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Neues Buch von Abdel-Samad
Die Demontage des Propheten

Seit drei Jahren lebt Hamed Abdel-Samad unter Polizeischutz - seit einem Vortrag in Kairo über sein Buch "Der islamische Faschismus". Damals riefen religiöse Prediger und Professoren zu seiner Ermordung auf. Auch aus Deutschland gab es Morddrohungen. Jetzt ist sein neues Buch erschienen, indem der Publizist mit dem Koran abrechnet.

Von Marie Wildermann | 18.10.2016
    Hamed Abdel-Samad, deutsch-ägypischer Politologe und Autor, aufgenommen am 22.08.2013 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema: "Ägypten zwischen Glaube und Gewalt - erwartet der Westen zu viel?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden.
    Hamed Abdel-Samad, ägyptisch-deutscher Politikwissenschaftler und Publizist, wünscht sich von moderaten Muslimen und Imamen endlich eine kritische Auseinandersetzung mit dem Koran. (dpa picture alliance/ Karlheinz Schindler)
    Den Treffpunkt mit Hamed Abdel-Samad gibt der Verlag erst kurz vor dem Interview bekannt. Abdel-Samads Personenschützer sind während des gesamten Gesprächs in einigem Abstand dabei. Seine persönliche Situation dürfte sich durch das neue Buch "Der Koran" noch verschärfen. Hamed Abdel-Samad:
    "Die ersten Reaktionen gibt es schon, obwohl dieses Buch auch eine vernünftige Analyse ist, gilt es schon jetzt als Provokation, weil ich davon ausgehe, dass der Koran menschengemacht ist."
    Koran als Spiegel menschlicher Befindlichkeiten
    Denn die Verse im Koran, die sich zum Teil widersprächen, seien für ihn ein Indiz dafür, dass der Koran kein heiliger, von Gott selbst geoffenbarter Text sei, sondern ein sehr irdischer. Ein Spiegel menschlicher Befindlichkeiten und Defizite.
    Abdel-Samad gibt in seinem Buch "Der Koran" zunächst einen Überblick über die Entstehungsgeschichte und das, was heute allgemeiner Konsens ist. In einem Abgleich der Koransuren mit Mohammeds biographischen Stationen stellt er dann fest, dass der Prophet immer genau das verkündet habe, was ihm in seiner jeweiligen Lebenssituation dienlich war.
    Mohammed: in Mekka Religionsstifter, in Medina Armeeführer
    In Mekka, wo Religionsstifter Mohammed noch schwach und seine Gemeinde klein war, und er noch nicht über eine Armee verfügte, habe er Toleranz, Nächstenliebe und Vergebung verkündet:
    "Und in Medina gab’s eine Armee, gab’s viele Kriege, die Gemeinde Mohammeds lebte auch teilweise von diesen Kriegen, und deshalb gab’s andere Töne, die den Krieg verherrlicht haben, die den Hass gegen Ungläubige, Juden und Christen zu einer heiligen Mission erhoben haben, Passagen, die den Krieg sogar zu einem Gottesdienst mystifiziert haben."
    Wenn man den historischen Kontext und die Lebenssituation des Propheten berücksichtige, würden selbst Koranverse, die scheinbar friedlich und harmonisch gemeint seien, anderes preisgeben, zum Beispiel:
    "'Wenn sie, die Ungläubigen, zum Frieden neigen, dann sei ihm auch du zugeneigt oder schließ mit ihnen Frieden ab.' Das verstehen viele Muslime als einen Aufruf zum Frieden, Imame und Dialog-Profis. Aber es gibt eine spätere Passage, die sagt: 'Und rufe nicht zum Frieden auf, wenn du die obere Hand hast.'
    Das ist ein klarer Beweis, dass es sich hier nicht um allgemeine Prinzipien von Frieden und Krieg handelt, sondern nur um strategische Optionen. Das zeigt die menschliche Dimension, das ist Pragmatismus, teilweise sogar Machiavellismus."
    Zweifel unerwünscht
