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Neues Datenspeicher-Konzept
Schiebepuzzle mit Atomen

Jeden Tag werden auf der Welt riesige digitale Datenmengen erzeugt, die irgendwo gespeichert werden müssen. Die heutige Festplattentechnologie stößt dabei allmählich an ihre Grenzen. Deshalb braucht es neue Techniken. Niederländische Physiker präsentierten jetzt eine Nanotechnik, die nach dem Prinzip des Schiebepuzzles funktioniert.

Von Frank Grotelüschen | 19.07.2016
    STM -Scan (96 nm breit, 126 nm groß) des 1-KB-Speichers, auf dem ein Abschnitt von Richard Feynmans 1959 gehaltenen berühmten Vortrag "There’s Plenty of Room at the Bottom" gespeichert ist; mit entsprechender Beschriftung.
    STM-Scan (96 nm breit, 126 nm) eines 1-KB-Speichers. (TU Delft)
    "Auf einer Festplatte werden Daten gespeichert, indem man winzige Bereiche auf der Platte magnetisiert. Bei den derzeit besten Geräten bestehen diese Bereiche aus einigen 10.000 oder sogar 100.000 Atomen."
    100.000 Atome für ein einziges Bit - damit wollte sich Sander Otte nicht zufriedengeben. Doch statt die Speicherdichte schrittweise zu steigern, dachte der Physiker der TU Delft gleich an den ganz großen Wurf: Er nahm sich vor, ein Bit in einem einzelnen Atom unterzubringen. Das Rezept dafür klingt gar nicht mal so kompliziert: Man dampfe eine Prise Chlor auf eine glatte, regelmäßige Kupferoberfläche auf, erklärt Sander Otte:
    "Die Chloratome binden an das Kupfer und bilden ein schönes quadratisches Muster. Allerdings haben wir beim Aufdampfen bewusst nicht die gesamte Kupferoberfläche mit Chlor bedeckt. Dazwischen blieben quadratische Lücken. Genau diese Lücken nutzen wir zur Datenspeicherung, und zwar wie bei einem Schiebepuzzle, bei dem man eine Lücke hin- und herschiebt."
    500-mal mehr Speicherdichte als bei heutigen Festplatten
    Beim Schiebepuzzle agiert man mit den Fingern. In der Nanowelt braucht es die extrem feine Spitze eines Rastertunnelmikroskops, um ein Chloratom präzise auf der Kupferoberfläche zu verschieben. Damit lassen sich die Bits, die digitalen Informationen, schreiben: Sitzt ein Chloratom unterhalb einer Lücke, ist das eine digitale Null. Ist das Chlor oben und die Lücke unten, meint das die digitale Eins. Mit dieser Masche konnten Otte und sein Team Tausende von Bits neben- und übereinanderschreiben. Das Ergebnis ist ein Muster im Nanomaßstab, das an jenen Barcode erinnert, den man per Handy von Plakaten oder aus Zeitschriften abscannen kann. Will man die Information dann lesen, lässt man die Mikroskopspitze das Muster abtasten, ohne die Chloratome zu verschieben.
    "Wir haben eine Speicherdichte von 500 Terabit pro Quadratzoll erreicht - 500-mal mehr als bei den heutigen Festplatten. Anders formuliert: Auf einer Fläche von 100 mal 100 Nanometern haben wir einen Text mit 1000 Buchstaben untergebracht. Auf derselben Fläche speichert eine Festplatte gerade mal zwei Buchstaben."
    In einem Video erklären die Forscher ihre Technik:
    Ein enormes Speichervermögen - theoretisch würde der Inhalt eines Staatsarchivs auf einem einzigen Krümelchen Platz finden. Das Prinzip funktioniert, das haben Sander Otte und seine Leute nun bewiesen. Allerdings hat die Sache noch mehrere Haken:
    "Das funktioniert nur bei tiefen Temperaturen, bei etwa minus 200 Grad Celsius. Das hört sich zwar extrem kalt an, lässt sich aber mit der heutigen Stickstoff-Kühltechnik relativ einfach erreichen."
    "Das Schreiben und Lesen ist noch extrem langsam"
    Bislang müssen Nanoforscher, die mit einzelnen Atomen hantieren, ihre Systeme in der Regel mit Flüssighelium kühlen, bis auf minus 270 Grad Celsius. Nur dann halten die Atome wirklich still. Dagegen bleiben die Chloratome aus Delft bereits bei Stickstoffkühlung brav auf ihren Plätzen - und können die gespeicherten Bits stabil halten. Doch da wäre noch ein weiteres Problem, schildert Otte:
    "Das Schreiben und Lesen ist im Moment noch extrem langsam: Es dauert eine Stunde, um ein einziges Kilobyte auszulesen. Doch ich sehe keinen Grund, warum man das nicht auch viel schneller machen könnte. Es handelt sich ja nur um eine Nadel, die eine Oberfläche abscannt, also etwas Ähnliches wie der Lesekopf einer Festplatte. Aber in der Tat: Das ist noch eine große Herausforderung für die Industrie."
    Weshalb es noch Jahre dauern dürfte, bis das Nano-Schiebepuzzle als Datenspeicher infrage kommt. Für Smartphone und Laptop allerdings dürfte es wohl weniger taugen, meint Sander Otte. Dafür ist die Kühlung mit Stickstoff zu aufwändig. Interessant könnte die Technik aber für die Betreiber riesiger Rechnerfarmen sein, für Unternehmen wie Google. Hier dürfte sich der Aufwand für die Stickstoffkühlung mehr als lohnen, denn:
    "Im Prinzip könnte man alle Daten der Menschheit in einem einzigen Rechenzentrum speichern."