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Neues europäisches Abkommen zu Fußballfans
Unbehagen angesichts von möglichem Datenaustausch mit Autokratien

In Zukunft sollen bei europäischen Fußballspielen einheitliche Regeln für Fans angewendet werden. Möglich macht dies ein Abkommen des Europarats. Das führt allerdings auch dazu, dass Daten von Fußballfans mit den Mitgliedsstaaten ausgetauscht werden. Darunter sind auch autokratische Staaten.

Von Thorsten Poppe | 11.07.2021
Innenansicht eines vol besetzten Stadions mit Fans
Internationale Fußballspiele sollen einheitlicher, sicherer und angenehmer für die Fans werden (picture alliance / empics | Phil Noble)
Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Text mit den Aussagen des Bundesinnenministeriums aktualisiert.
"Menschenrechte fördern." Das ist das Hauptziel des Europarats. Er hat 47 Mitgliedstaaten, von denen 27 Mitglieder der Europäischen Union sind. Darunter sind aber auch autokratische Staaten. Ein Übereinkommen dieses Europarates zu Sportveranstaltungen hat nun das Ziel, zum Beispiel internationale Fußballspiele einheitlicher, sicherer und angenehmer für die Fans zu gestalten.
Auch die Football Supporters Europe FSE hat daran mitgewirkt, wie Martin Endemann erklärt. Er arbeitet bei dem unabhängigen Netzwerk von Fußballfans aus fast 50 europäischen Ländern: "Wir waren auch in der Lage, unseren Input und Kommentare zur Konvention zu liefern: Zuschauer nicht ausschließlich als Problem zu sehen, sondern eben als Gäste. Um die sich auch wirklich im Stadion gekümmert werden sollte. Deswegen stehen da auch einige Sachen in der Konvention drin, die sehr gut, und sehr fanfreundlich sind."
Unter anderem soll es vor dem Spiel einen lösungsorientierten Dialog mit Fanvertretern geben. Darüber hinaus soll die Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten ausgebaut werden.

Deutschland ist dem Abkommen erst kürzlich beigetreten

Um dem Abkommen beitreten zu können, hat die Bundesrepublik Deutschland im April ein Gesetz verabschiedet. Die dazugehörige Diskussion im Bundestag hat sich vor allem darauf fokussiert, dass auch Daten von Fans mit den Mitgliedsstaaten ausgetauscht werden sollen.
"Im Europarat sitzen aber auch Drittstaaten wie Russland, Türkei, Kasachstan, und Aserbaidschan. Und diese Länder haben oftmals ein anderes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit", betont die sportpolitische Sprecherin der FDP, Britta Dassler, in der damaligen Bundestags-Debatte: "Mit anderen Worten: Wenn ein Austausch personenbezogener Daten unter Vertragsstaaten stattfindet, müssen vorher klare Regelungen her, wie und in welchem Ausmaß Daten gesammelt und auch übermittelt werden."
Im dazu gehörigen Gesetz findet sich dazu wenig. In jedem Partnerland sollen entsprechende Nationale Fußballinformationsstellen gegründet werden, über die dann Personendaten getauscht werden sollen. Wörtlich heißt es in dem Gesetz: "Die nationale Fußballinformationsstelle tauscht im Einklang mit den anwendbaren internen und internationalen Regeln personenbezogene Daten aus."
Was dies genau bedeutet, fragen wir beim zuständigen Bundesinnenministerium nach. Unsere Anfrage bleibt zunächst unbeantwortet.
Erst nach Ausstrahlung des Beitrags schreibt das BMI, dass für die Übermittlung von personenbezogenen Daten grundsätzlich die "Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze" (ZIS) zuständig sei, die beim Landesamt für Polizeiliche Dienste in NRW angesiedelt ist. Denn die ZIS betreibt die Datei "Gewalttäter Sport", eine umstrittene Datensammlung über Aktivitäten und Straftaten rund um Sportveranstaltungen.