    Um die Macht zu behalten und auszudehnen, sei Mohammed jedes Mittel recht gewesen, so Hamed Abdel-Samad. Er habe Gesetze und Moral verändert und sie als Gesetze Allahs ausgegeben. Denn das garantierte die Gefolgschaft. Denn wer kann schon Gott widersprechen? Ein Dilemma, das den Islam bis heute begleite. Unter der Prämisse, dass es Gott selbst sei, der keine Fragen dulde und keinen Zweifel zulasse, könne sich keine Kultur des kritischen Denkens entwickeln.
    Der Politologe Hamed Abdel-Samad
    Die Bestimmungen, die Mohammed für seine Gemeinde erlassen habe, seien für die heutige Welt nicht mehr brauchbar, meint der Politologe Hamed Abdel-Samad. (dpa / picture-alliance / Inga Kjer)
    Das werde sich erst ändern, wenn die Koransuren nicht mehr als heilige, von Gott gegebene Texte betrachtet würden, sagt Abdel-Samad. Auch Sprache und Wortwahl mancher Koransuren seien schwer vereinbar mit Gott, dem Schöpfer des Universums:
    "Sie spotten dich. Gott spottet dich. Wie spottet Gott eigentlich?"
    Mohammed - kein Vorbild für die Menschen des 21. Jahrhunderts
    Die Bestimmungen, die Mohammed für seine Gemeinde erlassen habe, seien für die heutige Welt nicht mehr brauchbar. Auch auf politischer und juristischer Ebene - Gesetze und Verbote zu Krieg und Frieden etwa, zum Erbrecht, zur Rolle der Frau, zur Sexualität - könnte Mohammed kein Vorbild für die Menschen des 21. Jahrhunderts sein:
    "Jemand, der von Kriegen gelebt hatte, jemand, der Frauen als Kriegsbeute missbraucht hatte, auf seine Freunde verteilt hatte, jemand, der Kinderehen eingegangen war, viele Frauen gleichzeitig geheiratet hatte, jemand, der laut seiner offiziellen Biografie Hunderte von Juden an einem Tag enthaupten ließ, die ihm ergeben waren, das ist nach unseren Kriterien heute ein Kriegsverbrechen."
    Abdel-Samad demontiert Koran und den Propheten
    Über gut 200 Seiten arbeitet das Buch von Hamed Abdel-Samad an der Demontage Mohammeds und des Korans. Auf viele Muslime wirkt das bedrohlich, andere finden, eine historisch-kritische Analyse sei Grundlage für eine Erneuerung.
    Das, was Abdel-Samad vom Propheten übrig lässt, ist wenig: dass Mohammed ein Dichter war; dass er sich für soziale Gerechtigkeit eingesetzt hat:
    "Die menschliche Dimension. Das ist eine Würdigung. Das Buch fasst nicht nur diese Protokolle zusammen, sondern auch die Sehnsüchte dieser Menschen nach Erfüllung, nach Gott, nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit."
    Doch reicht das, um den historischen Titel Mohammeds als Propheten zu verteidigen?
    6,6 Millionen Zuschauer im Internet
    Natürlich wird Hamed Abdel-Samad auch nach diesem Buch mit Drohungen und Hasskommentaren überhäuft werden. Was ihn positiv stimme, seien die Reaktionen, die er auf seine arabischen Video-Veröffentlichungen im Internet erhalte.
    6,6 Millionen vor allem junge Menschen aus der arabischen Welt hätten seine Videos bis heute gesehen, es werde lebhaft diskutiert und kommentiert und viele Menschen würden seine Kritik teilen. Er spüre bei der neuen Generation in der arabischen Welt den starken Wunsch, sich kritisch mit der eigenen Tradition auseinanderzusetzen, etwas, was er sich auch von muslimischen Funktionären und Verbänden wünsche:
    "Ich erwarte von moderaten Muslimen, von moderaten Imamen, endlich mal, dass irgendjemand sagt: Es gibt bestimmte Passagen im Koran, die keine Gültigkeit mehr heute haben sollten, die gefährlich sind."

    Hamed Abdel-Samad: "Der Koran. Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses."
    Droemer Knaur Verlag, München 2016.240 Seiten, 19,99 Euro.