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Neues Geschäftsmodell in Angola
Aus Panzer zu Stahl

27 Jahre dauerte der blutige Bürgerkrieg in Angola. Aus dem Krieg ist jede Menge Militärschrott übrig geblieben - also auch jede Menge re­cy­cel­barer Baustoff. Der wurde bisher teuer importiert. Ein Unternehmer hat die Chance erkannt - und baute eine eigene Stahlfabrik.

Von Jan-Philippe Schlüter | 31.08.2017
    Kaputter Panzer auf einem Schrottplatz in Angola
    Auf dem fabrikeigenen Schrottplatz türmen sich alte Panzer und anderer Militärschrott, eine gute Grundlage zum Recyceln. (Deutschlandradio / Jan-Philippe Schlüter)
    Das enorme Stahlwerk knapp eine Autostunde nördlich der angolanischen Hauptstadt Luanda ist auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich. Riesige blaue Fabrikhallen. Massige Schredder, die Schrott kleinhäckseln. Mächtige Öfen mit glühendem, flüssigem Stahl. So weit, so normal.
    Zwei Dinge sind aber außergewöhnlich: Erstens ist die Stahlfabrik eines der wenigen Industrieprojekte in Angola, die nichts mit Öl zu tun haben. Und zweitens ist das Rohmaterial für den Stahl kein alltägliches Altmetall. Im hintersten Bereich des fabrikeigenen Schrottplatzes türmen sich Panzerketten, Laufräder, Gefechtstürme und Panzerwannen auf dem bräunlich-lehmigen Grund.
    "Das ist Militärschrott", sagt Fabrikmanager Luis Silva. "Panzer machen den größten Teil aus. Wir zerkleinern und recyceln sie. Etwa 15 Prozent unseres Rohmaterials besteht aus Militärschrott."
    27 Jahre lang haben die Angolaner unter einem blutigen Bürgerkrieg gelitten. Schätzungsweise 500.000 Menschen sind ums Leben gekommen. Mehr als eine Million wurde vertrieben. Erst seit 15 Jahren herrscht in Angola Frieden.
    Aus dem Krieg ist jede Menge Militärschrott übrig geblieben. Vor allem ausrangierte russische Panzer vom Typ T-34 und T-54 stehen im ganzen Land in der Gegend herum. Jeder Einzelne von ihnen über 30 Tonnen schwer. "Wir bringen sie teilweise aus 2.000 Kilometer Entfernung her. Mit den schlechten Straßen auf dem Land in Angola ist das eine ziemliche Herausforderung."
    Vom Bäcker zu Angolas Stahlbaron
    Die Idee zum Militärschrott-Recycling in der Aceria de Angola hatte der französisch-senegalesische Unternehmer Georges Choucair. Choucair, ein freundlicher kleiner Mann mit grauen Haaren, sitzt entspannt auf dem weißen Sofa in seinem Büro.
    Choucair hat sein Geld erst mit einer Großbäckerei für französisches Baguette gemacht. Als er eine weitere Backfabrik bauen wollte, musste er Stahl importieren. Daraus machte er ein Geschäft und wurde zu Angolas Stahlbaron. Aber Choucair wollte nicht von Importen abhängig bleiben - und hat deswegen für fast 300 Millionen Euro eine eigene Stahlfabrik gebaut. Auch um ein grundsätzliches Problem des Kontinents anzugehen.
    "Afrikanische Länder sind reich an Rohstoffen. Das Problem ist, dass wir sie exportieren, statt sie selbst zu verarbeiten. Und dann importieren wir fertige Produkte zu einem viel höheren Preis. Den Gewinn machen also nicht wir in Afrika, sondern andere Länder."
    Angolas Wirtschaft ist immer noch völlig abhängig vom Öl. Fast 90 Prozent seiner Exporterlöse kommen aus diesem Sektor. Seit der Ölpreis deutlich gesunken ist, steckt das Land in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Wirtschaft muss dringend diversifiziert werden - und Choucairs Aceria do Angola erfüllt diesen Anspruch auf fast schon unwirklich vorbildliche Weise.
    Die Stahlfabrik Aceria de Angola  in Angola
    Die Stahlfabrik Aceria de Angola - insgesamt verdienen ca. 3.000 Menschen ihr Geld durch das Stahlwerk. (Deutschlandradio / Jan-Philippe Schlüter)
    Mehr als 500 Arbeitsplätze wurden geschaffen. Mit den Zulieferern, wie zum Beispiel Schrottsammlern, verdienen schätzungsweise 3.000 Menschen ihr Geld durch das Stahlwerk. Das Unternehmen hat auf eigene Kosten mehr als 50 Kilometer Starkstromleitungen legen lassen. Davon profitiert auch eine örtliche Schule, die bisher keinen Strom hatte.
    "Investieren in Afrika ist nicht dasselbe wie in Europa, sagt Choucair. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Sie leben hier mit einer Gemeinschaft, die dringende Bedürfnisse hat. Es ist unsere Verantwortung, ihnen dabei zu helfen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Natürlich ist es schön, erfolgreich zu sein und Geld zu verdienen. Aber noch schöner ist es, wenn man dabei auch helfen kann."
    Europäisch zertifizierte Qualität - made in Afrika. Die Aceria do Angola soll in Zukunft dabei helfen, Angola unabhängig von Stahleinfuhren zu machen. Und mehr als nur Öl auszuführen. Seit gut einem Jahr verwandeln die Mitarbeiter unter anderem Kriegsschrott in Baustahl. Für Georges Choucair ist diese Umformung mehr als nur ein Geschäft.
    "Wir blättern eine Seite im Gesichtsbuch um. Angola ist befriedet. Und wir verwandeln Kriegsmaterial in Baustoff für die Zukunft. Schöner geht es doch nicht."