Balzer betonte, dass es sich aber wahnsinnig gut verkauft habe, mehr als 100.000 Stück von der Single allein 1990.
Weatherhall habe weiter gemacht, mehrere Songs produziert und sei dabei immer radikaler vorgegangen. Er habe dann eine Synthese hinbekommen zwischen Tanzmusik und Rockmusik und psychedelischer Musik. Er habe, betonte Jens Balzer, eine Verbindung geschaffen, die eine ganze Generation von Musikern geprägt habe. Der gesamte britische Big-Beat sei ohne "Loaded" nicht möglich gewesen: Mechanical Brothers, New Order.
DJ, Kurator, Herausgeber
Weatherall war Jahrgang 63 und ist aufgewachsen mit Punk, Postpunk, New Wave, Industrial, hatte sein Debüt als DJ im Klub "Shoom". Der wurde - so Jens Balzer - zu einer der Geburtsstätten des britischen Acid House. Diese größte popkulturelle Umwälzung seit dem Punk sei das Ventil für die Jugend gewesen, nach zehn Jahren Margaret Thatcher. Dabei, so sagte der Kritiker, sei es vor allem darum gegangen, "die Sau raus zu lassen mit spaßmachenden Drogen".
Proletarier sei Andrew Weatherhall gewesen und habe ein Fanzine rausgebracht. Die Musik sei Subkultur, die sich eigene Räume erobert habe, mit starken politischen Komponenten. In den folgenden Jahren sei Weatherhall vor allem als DJ, aber auch als Kurator und als Herausgeber von Compilations tätig gewesen - immer elektrischer, neugierig und traditionsbewusst. Und so wie er aufgelegt habe, habe er dabei immer wieder die erstaunlichsten Querverbindungen zwischen scheinbar weit entfernten Songs, Stilen, Dekaden und Kontinenten hergestellt. Man könne vielleicht sagen, so zitierte Jens Balzer einen Dub-Techno-Produzenten, dass "Andrew Weatherhall auch als DJ ein Geschichtenerzähler war".