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Neues Haus für Kulturen der Welt

Seit acht Jahren wurde am Kölner Neumarkt gebaut, der Neubau für das Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde sollte eigentlich im Herbst 2007 fertig sein - auch die Kosten fielen höher aus als ursprünglich veranschlagt. Jetzt ist es endlich so weit: Das Kulturquartier am Neumarkt mit einem Festakt eröffnet.

Von Beatrix Novy | 21.10.2010
    Hier soll das Loch gegähnt haben, das die Kölner Kulturpolitik so ungemein passend verkörperte? Das Gebäude, das da herausgewachsen ist aus der Misere einer 15 Jahre währenden, immer wieder aufgehaltenen Planung – kaum war das Areal freigeräumt, stellte sich Geldnot ein -, dieses monumental wirkende Gebäude ist das Gegenteil eines Lochs.

    Vier hohe massive Baukörper, schmucklos glatt und ziegelbekleidet, unterbrochen durch vertikale Glasriegel: Eine großmächtige Front, dunkel, auch wenn die sorgfältig ausgesuchten Ziegel alle verschieden gebrannt in vielen subtilen Farbtönen glänzen – aber das erschließt sich erst innen, im Atrium, das so hoch und weit ist wie eine Großstadtstraße: ein urbaner Raum, der für die Tatsache, dass das Museum sich keinen solchen angemessenen Außenraum schaffen konnte, entschädigt. Ohnehin eignet sich die breitspurige verkehrsreiche Straße, an der es liegt, für keinerlei Platzidylle. Der Blick vom über zwei Stockwerke reichenden riesigen Erkerfenster geht auf den Verkehr, auf nicht ganz missratene Nachkriegsarchitektur und ein Parkhaus – gerade für solche Motive hat ja der unbeugsame Kölner Lokalpatriotismus ein Faible, aber ob die erhofften Besucher von auswärts den Weg von den weiter domwärts gelegenen Häusern - hierher auch so attraktiv finden, ist ungewiss.

    Sie sollten sich nicht abhalten lassen. Was die beiden in diesem Ensemble aus Neu- und Altbau lose vereinten Museen zeigen, ist es wert. Ein großer indonesischer Reisspeicher begrüßt die Besucher im Atrium, er steht da nicht nur für sich selbst, sondern für die neue Konzeption des Rautenstrauch-Joest-Museums, das sich hier von einem Völkerkundemuseum klassischen Musters zu einem Museum der Kulturen der Welt gewandelt hat. Im Reisspeicher bündeln sich Lebensbedingungen, Lebensformen und architektonischer Ausdruck einer Kultur, deren Darstellung sich heute nirgendwo mehr darin erschöpfen kann, Gesammeltes nach geografischen Kriterien in Vitrinen auszustellen. Die Neukonzeption des Rautenstrauch-Joest-Museums setzt vielmehr auf Themenbereiche, die überall auf der Welt und in allen Kulturen das Leben bestimmen – über ihre je spezielle Ausformung entscheidet eine Vielzahl von Bedingungen.
    Der Empfangsraum im türkischen Wohnhaus, das nordamerikanische Tipi, das Zelt der Tuareg, das Männerhaus in Neuguinea – sie zeigen, sorgfältig inszeniert, Beziehungssysteme, in denen Menschen sich bewegen: Geschlechterverhältnisse, Einstellung zum Fremden oder zur Natur. Neben diesem Themenparcours, der auch die Beziehung zum Körper, zum Tod und zur Religion beleuchtet, tritt die Selbstreflexion des Museums: die Auseinandersetzung mit seinen kolonialistischen Anfängen, gespiegelt in der Installation einer Sammlerbibliothek des 19. Jahrhunderts; aber auch die Betrachtung der eigenen Aufgaben: bewahren, forschen, und: vermitteln.

    "Wir können die Realität nicht darstellen, was wir hier bekommen, ist ja schon historisch."

    Noch lebt der Geist der alten Sammlung: Aber die Schmuckstücke, die unglaublich vielfältigen und imposanten Masken, die Federkrägen und Goldketten, die mexikanischen Totenaltäre, balinesischen Stiersärge und Lotosthrone haben ihre Rolle und ihre Funktion nicht ausgespielt – was Filme auf dezent angebrachten Bildschirme bezeugen. 3600 Exponate, das ist viel, aber nicht zu viel in diesen sinnlich-aufklärerischen Inszenierungen. Gegen sie ist das Schnütgen-Museum mit seiner Sammlung mittelalterlicher Kunst, das mit einem verglasten Neubau an das neue Museum angeschlossen wurde, eine Oase und ja, vielleicht auch ein Kraftort, wie Direktorin Dagmar Täube schwärmt.

    Die verglasten Wände des Verbindungsbaus, die zum massiven Backsteinbau des Rautenstrauch-Joest-Museums nicht recht passen, haben doch ihre Meriten, sie lassen Tageslicht ein und bei Nacht Glaskunst und alte Kirchenfenster nach außen leuchten. Kapitelle, Köpfe, Fragmente – hier kommt auch das kleinste Relikt zur Geltung. "Sammelt die Stücklein, damit sie nicht untergehen" hatte der Begründer Alexander Schnütgen gemahnt, und tatsächlich: so genau hat man noch nie Ranken und Ornamente, Drachen- und Menschenköpfe betrachten können wie hier in einem isolierten Bogensegment.

    Infos:

    Rautenstrauch-Joest-Museum
    Foyer mit Reisspeicher
    Foyer mit Reisspeicher (Martin Claßen und Arno Jansen, Köln)