Datenübermittlungen in autrokratische Staaten haben schon stattgefunden

Etwas weniger als 8.000 Personen sind in dieser Datei gespeichert. Mehr als 3.000 Personen sind wegen Landfriedensbruch in die Datei aufgenommen geworden, es reicht aber auch schon, wenn die Polizei im Umfeld von Fußballspielen die Personalien festgestellt hat. Deshalb haben mehr als ein Drittel der Einträge nicht direkt mit physischer Gewalt zu tun.
Nicht nur deshalb ist die Datei seit Jahren in der Diskussion. So sind in der Zeit der Geisterspiele mehr als 1.000 Personen neu in der Datei gespeichert worden, obwohl überhaupt keine Fans in die Stadien durften. Das hatte zu einer erneuten Diskussion über eine Reform geführt. Ein entsprechender Antrag der FDP-Fraktion ist allerdings gerade mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, und der AfD abgelehnt worden.
Martin Endemann von Football Supporters Europe verweist darauf, dass Datenübermittlungen aus dieser Datei in autokratische Staaten schon stattgefunden haben. "Das haben ja schon Fußballfans, z.B. bei der WM in Russland gespürt. Wo 37 Datensätze von Fußballfans, die in der Gewalttäter-Datei "Sport" waren, an die russischen Behörden übermittelt worden sind. Und diese Fans dann vor erheblichen Problemen in Russland standen. Wir hatten damals Kontakt zu mehreren Fans, die dann zwar nach Russland einreisen konnten, dort aber die Fan-IDs entzogen bekommen haben, und ab dem Moment illegal waren. Und illegal in einem Land wie Russland zu sein, kann natürlich zu erheblichen Problemen führen."

Bundespolizei will Daten nicht mehr übermitteln

Später hat sich noch herausgestellt, dass von diesen 37 Fußballfans nur einer jemals rechtskräftig verurteilt gewesen ist. Alle anderen dagegen nicht. Die Daten übermittelt hatte die Bundespolizei, die dafür erheblich kritisiert wurde.
Zur jetzigen EM hat sie von einer Übermittlung abgesehen und plant dies laut eigener Aussage auch nicht mehr für die Zukunft. So hat der zuständige Leiter der Informationsstelle "Sport" bei der Bundespolizei im sport inside Podcast des WDR im März dieses Jahres gesagt:
"Derzeit hat die Bundespolizei nicht vor, Daten zu übermitteln. Und gleichzeitig heißt dies, dass wir die Daten nur übermitteln mit einer entsprechenden Belehrung an den Staat. Und uns der Staat auch die Zweckmäßigkeit bestätigt, und im Fall von Russland war es eben auch so, dass die russischen Kollegen uns die Löschung der Daten nach der WM auch bestätigt hat. Schriftlich!"

Datenübermittlung bei erheblichen Gefahren möglich

Diese Aussage ist allerdings erfolgt, bevor der Bundestag das neue Gesetz verabschiedet hat. Deshalb haben wir beim Bundesinnenministerium ebenfalls nachgefragt, unter welchen konkreten Bedingungen und zu welchem Anlass eine etwaige Übermittlung überhaupt stattfinden würde. Auch hierzu erhalten wir zunächst keine Antwort.
Später schreibt das BMI, dass die Bundespolizei personenbezogene Daten an andere Staaten übermitteln könnte, um eine "erhebliche Gefahr" abzuwehren oder "Straftaten mit erheblicher Bedeutung" zu verhüten. Aber eben auch von Personen, "bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese durch die Begehung von anlassbezogenen Sicherheitsstörungen am Veranstaltungsort auffallen können".
Dies geschehe nach einer Einzelfallprüfung. Die Datenübermittlung müsste zweckgebunden sein, die Daten dürften zudem nicht an Dritte weitergegeben werden und müssten nach der Veranstaltung gelöscht werden.

UEFA und FIFA vergeben Wettbewerbe mehr und mehr an nicht demokratische Staaten

Martin Endemann von den Football Supporters Europe weist dabei vor allem auf das Problem hin, dass Verbände wie UEFA oder FIFA aktuell ihre Wettbewerbe wie EM oder WM verstärkt in nicht demokratische Staaten vergeben:
"Da ist natürlich die Frage, wie reagiert man auf dieses Problem, dass mehr und mehr Sportgroßveranstaltungen in autokratisch regierte Staaten mit mangelndem Datenschutzrichtlinien gegeben werden."
In Bremen tritt übrigens ab September ein neues Polizeigesetz in Kraft. Bei Datenübermittlungen ins Nicht-EU-Ausland, also z.B. nach Russland, die Türkei oder Aserbaidschan, sieht das Bundesland vorher eine aktive Unterrichtung der Betroffenen vor. Anders als das Übereinkommen mit dem Europarat.